Euro: Trennung im Konsens

25.01.2015
Italienischer Exminister im Interview
Von Wilhelm Langthaler
Der Italiener Stefano Fassina ist Wirtschaftswissenschaftler und arbeitete unter anderem für den IWF und die Interamerikanische Entwicklungsbank. Er war Verantwortlicher der Demokratischen Partei (PD) für Wirtschaft und Arbeit. In der Regierung Enrico Letta diente er 2013 als stellvertretender Wirtschaftsminister. Aus Protest gegen die Politik des neuen Premiers Matteo Renzi trat er im Januar 2014 zurück. Fassina gilt als einer der wichtigsten Exponenten des linken Flügels der PD und spricht sich für einen Austritt Italiens aus dem Euro aus.

Italiens Regierungschef Matteo Renzi peitscht das von Deutschland verordnete neoliberale Programm nach dem »Modell Gerhard Schröder« durch: Runter mit den Löhnen, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Warum sind Sie dagegen?

Vor allem, weil hier nur ein Teil von Schröders Programm zur Anwendung kommt, nämlich jener der immer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Es fehlt der Teil, der Investitionen der Unternehmen vorsah und auch zu solchen führte.

Zweitens, weil Wachstum über Senkung der Arbeitskosten nur dann funktioniert, wenn sie von einigen Staaten betrieben wird, während die anderen importieren. Das führt auf Dauer aber zu einem Nachfrageloch, und die gesamte Euro-Zone fällt in die Deflation. Genau in dieser Situation befinden wir uns gegenwärtig.

Es gibt in Italien viele Streiks und Demonstrationen – sehen Sie die Chance, dass Renzi einlenkt?

Die Mobilisierungen sind notwendig, um die Kräfteverhältnisse auf dem politischen Terrain zu ändern. Aber sie müssen angesichts der Regierungspolitik ausgeweitet werden – die führt nämlich zur ständigen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitsbedingungen.

Sie fordern die »kooperative Überwindung« des Euro, die geordnete Auflösung also. Wie und warum soll das funktionieren?

Weil die Euro-Zone die nötigen Voraussetzungen nicht hat, um die notwendigen Korrekturen zu veranlassen. Nötig wäre es, nach Möglichkeiten zu suchen, sich im Konsens zu trennen und ein plurales Währungsregime einzuführen. Ansonsten wird die »Titanic Europa« am Eisberg der xenophoben Rechten zerschellen. Das ist ein schwieriger Weg, aber stillzuhalten hieße, sich mit dem Schlimmsten abzufinden.

Von der Politik des billigen Geldes und den Bankenhilfen abgesehen, blockieren Berlin und Brüssel jegliche Nachfragesteigerung im Sinne des Keynesianismus – und Renzi folgt ihnen. Mit welchen Kräften und Bündnissen wollen Sie diese Front der europäischen Eliten, der italienischen eingeschlossen, brechen?

Renzi scheint die Notwendigkeit einer Politik der Förderung der Nachfrage verstanden zu haben. Er hat die italienische EU-Ratspräsidentschaft allerdings schlecht geführt. Anstatt sich auf die Aufweichung gegebener Regeln zu konzentrieren, hätte er eine »Operation Wahrheit« hinsichtlich der Unhaltbarkeit des merkantilistischen Kurses einleiten müssen. Es bedarf der Allianz der am meisten in Schwierigkeiten geratenen Länder sowie jener Kräfte der Linken, die bewusst und entschieden für einen Kurswechsel eintreten. Leider ordnen sich große Teile der Europäischen Sozialisten (SPE) dem liberalistischen Merkantilismus unter.

Auch die Lega Nord fordert den Austritt aus dem Euro in Verbindung mit einem xenophoben und neoliberalen Programm. Welches Verhältnis haben Sie zu solchen Kräften?

Wir haben keinerlei Beziehung zur Lega. Wir wollen die nationalen Interessen wieder in die eigene Hand nehmen, ohne in die Sackgasse des Nationalismus zu gehen.

Der letzte Versuch eines keynesianischen Programms war der des französischen Präsidenten François Mitterrand in den 80er Jahren. Was wollen Sie anders machen?

Kämen wir an die Regierung, würden wir eine expansive Budgetpolitik ein- führen, die die Wirtschaft wieder auf die Beine bringt. Die Märkte würden verstehen, dass es die einzige Möglichkeit ist, die Zahlungsunfähigkeit des Staates abzuwenden.

Quelle: www.jungewelt.de