Ein Wettlauf mit der Zeit.

28.09.2016
Von Gernot Bodner
No-Euro Forum in Italien sucht gemeinsame linke Exit-Strategie
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Der Austragungsort des dritten europaweiten No-Euro-Forums, Chianciano Terme in der Toscana, kann selbst als Symbol der Dringlichkeit einer Exit-Strategie aus dem Korsett der Währungsunion herhalten: in den 80er Jahren ein blühender Thermenort mit hunderten Hotels, in denen Arbeitnehmer und Pensionisten Kuraufenthalte verbrachten, finanziert aus einer wachsenden Wirtschaft und den ihr abgerungenen sozialen Rechten. Die Infrastruktur wirkt heute, nach 30 Jahren ohne Erneuerung, bizarr (modern gesagt „retro“) und vor allem steht sie weitgehend leer nach eineinhalb Jahrzehnten des wirtschaftlichen Niedergangs mit Rückbau des Sozialstaats und einer wachsenden Schar an Arbeitslosen und Prekären ohne Zugang zu sozialer Absicherung. Die Kongresse, die Chianciano seither regelmäßig in seinen überdimensionierten und damit billigen Unterkünften beherbergt (im Juli tagte hier etwa die Sommeruniversität der Europäischen Linken), können den Ruin des Ortes nicht aufhalten. Die große Therme des Ortes wurde jüngst von einer der italienischen Krisenbanken an einen US-amerikanischen Investor verjubelt.

Das No-Euro Forum in Chianciano brachte linke Organisationen mehrerer EU-Staaten und der Ukraine zusammen, deren Konsens der Bruch mit der Währungsunion ist. Über diese gemeinsame Plattform hinaus wurde durchaus auch intensiv die Frage diskutiert, wieweit der Euro vom Projekt EU zu trennen sei. In einem Diskussionsforum zur wirtschaftlichen Krise brachte es der italienische Wirtschaftsprofessor Ernesto Screpanti von der Universität Siena auf den Punkt: eine Änderung der Währungspolitik, ein Euro-Exit mit Rückkehr zu den nationalen Währungen, alleine sei nicht ausreichend; es brauche eine aktive Konjunkturpolitik, staatliches Eingreifen in die Wirtschaft. Der nicht optimale Währungsraum des Euro sei nicht zu trennen vom marktradikalen Korsett der EU-Verträge und ihrer Institutionen.

Die Mehrheit der teilnehmenden Organisationen in Chianciano kam aus der südeuropäischen Peripherie. Der seit der Krise 2008 beschleunigte wirtschaftliche Niedergang, die soziale Krise und die Erfahrung einer von Brüssel und Deutschland oktroyierten Austeritätspolitik haben in diesen Ländern die Zustimmungsraten zur EU massiv absinken lassen. In Spanien etwa fiel die positive Meinung der Bürger zur EU von 85 % im Jahr 2007 auf heute nur mehr 51 %, wie der Ökonom Pedro Montes von der Initiative „Raus aus dem Euro“ (Salir del Euro) berichtete. Dementsprechend rasant auch der Aufstieg neuer oppositioneller Parteien aber auch, vor allem nach der Erfahrung in Griechenland, das Umdenken in etablierten Gruppierungen, die lange dem Euro-Thema ausgewichen waren.

Italien ist für diesen Umbruch in der politischen Landschaft angesichts einer kaum mehr tragfähigen wirtschaftlich-sozialen (Banken, Staatsschulden, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit) und politischen Krise wohl das beste Beispiel. Als Partei der Unzufriedenen hat sich hier die Fünf-Sterne Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) etabliert. Kaum jemand leugnet, dass sie heute der Schlüssel eines Umbruchs ist und daher auch, wenig verwunderlich, der Gott-Sei-bei-Uns der europäischen Eliten. Trotz ihrer verschieden Tendenzen und programmatischen Undefiniertheit repräsentiert sie den Zorns gegen das nationale und europäische Establishment, der hier auch sehr klare und linke Wortführer findet wie Marco Zanni, Europaparlamentarier der M5S, der in Chianciano aus seiner Erfahrung mit der europäischen Politik anschaulich die Unreformierbarkeit der EU aufzeigte und die nationale Souveränität als Raum für die Erneuerung der Demokratie und eine soziale Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik einforderte. Interessant waren in Chianciano die Anzeichen, dass sich mit dem „Verschrotter“ Renzi an der Regierung, der letzten Karte der Euro-italienischen Eliten, nun auch in der traditionellen italienischen Linken etwas bewegt. Nicht nur die PD-Dissidenten der „Italienischen Linken“ (Sinistra Italiana) um Stefano Fassina symbolisieren dies – sie waren mit Alfredo D‘Attorre in Chianciano vertreten. Auch in der neugegründeten Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano) und anderen Neugründungen aus dem Milieu der früheren Rifondazione Comunista wächst die Klarheit, dass in Italien der Kampf gegen den Euro und für die Rückgewinnung demokratischer Souveränitätsrechte der Hebel für eine Systemopposition ist. Weiter Richtung Zentrum zielend versucht es eine Alternativa per l‘ Italia, die durch Marco Mori repräsentiert war. Die Kampagne für ein „Nein“ im Referendum über Renzis Verfassungsreform eint derzeit viele dieser Gruppen in einer inhaltlichen, wenn noch nicht allumfassend organisierten Front. Die italienischen Organisatoren des No-Euro-Forums in Chianciano, die Bewegung Programma 101, sind selbst ein Beispiel der Neugruppierung in der Krise: diese Paarung bekannter Persönlichkeiten aus dem akademischen Bereich mit einem Kern an erfahrenen Aktivisten der italienischen radikalen Linken erweist sich immer wieder als initiativer Motor und Bindeglied zwischen den lebendig geblieben Resten des alten linken Milieus und dem weiten unbearbeiteten Feld der Unzufriedenen, das sich in den 5 Stelle ausdrückt.

Die spanischen Delegationen am No-Euro-Forum waren ein Spiegelbild der Regierungskrise der iberischen Eliten, seit Podemos 2014 begann, die alte Zweiparteienlandschaft aufzuwühlen. Wenig verwunderlich ist auch in der Linken die Beziehung zu Podemos der Kernpunkt der Diskussion. Manolo Monereo, Abgeordneter des Wahlbündnisses von Podemos und Izquierda Unida (Unidos Podemos, UP) für Cordoba, stand in Chianciano für jene Linke, die Podemos als Hebel einer „neuen Transition“ gegen die neoliberale, bourbonische Republik der Nachfranco-Ära sieht. Dagegen stehen andere Teile der Anti-Euro Bewegung wie Diosdado Toledano, selbst führender Aktivist von Izquierda Unida in Katalonien, das Zusammengehen mit Podemos kritisch gegenüber: ihm scheint der Syriza-Weg vorgezeichnet, angesichts des äußerst gemäßigten Auftretens von Podemos seit den Wahlen im Dezember 2015, insbesondere auch was die Konfrontation mit dem europäischen Austeritätskurs betrifft: Podemos beschränkte sich auf die Forderung eines sozial abgefederten, wachstumsgebundenen Sanierungspfades. Alle waren sich jedoch – mit mehr oder weniger Optimismus – einig, dass die Möglichkeiten eines Bruches in Spanien noch offen sind und Podemos der Katalysator dafür ist. In einer theoretischen Debatte wurde von Manolo Monereo (UP, Spanien), Michèle Dessenne (PARDEM, Frankreich) und Carlo Formenti (Universität Lecce, Italien) auch die Frage von Populismus und Hegemonie debattiert; eine zentrale Frage angesichts der sozialen Vielfalt von gesellschaftlichen Sektoren, die von der Krise getroffen sind, des Endes der einst klaren politisch-kulturellen Trennlinien zwischen Arbeit und Kapital und auch der Mängel des Marxismus, eine brauchbare Transformationstheorie zu bieten.

Die Auseinandersetzung zwischen der griechischen Syriza-Regierung und den europäischen Institutionen im ersten Halbjahr 2015 war und ist eine treibende Kraft für den Aufbruch einer linken Tendenz gegen den Euro in vielen Ländern. In Griechenland selbst ist es jedoch trotz des eklatanten Verrats von Syriza nicht gelungen, dem neuen Austeritäts-Memorandum eine Bewegung mit ausreichender Breite entgegenzustellen, die die Syriza-ANEL Koalition in Bedrängnis bringen könnte. Der wichtigste Versuch, die Volkseinheit (Laiki Enotita, LAE) war in Chianciano mit Panagiotis Sotiris vertreten. Daneben nahmen Vertreter von Antarsya teil, die nicht in die LAE eingetreten waren, sowie die 2011 gegründete EPAM (Einheitliche Volksfront). Mit Costas Lapavitsas trat auch einer der wohl prominentesten Persönlichkeiten der linken Syriza-Dissidenten am Forum auf. Als ehemaliger Parlamentarier von Syriza und Gründungsmitglied der LAE war (und ist) er der sichtbarste Gegenpol zu ex-Finanzminister Varoufakis, der die politische Bereitschaft und wirtschaftliche Vorbereitung des Bruch mit dem Euro-System als Voraussetzung für erfolgreiche Opposition gegen die Brüsseler Memorandumspolitik aufzeigte. Heute versucht Lapavitsas mit dem Europäischen Forschungsnetzwerk für Wirtschafts- und Sozialpolitik (EReNSEP) ein gesamteuropäisches Dialogforum von Akademikern und Aktivisten aufzubauen, um eine inhaltliche und organisatorische Alternative zum Euro-System vorzubereiten, das einer Wiederholung der griechischen Tragödie vorbaut. Lapavitsas trat entschieden für den Bruch zuerst mit dem Euro und dann auch mit der EU auf. Doch gleichzeitig plädierte er für den Neuentwurf europäischer Kooperation souveräner Staaten als Gegenpol zu Nationalismus. Lapavitsas, der an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London lehrt, brachte auch eine Analyse des Brexit, den er als Hoffnung und Herausforderung darstellt: die Unterklassen beginnen sich politisch zu bewegen, ohne ausreichende Repräsentation in einer antagonistischen Linken gefunden zu haben; die unerwarteten Widersprüche in Labor mit Jeremy Corbyn sind laut Lapavitsas ein Ausdruck dieser politischen Dynamik mit noch offenem Ausgang.

Ein aktuelles Krisenmoment der europäischen Politik mit besonderer Dramatik in den Mittelmeerländern der EU ist die Migrationsfrage. Hier gab es in Chianciano eine durchaus nuancierte Debatte zwischen Panagiotis Sotiris (LAE), Albert Reiterer (Euroexit), Leonidas Chryssanthopoulos (EPAM) und Marco Mori (Alternativa per l’Italia), die sich zwischen dem klassischen Kampf um die Einheit der Unterdrückten im gemeinsamen Kampf um ihre Rechte einerseits und der Notwendigkeit einer Regulierung des Arbeitsmarktes auch und gerade für eine Bewegung/Regierung des Bruchs der Marktfreiheit andererseits bewegte. Die solidarische, antirassistische und antiimperialistische Position gegenüber den syrischen und anderen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten – in denen der Westen fast überall als eine Konfliktauslöser mit involviert ist – stand dabei für alle außer Frage.

Eine Auseinandersetzung, die bereits im Eröffnungsplenum anklang und sich in verschiedenen Foren wieder fand, war die Frage des positiven Bezugs auf die nationale Souveränität als Perspektive in der Desintegration der EU. Im Besonderen ob diese Perspektive als links konnotiert zu verstehen ist oder jenseits der traditionellen Teilung von links und rechts definiert werden muss. Die griechische EPAM und die französische PARDEM (Parti de la Demondialisation) vertraten letztere Meinung, während etwa für die LAE nationale Souveränität sich nur aus dem Konzept einer links konnotierten Volkssouveränität mit sozialistische Perspektive ergibt. Die italienische Linke Anti-Euro-Koordination interpretierte diese Frage in Analogie zu den antifaschistischen Volksfronten: innerhalb einer große gesellschaftlichen und politischen Breite, die eine einschließende Programmatik und Kultur erfordere, werde ein Kampf um politische Hegemonie ausgetragen, der durchaus eine linke und rechte Tendenz unterscheiden lässt. Letztlich ist auch die konkrete Benennung der vorhandenen Akteure nötig, die in der Theorie des Endes der „links-rechts Dichotomie“ oft zu kurz kommt: im Feld der Euro-Gegner bewegen sich nun einmal auch die Rechtspopulisten wie die Front National in Frankreich, die in den Augen der Bevölkerung vor allem in den Zentrumsländern die sichtbarste Anti-Brüssel Opposition gegen die nationalen Eliten repräsentieren. Auf dieser konkreten Ebene schien keiner der Organisationen in Chianciano ein Bündnis mit rechten Souveränisten möglich und auch nicht anstrebenswert.

Bemerkenswert im gegenwärtigen Panorama ist auch Deutschland, in Chianciano mit der Bundestagsabgeordneten Inge Höger (Die Linke), dem Ökonomen Paul Steinhardt (Makroskop) und dem langjährigen politischen Aktivisten Thomas Zmrzly (Eurexit) vertreten. Wie Paul Steinhardt darlegte, sind Deutschlands Eliten ideologisch tief anti-keynesianisch und werden die Idee der Austerität als Programm für Europa selbst dann nicht aufgeben, wenn sie damit den Euro zugrunde richten. Vielleicht ist es gerade diese Intransigenz der deutschen Eliten, die in den Griechenland-Verhandlungen der Öffentlichkeit als Lehrstück präsentiert wurde, die in Deutschland in verschiedenen Bereichen (ATTAC, Die Linke, verschiedene Wissenschaftler) eurokritische und Anti-Euro-Tendenzen entstehen lässt, die sich in neuen Bündnissen zusammenfinden.
Erwähnenswert war noch die Präsenz einer wichtigen ukrainischen Delegation mit Alexej Albu (Borotba), Vasilji Volga (Union der Linken Kräfte) und Gewerkschaftern aus Odessa. In einer Situation der neuerlichen Regierungsoffensive gegen die ukrainische Opposition, wie immer mir direkter Beteiligung der ukrainischen Neonazis als Stoßtruppen, zeigt Europa keineswegs das Bild eines Friedensprojekts (siehe dazu die Resolution auf www.ukraine-frieden.org). Im Gegenteil, der hegemoniale Teil des Establishments heizt auf Seite der USA eine Kalte-Kriegs-Polarisierung gegen Russland an, die Öl ins Feuer des ukrainischen Konflikts gießt.

Zusammenfassend gab Chianciano ein Bild des oppositionellen Aufbruchs innerhalb einzelner Länder als auch in der übernationalen europaweiten Koordination. Angesichts der ungelösten sozial-ökonomischen Krise, den immer deutlicheren Tendenzen der EU-Desintegration und der autoritärer Machtzentralisierung in Brüssel/Berlin, kommt dieser Aufbruch von links sehr spät – vor allem angesichts des rechten Vormarsches in vielen Ländern -, ist programmatisch noch im Fluss und organisatorisch dispers. Aber er ist vielfältig sichtbar und wächst. In der gegenwärtigen Phase geht es um einen politischen Minimalkonsens, der die verschiedenen Kräfte in einer offenen solidarischen Debatte zusammenbringt, sichtbar und handlungsfähig macht. Der Kampf gegen das Korsett des Euro hat sich auch in Chianciano bei aller Vielfalt der Strömungen und Länderspezifika als diese vereinheitlichende Plattform herausgeschält. Die noch in diesem Jahr unter ähnlicher Zielsetzung stattfindenden Konferenzen in Kopenhagen und Paris bestätigen, dass sich endlich etwas bewegt in der europäischen Linken.

25. September 2016

Verweise