Verwirrung und Schwäche

06.01.2019
Ein Interpretationsversuch des von Trump angekündigten Truppenrückzugs aus Syrien
Von Wilhelm Langthaler
Als Trump Ende Dezember 2018 den vollständigen Abzug aller US-Truppen aus Syrien innerhalb von vier Monaten verkündete, staunte die Welt nicht schlecht. Die einen freuten sich: Assad, Russland, Iran, die Türkei. Die anderen waren entsetzt: wichtige Teile des US-Machtapparats, Israel sowie die Kurden.

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Wie ist dieser 180-Grad-Schenk zu erklären? Zumal er ja nicht der erste ist. Zuerst kam die Rote Linie im September 2013, als die USA die Inszenierung zur Rechtfertigung eines Angriffs abgeschlossen hatten, Obama aber im letzten Moment das Bombardement abblies. Damit machte er allen Beteiligten klar, dass die USA nicht direkt eingreifen würden, womit sich die gesamte Architektur des Konflikts verschob. Dann der Schwenk von Kobane im Herbst 2014, als die USA auf Seiten der Kurden gegen den IS militärisch eingriffen. Danach entwickelten sich die PYD-Kurden zum zentralen Bündnispartner der USA in Syrien, während die islamistischen Kräfte Schritt für Schritt fallengelassen wurden. Das belastet Washingtons Beziehung zum Nato-Kernland Türkei bis heute schwer.

Betrachten wir zunächst die verschiedenen Interessen der inneren und äußeren Konfliktparteien in diesem X-ten Akt des bald achtjährigen Bürgerkriegs.

Nicht nur die US-Neokons und Israel, sondern ganz gewichtige Teile der US-Apparate sind fassungslos und wütend. Der Rücktritt des Verteidigungsministers Mattis aus Protest ist keine Kleinigkeit. Er war eine zentrale Figur in der Vermittlung zwischen einem unzurechnungsfähigen Wahlmonarchen und der Machtelite. Alles auf die sehr schwache kurdische Karte zu setzen und dabei noch seinen historischen Bündnispartner Türkei zu verprellen, kann nur als subjektivistische Forcierung in einer Notlage verstanden werden. Was hoffte man mit einer kurdischen Kraft in einem arabischen Kernland erreichen zu können, das noch dazu eines der Mutterländer des arabischen Nationalismus ist?

Auf der anderen Seite ist diese Marginalisierung der Weltmacht USA auch Konsequenz des Kontrollverlustes über die Bündnispartner in der Region, die ihre Eigeninteressen vertreten, selbst wenn sie jenen der USA zuwiderlaufen. Das gilt insbesondere für die Türkei, auch wenn diese sich schwer verkalkuliert hat und nun selbst Schadensbegrenzung betreibt.

Das Reparieren der Beziehung Washingtons zu Ankara ist damit auch der rationale Kern der US-Rückzugsankündigung. Der realpolitische Flügel des US-Establishments mag darauf gedrängt haben, doch sicher nicht in einer solch selbstbeschädigenden Art und Weise. Doch das kann nicht die einzige Erklärung sein. Da bleibt ein Schuss irreduziblen Trump-Eigensinns enthalten, der schlicht einen Zug gemacht hat, der dem US-Imperialismus nicht dienlich ist. Es ist damit auch nicht als letztes Wort zu nehmen. Und Trump ist dafür bekannt, unter dem Druck der US-Eliten die wildesten Zickzack-Bewegungen zu machen.

Für die Türkei ist der US-Rückzug vordergründig ein Erfolg. Wird doch scheinbar ihre wichtigste Forderung, nämlich der Zurückstutzung der kurdischen Bewegung, Rechnung getragen. Doch das verdeckt eine viel größere historische Niederlage: Erdogan wollte Assad stürzen und alte osmanische Einflusszonen zurückgewinnen, half den Dschihad gegen das Regime zu organisieren und scheiterte kläglich. Die USA waren auf sein Werben nicht eingestiegen. Dann der nächste Tiefschlag: Putin füllte die Lücke und rettete Assad – gemeinsam mit dem Iran. Zu allem Überdruss war noch ein kurdisches Autonomiegebiet entstanden, das den Kurden in der Türkei nur als leuchtendes Vorbild dienen kann.

Jedenfalls hat Ankara nach Trumps Verkündung eine mediale Vollmobilisierung durchgeführt, Truppen und syrische Hilfstruppen gegen Manbij auffahren lassen. Sie drohten mit Einmarsch in die kurdischen Autonomiegebiete.

Doch es war klar, dass dies nicht so einfach gehen würde. Denn der wichtigste Dirigent sitzt mittlerweile in Moskau und mit dem wurde dann auch unmittelbar nach der Trumpschen Ankündigung verhandelt. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich, aber klar ist, dass Moskau Erdogan ein Siegesgeschrei erlauben wird, mit möglichst kleiner inhaltlicher Substanz. Zumindest wird die kurdische Kontrolle über die Region westlich des Euphrats abgegeben werden müssen, in der es sowieso eine arabische Mehrheit gab. Doch es wurde spekuliert, dass im Gegenzug Teile des dschihadistisch kontrollierten Idlibs unter der Schirmherrschaft Ankaras für weitere Angriffe Assads freigegeben werden müssten. Insgesamt handelt es sich für die Türkei lediglich um die mediale Deckung permanenter Rückzüge. Denn im Kern haben sie den Erhalt der Herrschaft des Assad-Apparats akzeptieren müssen. Dafür erhalten sie von Moskau häppchenweise symbolische Erfolge gegen die Kurden hingeworfen, die sie durch ihre Medien jagen und damit auch die Kemalisten im Zaum halten können.

Mittlerweile hat sich gezeigt, dass Russland und Assad Manbij offensichtlich nicht an die Türkei übergeben, sondern selbst übernehmen wollen. Für die Kurden ihrerseits ist die bereits erfolgte Übergabe eines Sperrriegels an Damaskus sicher das kleinere Übel. So hat Trump direkt Assad und Putin zur Machtausdehnung verholfen, unter den Augen von US-Soldaten, die in Manbij weiterhin patrouillieren.

Für die PYD-Kurden und ihr Rojava ist es eine höchst bedrohliche Situation. Sie haben hoch gepokert und zuerst mit Moskau und dann sogar mit Washington paktiert – und waren damit bisher sehr erfolgreich gewesen. Doch sie bleiben wie bisher immer im letzten Jahrhundert nur ein winziges Rädchen im Machtgetriebe der Region und der Weltmächte. Die gedemütigte Türkei wird vom Teilsieger Russland umworben. Wenn dabei die Kurden zu opfern sind, dann wird das auch geschehen. Hinzu kommt noch der Starrsinn des Assad-Apparats, der keinerlei Dezentralisierung (zur zentralen Bedeutung dieses Begriffs für interne Konfliktlösung) und Autonomie haben will, koste es was es wollte. Denn an sich wäre es nicht unklug in der Situation der Schwäche (die syrischen Truppen sind völlig erschöpft) ein Abkommen mit der PYD zu schließen, die sich zu weitgehenden Zugeständnissen und zur Akzeptanz des Regimes bereit erklärt hat, wenn zumindest Reste von Selbstverwaltung übrigblieben. Warum da Moskau mitspielt, das selbst nur sparsam Bodentruppen einsetzen will? Vermutlich in Hinblick auf die Türkei deckt Moskau die harte Haltung Assads gegen die Kurden. Hier liegen Assad und Erdogan auf einer Linie.

Viele werden sich fragen, was die Kurden hätten anders machen können? Der Autor hat in einer Vielzahl von Artikeln zwei zentrale Argumente gebracht: Einerseits liegt der Schlüssel zur Kurdenfrage in der Türkei und der zeitweiligen Öffnung seitens des islamischen AKP. Da hätten die Nationalkurden die Avancen fortsetzen müssen, selbst als Erdogan schon dabei war die Tür zuzuschlagen. Andererseits hätte man mit territorialer Kontrolle sehr viel vorsichtiger umgehen und wenn auf das kurdische Kerngebiet beschränken müssen. Die Expansion den Euphrat stromabwärts im Dienst der USA gegen den IS war ein großer politischer Fehler. Es war die Gegenleistung für die US-Unterstützung, die legitime arabische Interessen verletzte. Zum Durchbruch hätte eine alternative kurdische Strategie indes auch nicht führen können, sondern sie hätte lediglich helfen können, demokratisch-antiimperialistische Positionen für eine spätere Entfaltung zu etabliert. (Hier ein Kommentar anlässlich des türkischen Einmarschs im Kanton Afrin.)

Was den Iran betrifft, so hat er als Bodentruppe für die russische Luftwaffe erhebliche Erfolge und eine enorme Machtausweitung aufzuweisen. Doch Russland sieht sich gegenüber Israel in der Pflicht, den Iran einzudämmen und von seinen Grenzen fernzuhalten. Teheran ist seinerseits durch die US-Aggression sehr stark nicht nur auf Moskau angewiesen, sondern hofft trotz der Differenzen über Syrien auf die bisher so wichtige Kooperation (auch wirtschaftlich) mit der Türkei.

Der Golf hat ebenfalls eine 180-Grad-Kehrtwende wollzogen, die man nur als Niederlage interpretieren kann. Vor kurzem haben die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Botschaft in Damaskus wiedereröffnet und selbst der Schoßhund der Saudis, Bahrain, hat diesen Schritt nachgemacht – was sicher auf Geheiß von Riad passierte. Die Rent-a-jihadi-Strategie des Golfs ist unter dem russischen Hammer und dem türkischen Amboss zermalmt worden. Der Gegensatz zum moderaten Massenislamismus der Muslimbrüder, staatlich repräsentiert durch die Türkei und Qatar, ist größer als die Ablehnung Assads. Jetzt verlässt man sich in Riad auf ein Wechselspiel zwischen Washington und Moskau. Eine weitere Katastrophe für den ambitionierten Thronfolger MBS, der auf allen Fronten scheitert.

 

Kurzthesen zum Stand des syrischen Bürgerkriegs, der sich in sein drittes Drittel bewegt:

1)      Machtverlust der USA

Unter Obama verzichteten die USA auf eine massive direkte Militärintervention, vor allem um die irakische Teilniederlage nicht zu wiederholen. Trump setzt da im Wesentlichen fort, selbst wenn sein Truppenrückzug nicht halten sollte. Dieser Machtverlust drückt sich am stärksten in der Kakophonie der staatlichen Bündnispartner, sowie der Unmöglichkeit einen auch militärisch brauchbaren syrisch-arabischen Partner zu entwickeln, aus.

 

2)      Islamische Bewegung nicht verlässlich

Obama hatte realpolitisch verkündet, dass die unter US-Vorherrschaft stehende regionale Ordnung einer Blutauffrischung bedürften. Dazu boten sich die moderaten Muslimbrüder an, deren türkischer Verwandter AKP sich zu diesem Zeitpunkt als gangbares Modell offerierte. Doch daraus wurde nichts, weil die US-Verbündeten am Golf mithalfen die Moslembrüder in Ägypten wegzuputschen. Damit war das Projekt gestorben. Die Aufbäumung gegen die alten Regime ging aber weiter und eruptierte in Syrien.

Der Golf bot gekaufte Jihadis, die Türkei zog ihrerseits noch breiter nach. Doch den USA erschien das als unkontrollierbar, unzuverlässig und zu gefährlich – denn immerhin war der harte Kern des Jihadismus aus dem Aufstand gegen die US-Besatzung im Irak gespeist.

Daher endete die USA im Syrien verlassen von allen regionalen Partnern bei den Kurden!

 

3)      Saudi-Fiasko

Der mit Ägypten wichtigste arabische Partner der USA ist wesentlich geschwächt. Nicht nur hat Riad in Syrien nichts erreicht, sondern es führt im Jemen einen blutigen Krieg, den es nicht gewinnen kann und sich zunehmend isoliert. Außerdem hat es bei der Bekämpfung der so verhassten Muslimbrüder nicht nur die USA in Ägypten überrascht, sondern auch den Golfkooperationsrat gesprengt – sein eigenes Geschöpf. Zur Türkei ist ein Graben entstanden und gegen den Iran macht nicht nur Qatar nicht mit, sondern auch Oman und Kuwait sind vorsichtiger. Die antisaudische Kampagne angesichts des Mordes am Elitejournalisten Khashoggi kann als Illustration der verzweifelten Lage des Königshauses gesehen werden, das mit seinen internen Modernisierungsversuchen auch die Opposition der Wahhabiten zu spüren bekommt. Währenddessen kann der Erzfeind Iran seinen Einfluss immer weiter ausdehnen, trotz der US-israelisch-saudischen Kampagne.

 

4)      Russland und Iran

Trotz der aggressiven US-Politik gegen beide Regionalmächte konnten diese insbesondere in Syrien ihre Macht wesentlich ausdehnen und sich als Machtpole konsolidieren. Insofern stellt es einen (kleinen) Schritt zu einer multipolaren Weltordnung dar, die aber keineswegs erreicht ist. Mit Antiimperialismus im Sinne der Mobilisierung der subalternen Schichten für ihre demokratischen und sozialen Interessen darf das aber nicht verwechselt werden. (Eine Einschätzung der Rolle Russlands nach der Rückeroberung Aleppos.)