Meinungsdiktatur und Staatsreligion

14.10.2014
Von A.F.Reiterer
Das neue Islamgesetz und die österreichische Politik

Es ist eines der kennzeichnendsten und bösartigsten Produkte der neuesten österreichischen Politik. Der Entwurf des neuen Islam-Gesetzes kennzeichnet die hiesige politische Klasse und ihre Bürokratie wahrhaft. Es ist ein Sprung zurück ins 18. Jahrhundert. Der Josephinismus, diese so kennzeichnende Variante des aufgeklärten Absolutismus, feiert fröhliche Urständ.

Es begann mit der Idee von der „Einheitsübersetzung“ des Koran. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, denn es zeigt gleichzeitig, dass die Herrschaften nicht die geringste Ahnung haben von dem, was sie da beschließen wollen. Der postmoderne bürokratische Staat nimmt für sich in Anspruch, einen sprachlich ungeheuer schwierigen Text aus dem 7. Jahrhundert, aus einem Arabisch, das auch für viele Spezialisten keineswegs eindeutig verständlich ist, einen verbindlichen Text zu formen. Er begreift nicht einmal, dass dies heißt: den Text großzügig interpretieren. Luther hätte seine Freude daran. Als er 1530 seinen „Sendbrief vom Dolmetschen“ schrieb, machte er Theologie, nicht etwa Übersetzung. So ein bisschen hat er das selbst begriffen, nicht vollständig. Denn es ging um einen zentralen Punkt seiner Lehre: Luther hatte übersetzt: „… der Glaube allein…“, aber in seinem lateinischen Quelltext steht nur „fides“ und nicht „sola“. Er nahm sich also eine fundamentale interpretative Freiheit. Die Idee vom Einheits-Koran geht hinter Luther und die Reformation zurück.

Irgendjemand dürfte dann dem smarten jungen Minister gesteckt haben: Die rechtlich noch immer gültige Bundesverfassung und einige der Menschenrechte, z. B. auf Religionsfreiheit, z. B. auf Meinungs- und Publikationsfreiheit, werden da tangiert. Das Ergebnis ist das Islamgesetz, und das ist um keine Spur besser, auch wenn die Einheitsübersetzung daraus verschwunden ist, aber nicht zur Gänze (vgl. § 6, 1, 5!).

Wenn dann der Bundeskanzler auf Grund dieses Gesetzes in sechs Monaten alle Vereine auflösen soll, die sich der Verbreitung des Islams widmen, dann wird die Angelegenheit gemeingefährlich. Das kann natürlich jeden anderen Verein auch treffen, dessen Sicht nicht mit der der Regierungsparteien überein stimmt. Die unsägliche Innenministerin wird vom Kurier, 12. Oktober 2014, zitiert: „Es könne nicht so sein, dass jeder, der wolle, seine Interpretation der islamischen Glaubenslehre verbreiten dürfe. Das solle nur noch mit offizieller Genehmigung einer anerkannten Religionsgesellschaft möglich sein.“ Nun wissen wir, was von Mikl-Leitner und ihrer Intelligenz zu halten ist. Aber gerade eine so offen­herzig Äußerung zeigt, was wirklich das Ziel dieser Regierung ist.

Die erste Frage ist natürlich: Wozu brauchen wir überhaupt ein Islamgesetz, eine „Anerkennung der Anhänger des Islam als Religionsgesellschaft“? Als Antwort sagt man uns: Weil auch die Katholiken, etc., als Religion anerkannt sind. Diese verquere Logik sagt viel über das unsaubere Verhältnis von Religion und modernem Staat aus. Und für Österreich ist dies besonders unsauber. Theoretisch sind Kirche und Staat getrennt. Praktisch hat der römische Katholizismus noch immer viel von seiner alten Stellung als Staatsreligion behalten. Die Habsburger und Dollfuss lassen grüßen. Das hat man dann auch auf die evangelischen Richtungen und das Judentum ausgedehnt. Um die Diskriminierung zu verschleiern, wurde sodann der Begriff der „Religionsgesellschaft“ erfunden. Anstelle die Trennung zwischen Staat und Kirche endlich sauber durchzuführen, privilegiert man eine Reihe von Konfessionen. Damit diskriminiert man alle anderen. Und vor allem diskriminiert man nichtreligiöse, säkulare Weltsichten. Alles, was über die Pflichten und Rechte eines Vereins hinausgeht, müsste erst in einer sehr gründlichen Debatte argumentiert werden.

Das gilt selbstverständlich erst recht für die Frage des Bildungssystems und der Ausbildung religiöser Ideologen. Anstelle die katholischen und evangelischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten endlich von diesen abzulösen und auszugliedern, soll eine neue islamische Fakultät gegründet werden. Der Staat soll sechs Professoren dafür finanzieren. In den Erläuterungen zum Entwurf steht übrigens ganz vorne unter „Finanzielle Auswirkungen“: keine. Das zeigt ziemlich gut, wie seriös diese Erläute­rungen sind. Interessant wird sein, wie diese Professoren auf die Grundrichtungen (Sunna, Schia) und auf die islamischen Rechtsschulen innerhalb der Sunna verteilt werden, die ja Charakteristiken einer Konfession aufweisen.

Noch einmal Erläuterungen. Das ist das reinste Kabarett-Programm. Da werden z. B. die Staatsziele aufgezählt, und dabei wird auch nicht auf die „immerwährende Neutralität“ vergessen, welche die Regierung tagtäglich bricht. Und schließlich wird die „Entwicklung der Jugend nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen“ bemüht. Und immer wieder einmal wird die „Parität“ mit den anderen Konfessionen bemüht, immer dann, wenn der Katholizismus als Vorbild dienen soll.

Schließlich kommt im § 4, 3 eine atemberaubende Bedingung: „Es muss eine positive Grundein­stellung gegenüber Gesellschaft und Staat bestehen.“Konformismus gegenüber dem mainstream wird also explizit gefordert Jeder Oppositionelle muss sich durch eine solche Formulierung unmittelbar bedroht fühlen, ganz gleich, wie divergent die Sichtweisen sein sollen.

Doch nehmen wir einmal kurz den Tatbestand eines Islamgesetzes und einer islamischen Religions­gesellschaft laut einem solchen Gesetz als gegeben an. Welche Funktion haben dann Bestimmungen wie der § 8, 4? „Kultusgemeinden“, also lokale kultische Zweigstellen, wenn man will, „Pfarren“, müssen mindestens 300 Mitglieder haben. Was geht das um Gottes willen den Staat an? Oder § 9,4: Der Bundeskanzler hat in inneren Streitigkeiten als Schiedsrichter zu fungieren. Man glaubt vorerst nicht richtig zu lesen. Oder § 11,2 : „Seelsorger“ müssen ganz bestimmte Bedingungen erfüllen, „fachliche und persönliche Eignung“ aufweisen. Und die wird durch Absolvierung dieses österrei­chischen Studiums nachgewiesen. Oder § 17, 1: Die Statuten müssen vom Bundeskanzler genehmigt werden.

Was hier ganz offen angestrebt wird, ist eine Disziplinierungs-Institution nach dem Vorbild der vatika­nisch-katholischen Kirche. Weil man dem aber noch immer nicht ganz traut, wird die Institution auch noch unter staatliches Kuratell gestellt. Es ist schon eigenartig, dass ausgerechnet eine Institution als Vorbild dient, in welcher die Frauen noch immer keineswegs gleichberechtigt sind, für eine Richtung, an welche einer der Hauptvorwürfe stets ist: Ihr gebt den Frauen nicht die gleichen Rechte. Abgesehen davon, ist der hochzentralisierte Katholizismus in keiner Weise ein passendes Modell für eine Glaubensrichtung, welche kein Zentrum hat, und welche außerordentlich stark fragmentiert ist.

Dieser Entwurf ist ein einziger Skandal, gerade für einen säkularisierten und konfessionslosen Menschen. Man muss ihn als regelrecht gemeingefährlich einstufen. Die Bürokratie wirft sich zum Richter darüber auf, was in Hinkunft in Österreich gedacht werden darf und muss. Diese Bestrebungen sind ja nicht neu. Neu aber ist die Offenheit, mit welcher Meinungs-und Versammlungsfreiheit missachtet und abgeschafft werden. Und neu ist auch, dass im religiösen Bereich das Bestehende in einer Art privilegiert werden soll, welche wir in unserer Naivität wirklich für sehr lange Vergangenheit gehalten hätten. Und wir wissen: Das ist der Anfang. Im Moment rührt sich die Bevölkerung nicht, weil nach der Dampfwalze der heuchlerischen Bericht-Erstattung über das Geschehen im Nahen Osten wieder eine anti-islamische Stimmung besteht. Wir werden sehen, wer die nächsten sind, die ins Visier der neuen bürokratischen Inquisition gerät.

2014/10/14