Gaza-Waffenruhe zeigt Verschiebung zuungunsten Israels an

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23.11.2012
Indirekte Folge der arabischen Revolte: die USA müssen Ägypten Zugeständnisse einräumen, die Kairo wiederum an die Palästinenser und die Hamas weiterreichen kann
Antiimperialistische Koordination (AIK), Initiativ e.V. Duisburg
Zwar schreien wie immer beide Seiten „Sieg“, doch der Erfolg liegt eindeutig auf Seiten des palästinensischen Widerstands. Das über ein halbes Jahrzehnt andauernde Hungerembargo gegen Gaza wird weiter gelockert – in welchem Ausmaß ist allerdings nicht klar. Dennoch handelt es sich um eine verkannte Sensation, ein kleines Zeichen einer kommenden großen tektonischen Verschiebung.

1) Die USA haben sich zwar wie immer vollständig auf die Seite Israels geschlagen, doch sie haben ihren wichtigsten Verbündeten Israel zum Waffenstillstand gezwungen. Von der angedrohten Bodenoffensive wollte Washington gar nichts wissen. Das Abkommen war nur mit dem letztlich enormen Zugeständnis der schrittweisen Aufhebung der Blockade zu erzielen – letztlich dank des anhaltenden Widerstands der palästinensischen Bevölkerung und des Drucks in der regionalen und globalen Öffentlichkeit.

2) Ausschlaggebend war dabei vor allem die Lage in der arabischen Zentralmacht Ägypten. Bisher konnte der neue, islamische Präsident Mursi nur geringfügige Verbesserungen für die Palästinenser in Gaza vorweisen. Zu schwach und zu ängstlich zeigt sich das neue Regime gegenüber den USA, denn seine Abhängigkeit bleibt enorm. Doch weiß Washington sehr wohl darum, dass die erdrückende Mehrheit der Ägypter das von Mubarak auf Geheiß Washingtons eisern durchgesetzte Embargo beenden will und dafür auch zu kämpfen bereit ist. Würden sie Mursi die lineare Fortsetzung der alten Palästina-Politik aufzwingen, so flöge ihnen das mit Ach und Weh stabilisierte neue Regime früher oder später um die Ohren. Eine weitere Stärkung der Massenbewegung, ob sozial, demokratisch oder islam(ist)isch fürchten sie am meisten. Das würde nicht nur Ägypten, sondern potentiell die gesamte arabische Region immer weiter ihrer Kontrolle entziehen. So mussten sie Mursi etwas geben.

3) Auch wegen des Konflikts über Syrien und dem Kräftemessen mit dem Iran wünscht Washington von Tel Aviv keine Querschüsse. Für wen Israel in Syrien auch immer Partei ergreift, jener hat den Schwarzen Peter. Die schwierige und planlose amerikanische Einflussnahme in Syrien muss darauf achten, Israel so weit als möglich aus dem Spiel zu halten, was bisher auch gelang. Gegenüber dem Iran möchte sich Washington keinerlei gefährliche Abenteuer aufzwingen lassen und den Ausgang der syrischen Krise abwarten.

4) Die USA sind angesichts der Massenbewegungen und der allgemeinen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu ihren ungunsten gezwungen, die Muslimbrüder als Partner zu akzeptieren. Wie sehr eine Einbindung funktionieren wird, hängt von vielerlei Faktoren ab, jedenfalls auch vom weiteren Druck von unten. Ohne fortgesetzte Zugeständnisse wird es nicht gehen, es sei denn die USA setzen zu einem großen Militärschlag an, der derzeit allerdings nicht auf der Tagesordnung steht. (Oder es gelingt ihnen den sunnitisch-schiitischen Gegensatz noch besser auszuschlachten, was gleichzeitig zahlreiche gefährliche Probleme aufreißt.) Die unumgängliche Annäherung an die Muslimbrüder bedeutet aber auch, dass die Hamas, die Teil der Muslimbrüder-Internationale ist, nicht mehr in der gleichen Weise isoliert werden kann wie bisher betrieben. Einer Einbindung wie sie andernorts versucht wird, sind aber auf der anderen Seite wegen Israel enge Grenzen gesetzt.

5) Netanyahu mag den Zeitpunkt des Luftkriegs zu Wahlkampfzwecken ausgesucht haben. Will man den Umfragen glauben, so könnte seine Taktik aufgegangen sein. Doch für Israel im Gesamten ging der Schuss nach hinten los. Wir sind der Entstehung einer neuen regionalen Ordnung einen Schritt näher gekommen. Die treibende Kraft bleibt indes die Revolte der arabischen Volksmassen.

22.11.2012