Wenn BHL die syrische Revolte unterstützt

11.11.2012
"Offener Brief" an die AIK mit Antwort
ungezeichnet
Der verstorbene Präsident Nasser sagte in einer Rede 1968: „Wenn ich eines morgens im Radio höre oder in der Zeitung lese, dass Ägypten oder ich von den imperialistischen Staaten gelobt werden, dann muss ich feststellen, dass meine Politik falsch liegt.“

Liebe Freundinnen und Freunde der „AIK"!

Die politischen Ereignisse in der Arabischen Welt, vor allem in Libyen und Syrien sowie die Veränderungen der Politischen Weltkarte und ihre Entwicklungen sind der Anlass dieses offenen Briefes an euch.

Dieser Brief soll nicht als Diffamierung gegen die „AIK“ verstanden werden. Die „AIK“ ist bekannt für ihre Aktivitäten in der Palästina-Frage, zum Irak und zu Jugoslawien. Die Entstehungsgeschichte der „AIK" war verbunden mit dem Embargo gegen den Irak sowie dem Beginn des Embargos gegen Libyen. Von März 1993 bis zum 22. Februar 2011, bis zum Beginn der Aggression gegen Libyen, hat die „AIK" eine klare Antiimperialistische Politische Position verfolgt. Die „AIK" war in Europa ein Garant für politische Solidarität und Aktivitäten gegen die imperialistische menschenverachtende Politik auf der Welt. Die Qualität der Poltischen Analyse von der „AIK“ wird heute vermisst.

Die offenen Stellungnahmen der „AIK“ zu Syrien zeigen eine Veränderung in ihrer Politik im Vergleich zu früher. Die „AIK“ wird deshalb ihre politischen Einschätzungen und Entscheidungen rechtfertigen und verantworten müssen.

Es ist ein Signal, wenn eine „Revolution“ von einem der größten Zionisten und Proimperialisten wie Henri Levi getragen wird. Er hat sich nicht nur für alle „humanitären Interventionen“ der letzten Jahrzehnte eingesetzt sondern vertritt auch in Syrien die Unterstützung der Bewaffneten. Ohne es zu wollen tanzt die „AIK“ heute mit ihm auf der gleichen Hochzeit im Gleichschritt im gleichen Tempo. Das gemeinsame Ziel ist der Sturz des syrischen Regimes.

Ziel der Imperialistischen Staaten und Israels ist die Teilung des Syrischen Staates, so wie auch der irakische Staat zerstört wurde. Es liegt nicht in ihrem Interesse, die gerechten demokratischen Forderungen der Syrer zu unterstützen. Syrien ist heute einer der wenigen Staaten der Welt, der sich Weigert, sich dem DIKTAT des Imperialismus zu BEUGEN und sich ihm zu UNTERWERFEN. Der bekannte ägyptische Journalist HEIKAL sagte in einem Interview zu Al Ahram, dass der Imperialismus in der Region ein zweites Sykes-Picot durchführen möchte.

Was sich heute um und in Syrien abspielt ist ein Krieg, der über regionale Belange hinausgeht.

Der Russische Bär ist aufgewacht aus seinem langen Winterschlaf - und auch der Chinesische Drache, der seine Schritte beschleunigt, beeinflusst das internationale Vorgehen. Die beiden werden unterstützt von den restlichen „BRICS“ - Staaten und von anderen afrikanischen, asiatischen und mittel- und südamerikanischen Staaten auf einer Seite und auf der anderen Seite stehen die imperialistischen Staaten und Israel, unterstützt vor allem von Quatar und Saudi Arabien, die in der jüngeren Geschichte der Arabischen Welt immer eine reaktionäre Rolle gespielt haben, begonnen von der Nasser- Ära bis heute.

Die Zukunft der Politischen Weltentwicklung ist abhängig vom Ausgang des Syrienkonflikts, deswegen werden die Russen Syrien nicht im Stich lassen - es geht um ihre eigenen geopolitischen ökonomischen Interessen – nicht zuletzt weil zwischen Damaskus und Homs große Mengen an Erdgas gefunden worden sind.

Russland mit den „BRICS“ Staaten stellen eine neue Macht im Gegensatz zu den imperialistischen Staaten dar, sie bilden eine Weltordnung, die noch im Entstehen ist. Russland und China haben den UNO-Sicherheitsrat zum ersten Mal seit 20 Jahren an die Kandare genommen.

Quatar war der erste Verlierer in diesem Krieg, indem es alle Karten ausgespielt hat.

Der zweite Verlierer ist die Türkei, da der Bodenkrieg in Nordsyrien von den Bewaffneten verloren wurde, trotz der massiven Unterstützung der Türkei. Es zeigt sich, dass Erdogan bereit ist, Syrien anzugreifen. Diese hysterischen Bedrohungen von Erdogan zeigen, dass die Bewaffneten Misserfolge auf dem Boden haben und er gerne die türkische Armee in einen Krieg involvieren lassen möchte, der nicht der seine ist. Die Türkei kocht von innen und spürt die Nebenwirkungen des syrischen Konflikts. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die PKK auf die Gelegenheit einer Intervention in Syrien wartet, damit sie die türkische Armee angreifen kann.

Erdogan hätte eine sehr positive Rolle für die syrischen Konflikt spielen können, hätte er den gleichen Abstand sowohl vom syrischen Staat als auch von dessen Opposition gehalten und auf beide Druck ausgeübt, damit es zu einer Lösung kommen muss. Aber stattdessen hat er Trainingslager für die Bewaffneten eröffnen lassen und den syrischen Staat – mit all seinen Fehlern – für alle Probleme verantwortlich gemacht.

Die erste und zweite Runde wurden verloren, jetzt bleibt die dritte Runde, die nach den US-Wahlen beginnen wird. Es ist festzustellen, dass die USA den Prozess steuert. Vor ein paar Tagen hat die amerikanische Außenministerin den „Syrischen Nationalrat“ von Istanbul aufgelöst und ihm politische Unfähigkeit vorgeworfen. Nach den US-Wahlen bestehen drei Möglichkeiten:

Erstens, dass ein Kompromiss zwischen den Russen und den USA gefunden wird.

Zweitens die USA unterstützen weiterhin den Krieg in Syrien und bewaffnen ihn noch stärker als vorher.

Drittens dass doch die USA mit Unterstützung der NATO und Erdogan-Türkei einen Krieg gegen Syrien führt.

Nach dem Absturz von Ben Ali in Tunesien und mit dem Beginn der Demonstrationen in Ägypten hat der Imperialismus den „Arabischen Frühlings - Begriff auf dem Medienmarkt kostenlos zur Verfügung gestellt. Viele haben es adoptiert. Der Imperialismus ist geritten auf dieser Welle, hat sich neu gehäutet wie die Schlangen und hat auf einmal entdeckt, dass "Menschenrechte" in der Arabischen Welt verletzt werden, Er setzte sich mit großem Interessen dafür ein, er lobte die „Menschenrechtsaktivisten“ und unterstützt sie mit allen Mitteln. Die NATO war sogar bereit, militärisch für sie und die "Menschenrechte" zu intervenieren wie das Beispiel Libyen zeigt, wo sie auch interimistisch regierten, oder Waffen zu liefern an die Aufständischen und die salafistischen Unterstützer in Syrien.

George Houlawi sagt vor kurzem im einem Interview auf Al-maidin: „Du verlangst von mir zu glauben, dass eine „Revolution“, die von Großbritannien, Frankreich, USA Israel, Saudi Arabien und Quatar unterstützt wird, eine „Revolution“ für soziale Gerechtigkeit wäre.“

Die geweckten Interessen und der Appetit der Imperialistischen Staaten auf "Menschenrechte" lässt bei viele AntiimperialistInnen auf der ganzen Welt die Ampeln auf rot schalten, was bei der "AIK" leider nicht der Fall war. Die „AIK“ hat die Quantität gesucht und hat nicht weiter auf die Qualität geschaut.

Es ist nicht einmal ein Flugblatt herausgegeben worden, der das Vorgehen der bewaffneten libyschen „Demokratischen Bewegung“ kritisiert und verurteilt hätte, als sie es sich erlaubt hatten, der NATO-Bombardierung Libyens zuzustimmen und mit der NATO zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz ist die „AIK" weiter auf dem Slogan der "Menschenrechte" geritten. Somit hat die „AIK“ die „demokratische“ bewaffnete libysche Bewegung unterstützt, die gemeinsam mit der NATO kollaborierte. Die Bombardierung Libyens hat ca. 120000 Menschenleben gekostet, das Land ist ins Mittelalter zurückgeworfen worden. vor einer Woche hat ein Massaker in Ben Walid in Libyen stattgefunden, und auch gegen das Verbrechen der Verfolgung und Ermordung der schwarzen Libyer fand bis heute keine Verurteilung von Seiten der „AIK“ statt. Die „AIK“ hat sich aus der Lokomotive des antiimperialistischen Zuges abgekoppelt und sich an die „Arabischer Frühling“ und "Menschenrechts-" Lok angehängt.

Der Diskussionsleiter bei der Veranstaltung von Michel Kilo fragte Kilo: „Wie können wir den Aufstand in Syrien unterstützen?“. Die richtige Frage wäre gewesen: „Wie können wir jetzt und gleich das Blutvergießen in Syrien stoppen, da die Zivilbevölkerung darunter leidet?“ Herr Kilo, der für Weiterführung des Krieges in Syrien ist unterstützt von „AIK“ (immerhin für eine Fortsetzung ohne NATO-Intervention), wollte nichts davon wissen, dass die NATO die Bewaffneten mit Waffen über die Türkei beliefert und dass sich Afghanen, Tschetschenen, Libyer und Saudis in Syrien befinden und auf der Seite der Bewaffneten kämpfen. Er lebte bis vor etwa einem Jahr in Damaskus, seitdem lebt er mit seiner Familie in Paris. Kilo kommt aus der linken Szene Syriens. Seine politische Position unterscheidet sich heute nicht mehr von den früheren Standpunkten der „KP Iraks“. In der Zeit der Bombardierung von Bagdad am 18. 12. 1998 wurde es prinzipiell von der „AIK“ zurecht abgelehnt, eine Demo zusammen mit der „KP Irak“ zu organisieren, weil sie im Flugblatt eine Kritik am irakischen Regime einbringen wollten. Die „AIK“ ist keine Kompromisse mit Oppositionen von angegriffenen Ländern eingegangen. Dafür fand eine Zusammenarbeit mit der Irakischen Opposition statt, die das Irakische Regime nicht als antagonistischen Widerspruch zu sich selbst auffasste. Wieso geht sie heute auf Kompromisse mit Personen wie Kilo ein?

Die Antiimperialistische Bewegung, die einig in der Palästina-Frage, beim Irak und in Jugoslawien war, war noch nie in ihrer Geschichte so gespalten wie jetzt. Die Syrien- Krise wirft ihren Schatten auf die Zusammenarbeit, und filtert die Politischen Positionen, gleichzeitig kristallisiert sich eine Neue „Anti Anti Imperialistische Politische Bewegung“ „AAIB““ heraus.

Alle AntiimperialistInnen sind sich einig über die sozialen, politischen und ökonomischen Forderungen der Syrer. Das Ende der alleinigen Macht der Baath-Partei ist eine gerechte Forderung. Die Baath-Partei muss zur Verantwortung gezogen werden für ihre falsche Innenpolitik.

Es bestehen keine Differenz unter den Antiimperialisten über eine Veränderung in der politischen Landschaft Syriens, unter der Voraussetzung, dass die antiimperialistische Linie in der syrischen Politik aufrecht erhalten bleibt – nicht so wie im Fall Libyen heute. Die Unterschiede bestehen darin, wie der Konflikt gelöst werden soll.

Es ist eine Kunst, in so einer eskalierten Situation politische Stellung zu nehmen. Es braucht Feinfühligkeit und es ist notwendig, konstruktive Lösungen zu finden, damit wieder Ruhe einkehrt, anstatt Öl ins Feuer zu gießen. Lösungen, die die Syrer vertreten und nicht das Interesse einiger Oppositioneller, die in Europa leben und keine Rückendeckung in Syrien haben.

Syrien ist heute der Kompass der Antiimperialistischen Arbeit, wessen Kompass in eine andre Richtung zeigt, fährt in die falsche Richtung und sollte ihn notwendigerweise wieder richtig stellen.

***

Geopolitik statt Volk
Antwort der Antiimperialistischen Koordination (AIK)

wir wollen keine langatmige Antwort geben, denn in unseren öffentlich geäußerten Positionen ist alles bereits gesagt. Lediglich zu Libyen bedarf es einer faktischen Richtigstellung eurer Behauptungen.

Grundproblem eurer Position und vieler formalistischer Antiimperialisten ist, dass ihr nur die Geopolitik kennt, und da nur schwarz und weiß. Die inneren politischen und sozialen Widersprüche sind für nachrangig. Methodisch werden sie überhaupt nicht berücksichtigt.

Für euch besteht kein Unterschied zwischen Syrien und dem Irak. Dass es in Syrien im Gleichklang mit der gesamten arabischen Welt eine demokratische Massenbewegung der Unterklassen gab und gibt, während im Irak das imperialistische Zentrum mit seiner überlegenen Militärmacht direkt angriff -- macht keinerlei Unterschied.

Ihr habt kein Problem damit, die Interessen der subalternen Klassen Syriens auf dem Altar der erhofften multipolaren Weltordnung für jene Russlands und Irans zu opfern. Wir hingehen glauben, dass es vor allem der globale Widerstand der Unterklassen ist, der letztlich die imperialistischkapitalistische Ordnung zu Fall bringen wird. Damit ist der Kern der Differenz ausgesprochen.

Davon abgeleitet noch zu einigen Teilaspekten:

Die mechanische Formel nach der jene Kräfte, die vom Imperialismus favorisiert werden, auch tatsächlich proimperialistisch sind, ist falsch. Es ist aber die Logik der Geopolitiker. Stalin unterstützte die Gründung des vermeintlich antiimperialialistischen Israel gegen die mit England verbündeten arabischen Staaten. Dass die Klassenkräfte genau umgekehrt gepolt waren, musste ihm entgehen, genauso wie es heute den Russen entgeht. Die haben sich aber längst von dem „marxistischen Balast“ befreit.

Oder ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: ist Mubarak in dem Moment zum Antiimperialisten mutiert, als Obama ihn fallen lies und den Umsturz willkommen hieß? Folgt man den Geopolitikern und sonstigen Konspirationisten so muss das wohl so sein. Nicht umsonst hört man ab und an, dass die gesamte arabische Volksbewegung für Demokratie eine imperialistische Verschwörung sei. Dass der Imperialismus Einfluss zu nehmen versucht, liegt in seiner Natur, sonst wäre er keiner. Das heißt aber noch lange nicht, dass alles nach seinem Willen und seinen Plänen verläuft.

Ganz abgesehen davon, ist der Imperialismus ziemlich unentschlossen und geschwächt. Seine Politik besteht darin, seine unterschiedlichen Handlanger gewähren zu lassen. Das einzig fixe scheint zu sein, dass er ein direktes militärisches Eingreifen ausschließt.

Syrien zu teilen kann überhaupt nicht sein Interesse sein, denn damit würde die bereits heute höchst brüchigen regionalen Ordnung ein weiterer Stoß versetzt. Auch Israel kann daran kein Interesse haben.

Was die islamische Bewegung betrifft, scheit ihr sie ebenfalls simplifizierend unter der Kategorie "imperialistische Handlanger" abzulegen. Dass sie keine sozialrevolutionären Antiimperialisten sind, macht sie deswegen im Umkehrschluss noch lang nicht zu imperialistischen Handlangern. So sehr sie da und dort zur Kooperation mit dem Imperialismus fähig sind, bekämpfen sie in anderswo. Ohne auf notwendige Detailanalysen einzugehen kann man verallgemeinernd sagen, dass die islamische Bewegung für den Imperialismus ein höchst schwieriger, unverlässlicher und unverlässlicher Partner ist.

Auf der anderen Seite tut die Politik Assads, unterstützt von Russland und Iran alles, um die Volksbewegung in die Arme des Imperialismus zu treiben. Es ist ihrer außerordentlichen Stärke und Tiefe zu verdanken, dass dies bis jetzt in ihrer Mehrheit noch nicht der Fall ist.

Unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen würde ein Sturz Assads zu einer weiteren Destabilisierung der regionalen Ordnung führen. Welche Kräfte dann das Sagen haben werden, ist schwer vorauszusehen – vermutlich mehrere in Konflikt zu einander stehende. Die Kontrolle des Imperialismus wird nur partiell sein und der Spielraum für diverse Kräfte, darunter auch die demokratische Bewegung der Unterklassenmag sich vergrößern. Die fortgesetzte Herrschaft von Assad hinterlässt indes nur verbrannte Erde, was indirekt dem Imperialismus und vor allem Israel dienlich ist.

***

Richtigstellung zu Libyen: wir waren immer ganz entschieden gegen eine ausländische militärische Intervention und haben die Nato-Aggression auch verurteilt. Das bedeutet aber nicht, dass wir den Schlächter der politischen Artikulation der arabischen Unterklassen und Geschäfts- wie Bündnispartner des Imperialismus, Ghaddafi, unterstützten:

Nein zur Militärintervention gegen Libyen! Die Befreiung muss das Werk des libyschen und arabischen Volkes selbst sein

Nein zum Nato-Angriff, aber nicht mit Ghaddafi, Zum Wandel der Protestbewegung in Libyen

So sehr wir die Militärintervention der USA in Panama ablehnten, so wenig unterstützen wir damals Noriega:

Im Übrigen ist trotz der NATO-Aggression heute Libyen weniger unter imperialistischer Kontrolle wie unter Gaddafi. Das bedeutet in keiner Weise, dass wir sie nachträglich rechtfertigen wollten, sondern soll klar machen, dass der Imperialismus nicht allmächtig ist. Selbst der Luftkrieg reicht manchmal nicht aus um Herrschaft zu etablieren, wenn es keine verlässliche Partner vor Ort gibt.

Antiimperialistische Koordination (AIK)

Geopolitiker versus Revolutionäre

***Zur Antwort auf die Antwort zum offenen Brief***

Diese Diskussion ist insofern eine Bereicherung, als sie hilft, dass Positionen klarer gemacht werden. Wenn es allerdings einen Punkt im Artikel gibt, dem vorbehaltlos zugestimmt werden könnte, ist es der, dass hier zwei unterschiedliche politische Positionen aufeinandertreffen, eine marxistisch-orthodoxe, die vom Klassenkampf nach westlichem Muster ausgeht und eine andere, die sich einer antiimperialistischen Position verpflichtet fühlt.

So erinnert die erstere Position nicht zufällig an die Haltung von Marx und Engels, die sich etwa beim Urabi-Aufstand gegen die Engländer ebenfalls auf die Seite des Imperialismus gestellt haben. Der historische Materialismus denkt oft in deterministischen Etappen – auch was er in Syrien und Libyen unterstützt, sind weniger Klassenkämpfe als Demokratisierungsprozesse, die mehr Ähnlichkeiten mit den bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts aufweisen als mit einem proletarischen Kampf. Da stört es auch nicht, wenn statt des Diktators eine neoliberale westliche Elite an die Macht kommen sollte, stellt doch dieser Machtwechsel nach marxistischem Denken einen Etappensieg auf dem Weg zum Sozialismus dar. Der Marxismus denkt, dass sich der Kapitalismus voll entfalten muss, bevor er gestürzt werden kann – er interpretiert es als Sieg der „subalternen Klassen“, wenn eine prowestlich orientierte Clique als Alternative zum Diktator installiert wird.

Heute sieht es beim Syrienkonflikt insofern etwas anders aus, als die linken Klassenkämpfer in ein Boot eingestiegen sind, das für sie gemeinsam mit verschiedenen prowestlichen und salafistischen Passagieren im Hafen des Imperialismus vor Anker liegt, auch wenn die einen vom Klassenkampf ausgehen mögen und die anderen von der Rückkehr zum „richtigen“ Islam.

Der Brief erinnert nicht an die AIK, wie sie in der antiimperialistischen Szene in Europa geschätzt wird, sondern klingt eher wie die RKL, die nach zwanzig Jahren Ausflug in den Antiimperialismus wieder in den Schoß des orthodoxen Marxismus zurückgekehrt ist.

Die Darstellung der Widersprüche in Syrien und Libyen auf den Konflikt zwischen dem Volk und einer Administration – oder gar nur auf eine einzelne Person, den Diktator, der angeblich alle Fäden zieht und mit dessen Entmachtung alle Probleme gelöst seien – zeugt von einer Simplifizierung, die an einer renommierten Organisation wie der AIK überrascht und zeigt gleichzeitig die Schwachstellen des Marxismus auf. Die Faszination eines Klassenkampfes, der keiner ist. Ein einziger Blick auf die Klassenzugehörigkeit der Opposition beweist das genauso wie ein Phänomen, über das aus Syrien mittlerweile sehr häufig berichtet wird: wenn beispielsweise ein Familienmitglied aus Überzeugung in der syrischen Armee gegen die Bewaffneten kämpft und ein anderes auf Seiten der Opposition - und ihre Angehörigen sich davor fürchten, dass sie aufeinander schießen, auch wenn beide aus der gleichen Familie und damit auch aus derselben Klasse kommen.

In dem Brief wird dem Antiimperialismus unterstellt, er möchte die Interessen der „subalternen Klassen in Syrien“ einer unipolaren Weltordnung – noch dazu unter Führung Russlands und Chinas - opfern“:

Wer sind in Libyen oder in Syrien diese subalternen Klassen? Sind es die Vertriebenen, die Flüchtlinge, die politischen, religiösen oder ethnischen Mehr- bzw. Minderheiten?
Oder die prowestlichen Marionetten, die aus dem Exil an die Macht streben, auf den Ruinen eines zerstörten Landes und westlichen Panzern? Die von Israel, den USA und den Vorzeigedemokratien Qatar, SaudiArabien oder der Türkei fianziert, bewaffnet und mit Söldnertruppen verstärkt werden? Was ist mit den Millionen Subalternen, für die diese Pseudodemokraten nur ein schlechter Witz sind?
Was ist mit den subalternen Massen, die nicht auf der Seite der westlichen Exilopposition stehen? Die tatsächlich subalternen Massen sterben und flüchten vor den Bombardements beider Seiten.

Syrien selbst wird gerade mit „panzerbrechender Munition“, also abgereichertem Uran, das der Westen an die so genannten Rebellen liefert, verseucht.[1] Ein Schicksal, das es mit allen Ländern teilt, die in den letzten 20 Jahren vom Imperialismus von ihren Diktatoren befreit wurden -und angesichts des tatsächlichen Ausmaßes der Verwüstung noch eines ihrer geringsten Probleme.

Auch die vermutlich ironisch gemeinte Meinung, Libyen sei nach Gaddafi antiimperialistischer“ als vorher, verwechselt chaotische Zustände und marodierende Paramilitärs mit einer herrschaftsfreien Zone. Nur weil der Imperialismus nicht die - übrigens von ihm in einer absichtlich herbeigeführten Destabilisierung selbst bewaffneten – Salafis vollständig kontrollieren kann, bedeutet das noch nicht, dass sich hier nicht dasselbe Muster wiederholt, das alle „humanitären“ Kriege der neuen Weltordnung begleitet. Krieg führt immer zu Chaos, das dem Imperialismus jedenfalls lieber ist als eine geordnete politische Landschaft, die sich seinem Herrschaftsbereich entziehen könnte. Wie kann in Libyen von einer positiven Veränderung gesprochen werden, wenn die Truppen von Frankreich und den USA die Erdölfelder sichern und Büros für ihre Geheimdienste offiziell tätig sein können?

Der neue Ölverteilungsschlüssel, die Machtergreifung einer prowestlichen Elite, die Beendigung des „Great man river projects“, die Verhinderung einer neuen afrikanischen Währung, um nur einige Begleitumstände des Machtwechsels in Libyen zu nennen, sind alles keine antiimperialistischen Phänomene. Was die Gaddafi-Regierung an zu verurteilenden Aktionen geleistet hat wird das neue Regime noch effektiver leisten. Wo sie hingegen westlichen Ambitionen im Weg stand, da möchte das neue Regime die Tore öffnen.

Der Imperialismus steht heute auch hinter potentiellen subalternen Klassen, falls es seine Interessen erfordern. Unter seiner Schirmherrschaft begrüßt der Imperialismus jede Ideologie, die ihm nützlich erscheint (ob Salafis, Kommunisten, Demokraten, Menschenrechtsgruppierungen, NGO`s, Nasseriten, Nationalisten und bei Bedarf sogar Antiimperialisten).

Danke für die Einladung am 9. Jänner, wo die unterschiedlichen Standpunkte hoffentlich diskutiert werden können. Es ist weitgehend versucht worden, in diesem Text persönliche Vorwürfe zu vermeiden, um nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen, denn es besteht weiter der Wunsch nach einer gemeinsamen Vorgehensweise, allen Differenzen zum Trotz.

Es geht schließlich darum, einen Krieg zu verhindern: nicht nur einen Krieg gegen Syrien, sondern auch einen Krieg, der weit über die Region hinaus gleich einem Flächenbrand droht. Sollte sich dieses Horrorszenario bewahrheiten, lässt sich kaum vorzustellen, wie viele Menschen bzw. „subalternen Klassen“ dann dem Konstrukt eines angeblichen Antidiktatorkampfes geopfert werden könnten.

Österreichisches Bündnis gegen den Krieg in Syrien