Golf-Monarchien: Streit über Instrumentalisierung des Islamismus

25.06.2017
Was uns das Zerwürfnis zwischen Riad und Doha sagen kann
von Wilhelm Langthaler
Viele sind von der Wucht des saudischen Angriffs auf ihren kleinen Bruder Qatar überrascht – haben sie nicht alle den Jihadismus unterstützt? Ein Blick auf den Kern des Streits kann helfen allzu simple Erklärungsmuster zu überwinden.

Formal gesehen ist Qatar der Saud-Monarchie am ähnlichsten, denn das Thani-Regime bekennt sich offiziell ebenfalls zum Wahabismus, was für die anderen Golfdiktaturen nicht gilt. Doch gerade diese scheinbare Übereinstimmung ist hilfreich um zu verstehen, dass der ideologisch-konfessionelle Faktor trotz allem für die Sauds nicht der entscheidende ist.

Die Saud-Monarchie ist – neben Israel – die wichtigste Stütze der von den USA geführten globalen Ordnung in der Region. Der Arabische Frühling war akutes Zeichen deren Brüchigkeit. Die Sauds kennen da nur eine Sprache – hau drauf, direkte Repression. Sie sind die offenen Feinde jeglicher demokratischen und linkssäkularen Bestrebungen, aber eben auch jeder Infragestellung des monarchischen Prinzips und sei es durch islamische Massenbewegungen.

Bestes Beispiel dafür ist der Militärputsch General Sisis in Ägypten 2013 gegen die Muslimbrüder, die durch Wahlen an die Regierung gekommen waren. Hauptunterstützer des blutigen Coups von außen war das Haus Saud, ungeachtet der Tatsache, dass die Militärs als säkular gelten und die Muslimbrüder als Inkarnation des Politischen Islam.

Die USA unter Obama waren da vorsichtiger. Sie sahen die Notwendigkeit von Reformen, um den rachitischen Regimen wieder etwas Blut zuzuführen, ihre verlorene Massenbasis wiederherzustellen. Washington wollte die Muslimbrüder oder ähnliche Kräfte einbinden – um Revolutionen zu verhindern, nicht um sie zu fördern. Nicht nur den Sauds passte das gar nicht, sondern auch viele Linke sahen in den Muslimbrüdern das Werkzeug des Imperialismus gegen die alten Regime, die sich gerne auf eine antikoloniale Vergangenheit bezogen.

Genau hier liegt die ausschlaggebende Differenz zu den Herrschern von Qatar, den Thanis. Seitdem der Herrscher vor zwei Jahrzehnten seinen Vater weggeputscht hat, setzt der Scheich in seiner Außenpolitik auf islamische Strömungen einschließlich des Massenelements. Daher haben sie konsequent die Muslimbrüder unterstützt und der Hamas den Rücken gestärkt. (Die Sauds haben seit dem Ende der UdSSR keine Unterstützung mehr gewährt und quietistische Strömungen des Salafismus bevorzugt.) Die Taliban unterhalten in Doha ihre einzige offizielle Vertretung außerhalb Afghanistans. Auch diverse Jihadisten-Gruppen zählen zu ihren (Gesprächs-)Partnern. Zudem kommt ein liberalerer Zugang zum Medien-, Ideologie- und Kulturapparat, dessen bekanntester Ausdruck der Sender Al Jazeera ist. Mit ihm konnten weite Teile der Bevölkerung in der ganzen arabischen Welt angesprochen werden. Er wurde so zur politischen Waffe in der Hand des Monarchen, vor dem die Kritik natürlich Halt machen muss.

Was ist mit Syrien?

Was ist dran am saudischen Vorwurf, dass Doha Terroristen finanziere? Haben das nicht beide systematisch getan? Ja, haben sie und wie!

Der Wurm im verbreiteten Narrativ liegt darin, dass eine Kausalkette in die falsche Richtung konstruiert wird. Saudi-Arabien & Co hätten die Jihadis geschaffen. Doch die Sache ist umgekehrt. Der syrische Bürgerkrieg hat sehr tiefe und historische innere Gründe. Das Assad-Regime kannte gegenüber dem politischen Islam nur Repression, obwohl er offensichtlich einen Teil der Massen erfasst hatte. Die Protestbewegung 2011 wurde als tödliche Bedrohung gesehen, gleich als islamistisch abgestempelt und entsprechend niedergeschossen. Für den Jihadismus wirkte das wie eine Auflage, der sehr bald seine Chance ergriff und die Rebellion zu islamisieren vermochte. Die äußere Unterstützung war wichtig, hat diese Tendenz befeuert, aber sie war nicht ursächlich.

Die bedeutendste äußere Unterstützung der Rebellion kam indes von der Türkei (nicht nur finanziell). Ankara unterstützte die massenhafte Militarisierung und war spiritus rector der (verlorenen) Schlacht um Aleppo. Dabei setzte die Türkei in erster Linie auf Strömungen wie die Muslimbrüder, zu der es Verwandtschaft gab. Doch es entstand eine Flut von lokalen Milizen, die es einzubinden und zu orientieren galt. Die harten Jihadis von Al Quaida und dem Islamischen Staat ließ man gewähren und erlaubte ihnen die Versorgung über die Türkei. Denn man dachte man könne sie militärisch benutzen, insofern die Haltung der USA abwartend blieb. Es wäre aber ein Fehlschluss anzunehmen, dass der IS und die Nusra von der Türkei oder von sonstwo ferngesteuert worden wären.

Der USA unter Obama saß vor allem der Schreck der gescheiterten Besatzung des Iraks im Nacken. Sie schloss damit ein direktes Eingreifen aus – so sehr die Verbündeten und allen voran die Türkei auch drängen mochten. Nachdem man in Washington jedoch mit einem baldigen Ende Assads rechnete, versuchte man lokale Hilfskräfte zu formieren – die Free Syrian Army (FSA). Doch mit dem unaufhaltsamen Wachstum des radikalen Jihadismus wurde klar, dass eine loyale Hilfskraft, die im Bürgerkrieg eine wesentliche Rolle spielen könnte, nicht zu bilden war (außer im Süden an der jordanischen Grenze). Das ließ die militärische Unterstützung zögerlich werden, was die radikalen Islamisten nur noch weiter stärkte.

An drei Ereignissen lässt sich zeigen, dass die USA den Sieg der Jihadis nicht weiter fördern wollten. Erstens: Spätsommer 2013, als die USA mit ihrer roten Linie zum Giftgas eine Drohkulisse aufbauten aber Obama den Angriff in letzter Sekunde doch abblies, weil er keine Machtalternative für Damaskus hatte. Hätten sie bombardiert, wären die Jihadis die dominierenden Kräfte geworden. Zweitens: Die massive militärische Unterstützung der USA für die irakische Regierung gegen den IS, nachdem er den Nordwesten des Iraks und weite Teile des syrischen Ostens unter seine Kontrolle gebracht hatte. Das trotz der Tatsache, dass der iranische Einfluss in Bagdad sehr groß ist. Drittens: Die militärische Unterstützung der PYD-Kurden in Kobane im Herbst 2014 gegen den IS, die sich seit damals stetig ausgeweitet hat.

Es ist zutreffend, dass es im US-Militärapparat auch andere Strömungen gab. Am prominentesten vielleicht General Petraeus, der die Sahwa-Linie im Irak auch in Syrien anwenden wollte. (Doch die Bedingungen für eine etwaige Einbindung sunnitischer Milizen sind gänzlich anders, denn in Bagdad befindet sich ein verbündetes Regime an der Macht.) Er und auch andere konnten sich nicht durchsetzen.

Die russische Militärintervention ab Herbst 2015 hat die Kräfteverhältnisse grundlegend verschoben. Die Türkei erlitt eine historische Niederlage, sie musste den Traum von der Kontrolle Aleppos aufgeben und Moskau beigeben. Entweder die Jihadis akzeptierten die türkische Realpolitik (zu der auch Verhandlungen gehören) oder sie wurden ins zweite De-facto-Kalifat Idlib abgeschoben. Im Sommer 2016 intervenierte die Türkei dann selbst mit eigenen Truppen, vor allem gegen die Kurden aber auch gegen den unter Druck geratenen zerfallenden Islamischen Staat, dessen Territorium sie der PKK-nahen PYD nicht überlassen wollte.

Qatar und Saudi-Arabien haben den Jihadis wohl am meisten direkte Unterstützung angedeihen lassen, wobei Riad vermutlich eine engere Führung im Sinne von „rent-a-jihadi“ verfolgt. Qatar gießt über die ganze Galaxie des Jihadismus seinen Geldsegen aus, mutmaßlich einschließlich der Nusra-Front, ohne in gleicher Weise Kontrolle ausüben zu können. Doha verfolgte das Ziel das Jihadi-Bündnis um die Nusra-Nachfolgeorganisation Jabat Fatah Ash Sham im Westen salonfähig zu machen. Man kann damit rechnen, dass die Familie Thani sich als Schutzmacht für Idlib zu betätigen versuchen wird. Riad ist das zu unkontrollierbar. Im Falle notwendiger realpolitischer Schwenks, zu dem auch die Sauds immer wieder gezwungen sind, ist das Idliber Jihadisten-Sammelbecken ein vorhersehbares Problem. Nun kommt auch noch die Transformation des latenten Konflikts mit Doha in einen akuten Machtkampf hinzu, bei dem Riad den Einsatz weiter erhöhen könnte. Der andauernde Bruderkrieg der Jihadis in Douma hängt mit dieser Rivalität zusammen.

Iran?

Die Saudis machen den Thanis den Bruch der antiiranischen Front zum Vorwurf. Doch außer Bahrain, in das die saudische Armee zur Niederschlagung des Arabischen Frühlings 2011 einmarschierte, unterhalten alle anderen Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) gewisse Beziehungen zum Iran. Der wichtigste Staat, die VAE, machen sogar glänzende Geschäfte, wenn auch lautlos. Doch alle versuchen den übermächtigen Bruder nicht zu verärgern, während die Thani-Diktatur das offen tut. Dafür werden sie nun abgestraft, übrigens mit voller Unterstützung der Scheichs in Abu Dhabi.

Ausblick und Quintessenz

Warum der Konflikt gerade jetzt eskalierte, ist schwer zu sagen und möglicherweise spekulativ. Es könnte mit den Ambitionen des jungen Thronfolgers Mohamed bin Salman zusammenhängen, der auch der Falke hinter dem Krieg im Jemen ist. Trumps Parteinahme für Riad könnte ebenfalls eine Rolle gespielt haben, wobei dies nicht der bisherigen Position Washingtons entspricht und vom Machtapparat auch relativiert wurde. Unmittelbare Folge ist jedenfalls die tatsächliche Aufweichung der Front gegen Teheran und ein möglicher Zerfall des GCC. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und das behält sich das Saud-Regime vor.

Was es zu verstehen gilt: Oberstes Interesse der Sauds ist der Machterhalt, was die Rolle als zentrale Stütze der USA in der arabischen Welt mit einschließt. Der Versuch Obamas eines Ausgleichs mit dem Iran hätte das alles in Trümmer geschlagen, einschließlich der konfessionellen Mobilisierung in der Region, die von Saudi-Arabien betrieben wird. Die Unterstützung diverser Formen des Salafismus dienen diesem Zweck. Dort wo jedoch ein Moment der Massenmobilisierung und damit potentiell demokratische und soziale Ansprüche zum Ausdruck kommen könnten, wenn auch nur versteckt und indirekt, wird der Islamismus zum Todfeind. Allem was unkontrollierbar ist, wird mit Skepsis begegnet. Kräfte, die die Sauds für sich einzusetzen können glaubten, können so von einem Tag auf den anderen zu Feinden werden.

Das zeigt auf der anderen Seite, dass es im Politischen Islam auch ein unabhängiges Element mit antiimperialistischen Moment geben kann, sowohl auf der Ebene der Massen als auch bei verschiedenen bewaffneten Kräften. Selbst jene, die vom Golf Unterstützung bekommen, sind nicht notwendig Marionetten. Solche gibt es natürlich auch.

Und was die USA betrifft: Auch wenn Washington vor 1989/91 den Politischen Islam vielfach für seine Zwecke benutzte und das ab und an, vom Kontext abhängig, danach noch tat und tut –insgesamt sieht er ihn doch als Feind an. Die unhaltbaren aber verbreiteten Konstruktionen, nach denen der gegenwärtige Jihadismus ein direktes Instrument der USA wäre, haben drei Quellen. Erstens: die durchdringende Stärke des Feindbilds Islam. Zweitens: das Ohnmachtssyndrom vieler westlicher Oppositioneller einschließlich Linker, die die Macht der USA, des Westens und seiner Apparate indirekt verabsolutieren. Drittens: das moderne Narrativ des russischen Staates, der seinem imperialen Zusammenstoß mit islamischen Kräften einen antiimperialistischen Charakter verleihen will und mit der Verteidigung des vom Westen verratenen christlichen Abendlandes verbrämt.