Erneut Terroranklage gegen politische NGO

25.04.2018
Von Thomas Pierer
Seit dem zu trauriger Berühmtheit gekommenen Tierschützerprozess von 2010/11 sind Anklagen wegen der berüchtigten Paragraphen 278 des Strafgesetzbuches nicht seltener geworden. Im Gegenteil. Die Wiener Zeitung berichtet etwa darüber, dass Anklagen wegen Terrordelikten zwischen 2012 bis 2016 um satte 260 Prozent zugenommen haben.

Begründet wird das (vor allem von Seiten der Medien) mit dem verstärkten Kampf gegen den islamistischen Terror. Denn fast alle Anklagen (95 Prozent) beruhen auf dem Vorwurf islamistischen Terrors. - Viele davon wohl ebenfalls unbegründet. Doch es trifft, wie der folgende Fall zeigt, auch andere unliebsame Formen der politische Opposition.

Im Fadenkreuz der Justiz steht nun der in Wien gemeldete migrantische Kulturverein „Anatolische Föderation Österreich“, der sich für eine politische Veränderung in der Türkei einsetzt und eine scharfe kritische Stellung gegen das herrschende AKP-Erdogan-Regime einnimmt.

Angeklagt sind derzeit 12 Personen, darunter ein noch 15-jähriger Junge. Der Vorwurf lautet auf „Mitgliedschaft“ bzw. „Gutheißung und Förderung einer terroristischen Vereinigung“. Konkret geht es um die in der Türkei verbotenen militanten Arbeiterpartei DHKP-C (Volksbefreiungspartei-Front), die 2002 auf Drängen der Türkei auf die EU-Terrorliste gesetzt worden ist.

Diese EU-Terrorliste ist als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September in den USA eingeführt worden und wird willkürlich, je nach politischem Interesse wer zu den „Guten“ und wer zu den „Bösen“ gehört, geführt. So ergibt sich aus strategischen Überlegungen, wie dem Zugang zu Rohstoffquellen oder Absatzmärkten, wer als „Terrorist“ oder „Partner“ gilt.

In Deutschland werden seit Jahren gegen kurdische und türkische Oppositionelle Strafrechtsprozesse geführt. Auch dort hat die vermeintliche Mitgliedschaft bei der DHKP-C als Präzedenzfall fungiert. (Konkrete Beweise dafür müssen allerdings nicht erbracht werden) Nun soll also offensichtlich auch in Österreich ein solcher erster Fall geschaffen werden. Und dass es dann in weiterer Folge eben nicht nur türkisch/kurdische Oppositionelle treffen kann, hat der oben bereits erwähnte Tierschützerprozess bereits bewiesen.

Dabei muss es erst gar nicht zu konkreten Straftaten kommen. Laut dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien werden als „Tathandlungen“ etwa angeführt:

• Das einheitlich gekleidete Auftreten bei der 1. Mai Kundgebung in Wien
• Das schwenken von roten Fahnen und das tragen von roten Halstüchern mit gelbem Stern
• Das Erinnern an in der Türkei getötete Attentäter
• Das Organisieren von Konzerten der in der Türkei nicht verbotenen Band „Grup Yorum“
• Das Abhalten eines Fußballturniers, das der Völkerverständigung dienen sollte
• Der Verkauf von Speisen und Getränken bei solchen Veranstaltungen
• Der Vertrieb einer Zeitung

Insgesamt alles legale Tätigkeiten aus der nun eine terroristische Tathandlung konstruiert wird, worauf in der Anklageschrift auch explizit hingewiesen wird. Die Menschenrechtsorganisation ECCHR erklärt auch, dass dies gängige Praxis im Umgang mit der EU-Terrorliste ist: „Bevor überhaupt strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, werden aufgrund von unbestimmten Vermutungen und unter gravierender Verletzung von elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen einschneidende und stigmatisierende Maßnahmen gegen Einzelne verhängt.“

Sechs Personen, die als Hauptverantwortliche der „Anatolischen Föderation Österreich“ gelten, sind sowohl der Mitgliedschaft, als auch der Förderung einer Terroristischen Vereinigung angeklagt. Sechs weiteren, darunter zum Teil sehr junge Personen (einer ist zum Tatzeitpunkt erst 15 Jahre alt), wird die Förderung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Ihnen wird lediglich zur Last gelegt, dass sie am 1. Mai in besagtem Block mitmarschiert sind. Weitere Anklagen sollen laut Anklageschrift noch folgen.

Die Intention, die hinter derartigen Vorgehensweisen liegt, wird durch eine Aussage von Ilija Trojanow im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die Tierrechtsaktivisten deutlich: „Die Absicht ist, dass der Staat wieder versucht Kontrolle zu gewinnen. Das Zweite, was man erkennen kann, daran, dass es in vielen Ländern Europas jetzt eine Ausweitung […] auf andere Formen sozialen Protestes [gibt], ist ganz eindeutig, dass man sich vorbereitet auf Zeiten zunehmender sozialer Konflikte“

Thomas Pierer ist Bediensteter der Steirischen Krankenanstaltengesellschaft m. b. H. in Bruck an der Mur und Mitglied der KPÖ Steiermark sowie der Solidarwerkstatt Linz.