Gaza-Bilanz: Widerstand bestätigt

08.09.2014
Kampf gegen das Embargo bleibt im Zentrum
Von Wilhelm Langthaler
Die jüngste israelische Attacke auf Gaza war ein schreckliches Massaker – eines von vielen in der Geschichte des israelischen Kolonialismus. Doch was bleibt als politisches Ergebnis?
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1) Israels Kriegsziele

Israel hatte seine Ziele nie klar ausgesprochen, vielleicht auch selbst nicht so klar definiert. Es ging um die Schwächung des Widerstands und der Hamas, getragen von einer Welle des zionistischen Chauvinismus, der überwältigende Teile der israelischen Bevölkerung erfasst hatte. Das Maximalziel der Vernichtung des bewaffneten Widerstands war von Anfang an unrealistisch und wurde daher auch nicht proklamiert. Die Zerstörung zahlreicher Tunnelanlagen diente schließlich sowohl als Rechtfertigung des Krieges als auch seiner Beendigung.

Doch bei der Bewertung des Ergebnisses muss vor allem die extreme Asymmetrie der Seiten in Rechnung gestellt werden.

2) Widerstand bestätigt

Gaza wurde massiv zerstört. Es gab tausende Tote und Verletzte. Das menschliche Elend ist schier unsäglich. Es gibt also keinen Anlass für Triumphgeschrei.

Doch unter dem Strich hat der militärische Widerstand durchgehalten – und der politische konnte sich konsolidieren. Die Hamas geht gestärkt aus dem Kräftemessen hervor. Denn ein Patt darf der strategisch Schwächere als Erfolg werten.

Noch mehr, vielleicht ist die Hamas nunmehr die einzige Organisation des sunnitischen politischen Islam, die nicht alle Verbindungen zur Welt des schiitischen politischen Islam abgebrochen hat – trotz ihrer Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg. Die Unterstützung Palästinas vereinigt nach wie vor mehr als der Konfessionalismus spaltet.

3) Embargo

Der laufende Waffenstillstand verfügt über keine wirkliche Vereinbarung als Basis. Immerhin war von der Lockerung der Blockade die Rede. Der US-Außenminister hatte sich zumindest dafür ausgesprochen und es kam zu symbolischen Verbesserungen wie der Erweiterung der Fischereizone. Berichten zur Folge erreichten zahlreiche Hilfslieferungen den Streifen.

Doch das Grenzregime kann sich leicht und schnell ändern. Vieles hängt von den Launen der ägyptischen Militärs ab, die so fest auf der Seite Israels stehen wie noch nie.

Auch in der Zukunft wird also die wesentliche Auseinandersetzung um die Lockerung und Aufhebung der globalen Blockade gegen Gaza und damit die Anerkennung des palästinensischen Widerstands gehen.

4) Kosten für Israel und die regionale Ordnung

Unmittelbar glaubt Israel sich die kompromisslose Isolierung des palästinensischen Widerstands leisten zu können, auch dank der extrem hohen Zustimmung im Land selbst. Doch eine Politik der verbrannten Erde verbrennt tatsächlich etwas. Langfristig staut sich eine Gegenreaktion auf: die totale Feindschaft der palästinensischen, arabischen und islamischen Volksmassen, die Diskreditierung in der westlichen Öffentlichkeit angesichts des Widerspruchs zum demokratischen Diskurs und schließlich die Dysfunktionalität für die US-Herrschaftsinteressen in der Region, die Reaktionen aus der Herrschaftselite selbst hervorrufen könnte.

Doch es ist offensichtlich, dass eine graduelle Verschiebung nicht ausreicht, um einen israelischen Kurswechsel herbeizuführen. Zu organisch ist Israel mit den USA verwoben, zu lange dauert diese richtiggehende Verschmelzung bereits an. Es bedarf einer qualitativen Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse zuungunsten der Führungsmacht USA. Die Tendenzen dazu sind deutlich sichtbar. Doch es bedarf eines einschneidenden Ereignisses, eines Umbruchs, einer Revolution, um das globale Gefüge tatsächlich zu verschieben. Der offene Ausbruch der Weltwirtschaftskrise könnte so etwas sein.

5) Niederlage des arabischen Frühlings im konfessionellen Konflikt

Die Stunde der Abrechnung mit der US-Ordnung in der Region schien 2011 geschlagen zu haben. Endlich setzten sich die Volksmassen gegen die alte Ordnung in Bewegung. Eine mächtige Welle, ja ein richtiggehender Sturm bahnte sich an, der sich durch nichts aufhalten zu lassen schien. Reihenweise fielen die rachitischen Diktaturen unter dem Ansturm.

Israel, die einzige „Demokratie des Nahen Ostens“, verteidigte mit Zähnen und Klauen die Tyrannen. Washington war klar, dass es einer Erneuerung bedurfte, dass mit dem Volks besser verbundene Kräfte die alten Regime verstärken müssten, selbst wenn das mit einem Einflussverlust einhergehen würde.

Doch die demokratisch-soziale Volksbewegungen, der arabische Tahrir, scheiterte am Verhältnis zum politischen Islam, der historischen Opposition zum Arabischen Nationalismus und gleichzeitig zu den proimperialistischen Regimen – welche oft (aber nicht nur) Degenerationsprodukte ersterer sind.

Dem Tahrir, und in ihm der historischen Linken, gelang es nicht den politischen Schlüssel zu entwickeln, der es ihnen erlaubt hätte, das im politischen Islam verschlossen liegende oppositionelle Potential für den Kampf gegen die Eliten zu heben. (Ob das überhaupt gelingen hätte können, kann retrospektiv nicht gesagt werden. Jedenfalls wurde kein systematischer Versuch unternommen.) Seitens der Linken hatte jedenfalls ein elitärer Säkularismus, der fast den Status einer eigenen Konfession erlangte, einen erheblichen Anteil an der Niederlage.

Die Islamisten zogen die (schwierige) Kooperation mit den alten Eliten vor, solange sie sich schwach fühlten. Als sie zum Zentrum des Systems mutierten, betrachteten sie den Tahrir zunehmend als ihren Hauptfeind. Die Massenopposition, die sie provozierten und produzierten und mit der sie zu keinerlei Kompromiss bereit waren, bereitete ihrerseits die Basis für den blutigen Militärputsch, der dem ganzen arabischen Frühling den Garaus machte. Die Muslimbrüder, die den Methoden nach moderate Variante des Salafismus, schaufelte so ihr eigenes Grab.

Nach einem verwandten Muster (nur noch direkter) ging die demokratisch-soziale Revolte in Syrien im konfessionellen Konflikt unter. Mit der Verweigerung jedes demokratischen Zugeständnisses und der blutigen Repression gab das Regime den Startschuss für eine von beiden Seiten betriebene konfessionell-militärische Eskalation, die mittlerweile die gesamte Region erschüttert und bei der kein Ende abzusehen ist. Die radikale, militante Variante des Salafismus, der Dschihadismus, steht am Höhepunkt seiner Macht. Doch seine Niederlage ist unausweichlich – und birgt die Gefahr der Restauration in sich.

Unter dem Strich bedeutet das gegenwärtig zwar durchaus den Zerfall der alten Ordnung, ja selbst der kolonialen Sykes-Picot-Grenzen und einen Kontrollverlust des Westens. Doch gleichzeitig lähmt der Bruderkrieg und erlaubt es Israel weiterzumachen, als ob nichts geschehen wäre.

Die Neokons wollten das „kreative Chaos“. Obama versuchte die Notbremse zu ziehen, doch es war bereits zu spät. Das Chaos ist da, doch für den globalen Hegemon erweist es sich keineswegs als kreativ. Solange sich die Araber damit aber selbst neutralisieren, bleibt Israel der einzige imperiale Fixpunkt und behält freie Hand.

Doch wehe es gelingt einst dem Chaos doch einen vereinigenden, antiimperialistischen Sinn zu geben.