Finanzblase und Euro-Krise

04.12.2013
Vom Privatschuldenschwindel zur Staatsschulden-Krise
Von A.F.Reiterer
Die Finanzkrise 2008 und folgend wurde von der Subprime-Krise in den USA ausgelöst. Also kann sie nicht vom Euro verursacht sein. Das Argument wird von den Verteidigern der Einheits-Währung gern gebraucht und überzeigt auch manche kritische Geister. Verwundern kann dies nicht. Denn da ist ein Element an Wahrheit drinnen. Freilich war in Europa der Euro der zentrale Transmissionsriemen der Finanzkrise. Und nun ist er das zentrale Instrument, diese Krise zum Nutzen der Eliten einzusetzen.

Seit nahezu einem halben Jahrhundert nimmt die Ungleichheit in den USA wieder zu. Insbesondere die oberste Schicht, das oberste 1 % und wieder darüber das oberste Promille gewinnen stark. Das beschleunigte sich seit der Reagan-Zeit; aber auch die Clinton-Ära hat dies nicht nennenswert eingebremst.

 

P99-100: oberstes Prozent der Einkommensbezieher
P99,9-100: oberstes Promille – Quelle der Daten: Piketty / Saez 2006

 

Diese stetige Neuverteilung des Volks-Einkommens nach oben lief parallel mit einem Stagnieren der Real-Einkommen in den breiten unteren Mittelschichten und schließlich einem Rückgang bei den unteren Schichten. Aber die Menschen dort versuchten, diesen Prozess auf ihre Weise und individuell zu überlisten. Die Ausbildung des neuen spekulativen Finanz-Kapitalismus kam ihnen entgegen. Der Politik war dies teils recht: Sie konnten so versuchen, die Finanzoligarchie und die Bevölkerung zufrieden zu stellen, "den Fünfer und das Weggli" zu haben. Das Stagnieren oder der Rückgang beim Einkommen unten sollte durch Schulden­aufnahme ersetzt werden. Münchhausen versuchte also, sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Die Kredit-Verkäufer und -Berater begannen die Blasenbildung auf dem Immobilienmarkt zu nutzen. Sie selbst standen unter Erfolgsdruck. So gaukelten sie ihren Kunden die Möglichkeit eines ständig steigenden Konsums auf Pump vor: Ihre Häuser, oft wenig mehr als Wohn-Container, würden ja im Preis weiter steigen. Sie könnten damit ohne weiteres Risiko neue Schulden abdecken... Die Konstruktionen waren im Einzelnen oft abenteuerlich. Dass die Schulden sodann aus dem laufenden Einkommen – das manchmal gar nicht vorhanden war – bezahlt werden mussten, übergingen sie nobel.

Kontroll-Mechanismen wie die FHA (Federal Housing Administration) waren teils sogar vorhanden. Sie wurden von den Banken gezielt umgangen. Es ist eine bewusste Lüge konservativer Journalisten (auch bei uns), wenn sie behaupten: Die Politik hätte die Leute in die Schuldenfalle gehetzt. Richtig ist, dass es Politikern manchmal durchaus recht kam. Sie sahen es nicht ungern, dass die Menschen mit mehr Konsum ruhig gehalten wurden.

Im Lauf des Jahrs 2008 nahmen die Zahlungsausfälle im Subprime-Sektor zu, bei den niedrigen Einkommen mit den ungesicherten Krediten. Die Banken wurden aufmerksam. Sie reagierten mit Restriktionen und lösten damit die Krise recht eigentlich aus. So wurde über Nacht eine Banken-Krise daraus. Das zentrale Motto war nun: Wir trauen einander nicht. Wir wissen, dass bei der nächsten Bank dieselben Gauner sitzen, wie wir es sind. – Mit dieser Haltung kam der Interbank-Markt, dort wo sich die Banken gegenseitig Geld leihen, kurzfristig praktisch zum Erliegen. Das aber ist der zentrale Markt der Finanzmärkte.

Aber die Banken sind internationale Unternehmungen. Sie begannen nun auch dort hin zusehen, wo sie bisher auf einer anderen Ebene eine ähnliche Politik betrieben hatten. Nun bemerkten sie plötzlich, dass im Olivengürtel, in Südeuropa, dort wo sie selbst getrickts und betrogen hatten, nicht Alles nach Wunsch verlief. Nun wird der Euro bedeutsam.

Der Euro hatte den Exporteuren der zentralen Ökonomien (BRD, Österreich) genützt. Die peripheren Wirtschaften hatte er aber massiv beschädigt. Die Regierungen dort hatten sich in die Eurozone gedrängt. Man wollte auch "zu Europa gehören". Um den Erwartungen ihrer Bevölkerungen gerecht zu werden, hatten sie versucht, auch ihnen ein paar Brosamen vom neuen Manna zukommen zu lassen. Man stellte z. B. eigene Anhänger im Staatsdienst an, mehr als man wirklich brauchte.

Aber nun begannen sich die Banken Sorgen um ihre Kredite zu machen. Die Banken- und Privatschuldenkrise von jenseits des Atlantik schwappte nun also nach Europa über. Mit und durch den Euro wurde aber rapide eine Staatsschuldenkrise, eine Depression und ein Rückschlag für Wirtschaften und Gesellschaften für Jahrzehnte daraus. Und die Staaten begannen sich stärker zu verschulden.

Es waren mehrere Mechanismen, die wirkten.

(1) Da war der Vorwand, das System und deswegen die Großbanken "retten" zu müssen. Man übernahm also einen erheblichen Teil der faulen Kredite. Privatschulden wurden damit in Staatsschulden verwandelt. Die Pseudo-Gewinne der Jahre zuvor waren als Kredite meist an Spekulanten, als Renditen an Aktionäre und als grotesk überzogene Gehälter an das Spitzen-Management der Banken verteilt worden. (In Österreich war dies ja wörtlich der Fall, nicht nur bildlich: Der Ex-Generaldirektor Gerhartner erhielt seinen Kredit von Herrn Elsner von der BAWAG im Plastik-Sackerl geschenkt.) Nun wurden diese Profite von den Regierungen im Nachhinein bezahlt und bestätigt. Dieser Fall liegt besonders klar in Irland.

(2) Der Euro hatte Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie zusammen geschlagen, wie seinerzeit die DM jene der Ex-DDR. Die nationalen Regierungen konnten dies eine Zeitlang hinter den niedrigen Zinsen verstecken. Doch nun wandte sich ihnen die Aufmerksamkeit der Banken zu. Die Zeit der leichten Privat-Kredite schien vorbei. Die Rating-Agenturen als Sprecher der Banken dekretierten Kredit-Unwürdigkeit. Das traf vor allem die Staaten. Unter "normalen" Umständen hätten sie die fälligen Kredite einfach gerollt. Nun sagte man Ihnen: Das geht nicht mehr. (Die Wirklichkeit war nochmals anders!). Denn nun wollte man die Krise auch nutzen für die eigenen Interessen und Ziele.

Die Bürokratien des supranationalen Staats und der internationalen Institutionen sahen ihre Gelegenheit gekommen. Sie befahlen nun "Anpassungs-Programme" und Entdemokratisie­rung (das "Europäische Semester" und die "Schuldenbremse"). Die nationalen politischen Klassen aber hatten das, was sie sich in ihrer Mehrzahl sowieso wünschten: einen externen Sachzwang. Und schließlich sehen ja Alle ein, dass man nicht ewig Schulden machen kann...

Der Euro wird nicht "zusammen brechen". Dazu braucht es aktive Politik. Es kommt ausschließlich auf die Bevölkerung und auf ihre Sprecher, die politischen Parteien an. Eine Estonisierung ist ohne weiteres möglich. In Estland sank das BIP innerhalb eines Jahres um ein Fünftel und in Lettland um fast ein Viertel, ebensoviel wie in Griechenland in fünf Jahren. Und die Bevölkerung nickte dazu spielt weiter mit. Ein zahnloser Protest allein tut es auch nicht, nicht einmal in Griechenland.  Wenn SYRIZA teils aus Angst und kürzestfristigen taktischen Überlegungen, teils aus Naivität den Euro und die EU beibehalten will, dann ist auch dort eine estnische Lösung möglich.

Der Euro wird nur dann zusammenbrechen, wenn man ihn zerschlägt.

2013 – 12 – 04

Piketty, Thomas / Saez, Emmanuel (1998), Income Inequality in the United States, 1913–1998. In: The Qu. J. of Economics CXVIII, 1 – 39.

Piketty, Thomas / Saez, Emmanuel (2006), The Evolution of Top Incomes: A Historical and International Perspective. In: AEA Papers and Proceedings, 200 – 205 sowie als Daten-Anhang http://emlab.berkeley.edu/users/saez/piketty-saezOUP04US.pdf.