Die Euro-Retter

16.04.2014
Von A.F.Reiterer
Über die Schwierigkeit der Linken, Bündnispartner zu finden ˗ aus Anlass eines neueren Buchs: Christian Felber (2012), Retten wir den Euro. Wien: Deuticke. 156 S.

„Die EU nimmt Kurs auf eine autoritäre Plutokratie“ (S. 12). Der Euro ist in der Krise, die er verdient. Er ist Teil einer dreifachen Fehlkonstruktion“ (S. 17). Die europäische Integration spiegelt im Kleinen [??] die neoliberale Konstruktion der Globalisierung“ (S. 19). Die Eurokrise ist eine fundamentale Krise der EU“ (S. 32). Also weg mit dem Euro?!

Weit gefehlt: „Worst case: Im schlechtesten Fall [kommt es zur] Währungsreform und Rückkehr zu DM und Schilling“ (S. 11, auch S. 34). Vielmehr soll ein „Rettungsprogramm für den Euro“ (S. 56ff.) eine „Vereinheitlichung der Steuer- und Lohnpolitik (‚Fiskalunion‘)“, eine Verzehnfachung des EU-Budgets für so wesentliche Projekte wie eine EU-einheitliche Post  (S. 147) und ähnliche Notwendigkeiten bringen, damit „die EU bei den Menschen beliebt“ wird  (S. 71) und diese „einem neuen Vertrag freudig zustimmen“ (S. 137).

Irgendwer hat mir dieses auf dem ersten Blick sympathisch dünne Büchlein zugesteckt. Ich habe drei Anläufe gebraucht, bis ich durch dieses EU-Programm von attac durch kam. Bei Texten, mit denen ich nicht übereinstimme, lerne ich gewöhnlich eine Menge. Wenn sie gut argumentie­ren, reizen sie nicht nur zum Widerspruch, sondern auch zum Nachdenken und oft zum weiteren Recherchieren. Aber das setzt analytische Ansätze und eine gewisse Kohärenz voraus.

Die Schrift eines anderen Euro-Retters habe ich tatsächlich nach 2 Seiten „Vorbemerkungen“ weg gelegt: Oskar Negt [2012], Gesellschaftsentwurf in Europa. Plädo yer für ein gerechtes Gemeinwesen. Göttingen steidl/ifa. Was hier jemand hinschreibt, der sich in weit entfernten jüngeren Jahren auch einmal als „Linker“ gerierte, ist schlichtweg intellektuell skandalös ˗ politisch soll er glauben, was er will. „Wesentliche Elemente der Aufklä­rung und die politische Philosophie demokratischer Verfassungen“ seien aus Griechenland gekommen, dem man heute so schlecht dankt. In der Art eines alten Gymnasial-Professors für Griechisch verwechselt er also das heu­tige Griechenland mit dem philhellenischen Idyll- und Zerrbild des 19. Jahrhunderts. Das imperiale Rom habe „jedem ein zwangloses Bekenntnis ermöglicht: civis Romanus sum.“ Man kann es kaum glauben. Mit diesen Worten forderte Paulus laut Apostelgeschichte (22, 25 ˗ 28 ) das Oberschicht-Privileg einer besseren Behandlung ein, auf welche im Imperium nur ein kleiner Teil Anspruch hatte. Es ist nur konsequent, wenn Negt die drasti­sche Erhöhung der MWSt, den Raubzug von Troika und Regierung gegen die Unter- und Mittelschichten, als positive Reform zitiert. Und multiple Identitäten, sonst doch das Paradepferd der Liberalen im politischen Dis­kurs, kennt der ehemalige Soziologie-Professor auch nicht. Er befürwortet eine exklusive supranationale Identität. Und der Herr Professor ist ein gefragter Referent…

Aber es geht wesentlich tiefer. Ein ORF-Korrespondent hat mit einer deutschen Journalisten zusammen ein EU-Propagandabuch geschrieben: Gammelin, Cerstin / Löw, Raimund (2014), Europas Strippenzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert. Berlin: Econ (Ullstein). Löw war in seiner Studentenzeit Trotzkist und hat sich als großer Theoretiker geriert. Ich bin von diesem Buch wirklich verstört. Es geht nicht um die politische Haltung ˗ die muss jedem / jeder selbst überlassen bleiben. Aber dass man auf ein Niveau herab sinken kann, wie wir es in diesem Buch finden, ist bedrückend: „Wie waren dabei, als die Finanzkrise ausbrach…“ Usw.

Wozu dann darüber sprechen? Damit komme ich zum Problem. Die konsequente Linke ist in einem Ausmaß isoliert, wie kaum je zuvor. Das liegt sicher vorrangig an den Umständen und den Machtverhältnissen. Aber es liegt auch an der Linken selbst. Dogmatismus und Sektaris­mus sind fatal. Erheben wir einen intellektuellen und politischen Anspruch? Dann stehen wir allerdings vor einer heiklen Aufgabe: Wir müssen in der Analyse kohärent und stringent blei­ben. Wir dürfen uns nicht der erstickenden Hegemonie des mainstreams unterordnen. Aber wir müssen uns politische Bündnispartner suchen. Dabei können wir keineswegs erwarten, alle unsere Punkte durchzusetzen. Ein möglicher Bündnispartner wäre attac. Stimmt das?

Das V. Kapitel der Broschüre skizziert ein regelrechtes politisches Programm, ja ein Gesell­schafts-Programm für eine „postkapitalistische Gesellschaft“: Zerlegung „systemrelevanter“ Banken ˗ Felber bemerkt irgendwo nebenbei, dass dies eine politische Systemrelevanz ist, vergisst aber gleich wieder darauf; effiziente Bankaufsicht; Kampf gegen Steueroasen; Be­grenzung der Ungleichheit; ein „Basel IV“; Regulierung von Rohstoffpreisen; …; das sind Ziele, die wir jedenfalls teilen. Andere sind aus meiner Sicht illusionär und sogar gefährlich: „den Jahreshaushalt der UNO verdreifachen“ (S. 104); die „selbständige Bäuerlichkeit för­dern“ (S. 121); „globale Steuerpflicht“ (S. 123). Doch man wird die Differenz politisch nicht in den Vordergrund stellen.

Das heißt keinesfalls, die inhaltlichen Unterschiede verwischen. Der Großteil des Büchleins ist eine Mischung von Voodoo-Ökonomik, unbegreiflicher Naivität und unbedarfter Wider­sprüchlichkeit. Ein Mensch, der im politischen Bereich arbeitet, muss eine solche Feststellung aushalten. Die Tradition ist jene aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und kann mit den Namen Owen und Proudhon gekennzeichnet werden, mit ein bisschen Beimischung von Silvio Gesell. Marx hat seinerzeit im „Elend der Philosophie“ dagegen angeschrieben. Aber als ich unlängst wieder dort nachlas, hatte ich Unbehagen: War es wirklich notwendig, Proudhon auf solch eine arrogante Weise in den Boden zu rammen? Am Buchende steht Werbung für andere Bücher, und dort wird Stephane Hessel zitiert: „Engagiert Euch für konkrete Alternativen!“ Das hat etwas für sich.

Aber in der Arbeitsteilung der Gegenwart nehme ich die Rolle des Analytikers und Kritikers für mich in Anspruch. In einer intellektuellen Auseinandersetzung kann man nicht Auge und Mund zumachen. Und hier finde ich viele Fehl-Aussagen und -Urteile, zu viele.

Es beginnt mit der Sprache. Der schlechte Journalistenstil kann nicht ohne „Krieg“, „Bürger­krieg“ und „Herzstillstand“ auskommen. Aber bei wichtigen Aussagen setzt plötzlich die Hemmung vor der klaren und konkreten Aussage ein: Da gibt es plötzlich nur mehr „Spannungen“ und „Ungleichgewichte“.

Über die unglaubliche Widersprüchlichkeit habe ich schon gesprochen, und das ist das Grundmotiv der ganzen Schrift: Gegen Globalisierung ˗ aber für globale Kontrollen und Behörden; für globale Gerichte und globale Steuerpflichten  (S. 18). Die Verträge der EU können nicht geändert werden, weil die Bevölkerung mit Sicherheit dagegen stimmen wird; aber gleichzeitig werden massivste Vertragsveränderungen und die Zentralisierung von Kompetenzen vorgeschlagen, für welche die Bevölkerungen „freudig“ stimmen werden. So geht es weiter.

Aber auch im Detail (!?) findet man geradezu Unglaubliches: Griechenland hätte „gerechter verteilt als Deutschland“ (S. 28), und das sei eine der Krisenursachen. Nicht die Zahlungs­bilanzdefizite des Südens seien das Problem, sondern der Zahlungsbilanzüberschuss Deutsch­lands ˗ mir fällt der alte Witz ein: „Julius und Caesar waren sich sehr ähnlich, besonders Julius…“. Das Griechenland für den deutschen Außenhandel drittrangig ist, kommt noch dazu. ˗ Hohe Realzinsen werden aus der Differenz von Nominalzins und Wachstum abge­leitet, nicht etwa aus der Verteilung. Überhaupt die Zinsen: Dass diese eine Frage der innerkapitalistischen Verteilung sind und nicht einfach von „Angebot und Nachfrage“ dürfte ihm ein völlig fremder Gedanke sein.

Schließlich ein ziemlich wichtiger Punkt: Über den Vorschlag, dass die Zentralbank den Staat finanzieren soll, könnte man debattieren. Er scheint sich nur nicht klar zu sein: Dies auf läuft Geldschöpfung, vulgo journalistisch „Gelddrucken“ hinaus. Und überhaupt: Warum soll es ˗ außer in Zeiten einer kurzfristigen Depression ˗ ein dauerndes Staats-Defizit geben? Das ist ein typischer Ausdruck dieser vor allem sozialdemokratischen „Fünfer-und-Weggli“-Politik: Man will der Finanz-Oligarchie und der Oberschicht nicht weh tun, aber gleichzeitig den Mit­telschichten und Unterschichten ein paar Brosamen zukommen lassen. In einer Entwicklung, wo speziell die Einkommen der obersten Gruppen immer stärker steigen, sollte es in dieser Hinsicht doch wohl nur eine Politik geben: Steuerfinanzierung der Staatsausgaben durch Erhöhung der Unternehmenssteuern (Körperschaftssteuer) und der Grenzsteuersätze! An irgendeiner Stelle sagt er das so ähnlich, vergisst aber sogleich darauf.

Ich bin mir völlig bewusst, dass ich gerade das mache, was ich oben am „Elend der Philosophie“ getadelt habe ˗ ich schreibe eine vernichtende Kritik.

Aber das ist auch gerade der Punkt, den ich problematisieren will. Wie kann man aufrichtig und redlich und authentisch bleiben ˗ und trotzdem nicht alle möglichen Verbündeten vergraulen?

17. April 2014