Amnesty International fordert die Freilassung von PFLP-Mitgliedern

08.02.2002

Democratic Palestine Nr. 98/99, Oktober/November 2001

Amnnesty International zeigt sich besorgt darüber, dass die Palästinensische Nationalbehörde Mitglieder der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) ohne gesetzliche Grundlage in Haft hält.
"Die Palästinensische Nationalbehörde muss dem Urteil des palästinensischen Obersten Gerichtshofs vom 7. November 2001 nachkommen, gemäß dem Junis al-Dscharru und Dr. Rabah Muhanna sofort freigelassen werden müssen", erklärte Amnesty International.
Nach dem am 17. Oktober 2001 Mitglieder der PFLP den israelischen Tourismusminister Rechawam Se…‘ewi in Jerusalem ermordet hatten, wurden über sechzig angebliche Mitglieder der PFLP von der Palästinensischen Nationalbehörde festgenommen. Der Anwalt Junis al-Dscharru, ehemaliger Vorsitzender der palästinensischen Anwaltskammer in Gaza, und Dr. Rabah Muhanna, Vorsitzender der Vereinigung der Gesundheitsversorgungskomitees (UHWC) in Gaza, wurden am 18. Oktober 2001 verhaftet. Am 27. Oktober brachte das Palästinensische Menschenrechtszentrum die Fälle von al-Dscharru und Dr. Muhanna vor das palästinensische Höchstgericht, das die Staatsanwaltschaft aufforderte den Hintergrund der Verhaftung zu erklären. Am 4. November erklärte der palästinensische Generalstaatsanwalt Chaled al-Kidreh, dass ein Gerichtshof der Staatssicherheit für die Fälle zuständig sei, die beiden wären angeklagt die Interessen des Staats verletzt zu haben. Der palästinensische Oberste Gerichtshof wies diese Begründung am 7. November zurück und ordnete die sofortige Freilassung von al-Dscharru und Dr. Muhanna an.
"Die Palästinensische Nationalbehörde ist verpflichtet rechtsstaatliche Normen einzuhalten und Personen, deren Haft für unrechtmäßig erklärt wurde, freizulassen", stellte Amnesty International fest. Rund dreißig angebliche PFLP-Mitglieder, die im Westjordanland festgenommen worden waren, wurden bis jetzt wieder freigelassen. Mehr als dreißig weitere, die in Gaza und Ramallah seit dem 18. Oktober festgenommen wurden, sind weiterhin in Haft.
"Gegen die Verhafteten wurde keine Anklage erhoben, ihre Rechte wurden ignoriert und viele der Verhafteten durften keine Besuche ihrer Familien empfangen", sagt Amnesty International. "Es ist wichtig, dass alle Verhafteten gemäß der palästinensischen Gesetze und nach internationalen Standards behandelt werden."
Amnesty International zeigte sich besorgt, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Fälle den Staatssicherheitsgerichten übertragen hat: "Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten werden fast ausschließlich von Richtern der Geheimdienste geleitet, sie finden im Schnellverfahren statt und sind absolut unfair. Die Unschuldsvermutung und die Rechte der Verteidigung werden von diesen Gerichten grundsätzlich nicht anerkannt."
Amnesty International drückte weiters seine Besorgnis über die Verhängung von Verwaltungshaft von sechs bis zwölf Monaten gegen angebliche Mitglieder des Islamischen Jihad aus. Die Menschenrechtsorganisation betont, dass die Palästinensische Nationalbehörde verpflichtet ist, strafbare Handlungen zu verfolgen: "Personen, die Zivilisten ermorden, müssen vor Gericht gestellt und bestraft werden, aber das Recht auf eine faire Verhandlung vor Gericht muss respektiert werden."
Auf welche rechtliche Grundlage die Verhängung der Verwaltungshaft durch die Polizeibehörden sich stützt ist unklar, denn die palästinensischen Gesetze – auch das Strafprozessrecht aus dem Jahr 2001 – sehen keine Verwaltungshaft vor.
"In einem Rechtsstaat besteht ein grundsätzlicher Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, d.h. der Staat muss eine Verhaftung begründen können und die Verhafteten haben das Recht, diese Begründung mit Unterstützung eines Anwalts anzufechten", sagt Amnesty International. "Menschenrechtsorganisationen protestieren seit Jahren gegen Verwaltungshaft in Israel. Wir sind schockiert, dass die Palästinensische Nationalbehörde sich nun ebenfalls dieser willkürlichen und unrechtmäßigen Maßnahme bedient."
Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen willkürliche Haft hat Israel in der Vergangenheit mehrmals wegen der Verhängung von Verwaltungshaft in den besetzten Gebieten verurteilt und festgestellt, dass "individuelle Freiheit nicht dem Unvermögen der Regierung Beweise vorzulegen zum Opfer fallen darf."

Hintergrund
Hunderte Palästinenser wurden in den Jahren zwischen 1995 und Oktober 2000 von der Palästinensischen Nationalbehörde ohne gesetzliche Grundlage für Monate oder Jahre inhaftiert. Die meisten wurden im Oktober 2000, nach dem Beginn der neuen Intifada freigelassen. Ihre Inhaftierung und die Inhaftierungen des letzten Monats, geschahen unter dem Druck Israels und der internationalen Gemeinschaft, Militante zu verhaften.
Amnesty International fordert die Palästinensische Nationalbehörde auf, alle Gewissensgefangenen, die auf Grund ihrer Überzeugung festgehalten werden und niemals Gewalttaten begangen oder zu Gewalt aufgerufen haben, freizulassen. "Alle politischen Gefangenen müssen entweder sofort freigelassen werden oder rasch einem ordentlichen Gerichtsverfahren zugeführt werden, vor Gerichten, die eine faire Verhandlung gemäß internationalen Rechtsnormen garantieren können."