Bittere Ernte

23.06.2002

Der palästinensische Widerstand muss nach der Niederlage der Zweiten Intifada seine Strategie überdenken

Das Ende der Zweiten Intifada

10. März 2002. Die israelische Armee beginnt die größte Militäroffensive gegen den palästinensischen Widerstand seit der Invasion des Libanons 1982. Mit dem partiellen Truppenrückzugsbefehl Scharons am 1. Mai ist die Operation "Schutzwall" zu Ende und die Belagerung der Residenz Arafats Al Mokata wird aufgehoben.
Allerdings muss daran erinnert werden, dass das Ende dieses Massakers nur dadurch möglich wurde, dass die Palästinensische Nationalbehörde (PNA) den Vorschlag Bushs akzeptierte, die sechs von Arafat festgenommen Kämpfer in ein Gefängnis unter angloamerikanischer Aufsicht auszuliefern. (Unter ihnen der Generalsekretär der PFLP Saadat und vier Aktivisten der Partei, die des Anschlags auf den zionistischen Minister Ze´evi beschuldigt werden.) Nicht zu vergessen, die Verhaftung von Marwan Barguti durch zionistische Spezialeinheiten unter Umständen, die die Kooperation von Arafats Sicherheitsdiensten nahe legen.
51 Tage Inferno. So lange bedurfte Israel um den erbitterten palästinensischen Widerstand niederzuschlagen und der Zweiten Intifada ein Ende zu setzen. Die Ziele Scharons waren: Ersten so viel als möglich Kämpfer zu töten und gefangen zu nehmen (nach wie vor ist die Zahl der toten Kämpfer ungekannt, ebenso der Gefangnen, die sich aber auf mehrere Tausend in Internierungslagern festgehaltene belaufen dürfte). Zweitens den radikalen Flügel des Widerstand massiv zu schwächen, einen kooperationsbereiten Flügel zu fördern und so die PNA und Arafat zu einer Kapitulation zu zwingen oder zumindest zu einem "Friedensplan", der noch weit ungünstiger als jener von Oslo ist.
Vielleicht ist es für eine definitive Antwort noch zu früh, doch uns scheint, als hätte Scharon seine Ziele im wesentlichen erreicht. Die revolutionäre und antiimperialistische Welle der Zweiten Intifada scheint sich erschöpft zu haben.
Wenn die Dinge so stehen, dann bleibt es keinem ernsten Aktivisten, dem die palästinensische Sache am Herzen liegt, erspart, sich einige grundlegenden Fragen zu stellen: Wenn der Wiederstand eine neue Niederlage erlitten hat, welches Ausmaß hat sie? Und warum? Wird das eine neue Orientierung der Bewegung hervorbringen, so wie nach den bisherigen Niederlagen? Und wenn ja, welche? Und welche Auswirkungen werden die letzten Ereignisse auf die Situation im Nahen Osten haben und wie wird die USA darauf reagieren?

Eine Serie von Niederlagen

Der palästinensische Widerstand kann nun bereits auf ein Jahrhundert Geschichte zurückblicken. Seine ersten Schritte reichen zum Beginn der zionistischen Landnahme zurück. Seit 1920 gab es eine ganze Reihe von Rebellionen und Volksaufständen, in denen die armen Klassen aus Stadt und Land eine hervorragende Rolle spielten, trotz des systematischen Verrats der feudalen und bürgerlichen arabischen Kräfte. Dennoch endeten alle Kämpfe in schmerzhaften Niederlagen. Die wichtigste war die Nakba (arabisch: Katastrophe) im Krieg von 1948, wo durch unsägliche Massaker rund eine Million Araber vertrieben wurden und die schließlich zur Gründung des Staates Israel führte. 1956 musste sich Ägypten militärisch der franko-britischen Aggression beugen, auch wenn die darauffolgende Nationalisierung des Suez-Kanals den Anstoß für den Aufstieg des arabischen Nationalismus gab. Im Sechs-Tage-Krieg von 1967 erlitten die koalierten arabischen Staaten die furchtbarsten Niederlage, die zur Besetzung des Sinai, des Golan, Gazas und des Westjordanlands führte. Nachdem sich die bewaffneten palästinensischen Kräfte nach Jordanien zurückgezogen hatten, griff die haschemitische Armee 1970-71 die Flüchtlingslager an, um den Widerstand zu liquidieren. Dieser musste sich in den Libanon flüchten. Nach dem Zwischenspiel des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 als Ägypten und Syrien überraschend Israel angriffen, wurde die palästinensische Bewegung in den libanesischen Bürgerkrieg verstrickt, in den Israel 1982 mit der Invasion massiv eingriff. Trotz des zähen Widerstands, der die israelischen Truppen im Süden von Beirut in verlustreiche Kämpfe verwickelte, mussten die palästinensische Guerilla entwaffnet und auf die verschiedenen arabischen Länder verteilt werden (so wie es Israel seit 1975 forderte). 1987 begann in den besetzten Gebieten selbst die erste Intifada, eine richtiggehende Volkserhebung, die erst nach den Verträgen von Oslo 1993 zum Erliegen kam.
Es ist daher bemerkenswert, dass die palästinensische Befreiungsbewegung trotz zahllosen im Verlauf von 80 Jahren erlittenen Niederlagen ein der weltpolitischen Bühne einen hervorragenden Platz einnimmt. Das hängt mit folgenden Faktoren zusammen: 1. Palästina ist die wichtigste offene Wunde der Neuen Weltordnung. Während der Postmodernismus und die Globalisierung gefeiert wird, muss der Westen geschockt feststellen, dass er mit einem unlösbaren Problem aus seinem kolonialen Erbe auf den Boden der Realität zurückgeholt wird. 2. In dem Maße in dem der palästinensische Widerstand nicht nur gegen den Imperialismus, sondern gegen eine besonders brutale und grausame Form des Kolonialismus kämpft, wird er zum weltweiten Symbol eines gerechten Freiheitskampfes, einen unversöhnlichen Kampfes zwischen Recht und Unrecht, zwischen Unterdrückten und Unterdrückern. 3. Die Palästina-Frage hat weiteres für die arabischen Massen eine große symbolische Bedeutung. Sie hält die panarabische Perspektive der nationalen Vereinigung offen. Mit dem Aufkommen des politischen Islam in der zweiten Hälfte der 70er Jahre stieg ihre symbolische Bedeutung noch weiter, insofern als die Befreiung Palästinas zur conditio sine qua non der Befreiung der Muslime nach jahrhundertelanger Unterdrückung erhoben wurde. 4. Der zu bekämpfende Feind, der zionistische Staat, ist nicht irgend ein Gegner, sondern er ist ein entscheidendes Werkzeug der imperialistischen Strategie im Nahen Osten, der aus bekannten Gründen für das internationale kapitalistische System von zentraler Bedeutung bleibt.
Wenn es auch keinen Zweifel darüber gegen kann, dass die palästinensische Bewegung in den letzten Monaten eine schwere Niederlage einstecken musste, so ist es Israel und seinen imperialistischen Verbündeten keineswegs gelungen, den Konflikt grundlegend zu ihren Gunsten zu lösen. Selbst das Ziel eine Reihe von Bantustans angeführt von unterschiedlichen Quislingen konnten sie bis dato nicht in die Tat umsetzen.

Die Gründe für das neuerliche Debakel

Im Verlauf der Punischen Kriege verlor die Römische Republik praktisch alle Schlachten gegen die Karthager, aber zum Schluss gewannen sie den Krieg. Kann das auch für Palästina angenommen werden?
Die palästinensische Befreiungsbewegung durchlief mehrere Etappen, doch niemals konnte Israel in seinen Grundfesten erschüttert werden. Da die palästinensische Frage zutiefst international ist, wird das palästinensische Volk seine Freiheit nur nach einer grundlegenden Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse erlangen. Solange der Imperialismus über ausreichende Ressourcen zur Aufrechterhaltung seiner weltweiten Herrschaft verfügt, solange die USA in Nahost nicht nur auf Israel, sondern auch auf einen Großteil der arabischen Regime zählen können, solange Israel, Ägypten, Jordanien mit massiver finanziellen und militärischer nordamerikanischer Unterstützung rechnen können, wird Palästina das Selbstbestimmungsrecht verweigert bleiben (es sei denn in Form eines von Israel gänzlich abhängigen verstümmelten Ministaates).
Die fundamentale Ursache der abermaligen Niederlage liegt an dem enormen Ungleichgewicht der Kräfte und in der politischen Isolierung der Intifada. Das verringert jedoch in keiner Weise die Verantwortung der palästinensischen Führungsgruppen, die sich allesamt als einem furchtbaren empiristischen Taktizismus verfallen erwiesen haben, bar jeder längerfristigen strategischen Vision. Man sollte jedoch die begangenen politischen Fehler richtig bewerten, insofern als man nicht annehmen kann, dass, wenn diese nicht gegangen worden wären, der Sieg erzielbar gewesen wäre. Der Gang der Dinge wäre mit Sicherheit anders gewesen, wenn Arafat die Oslo-Verträge nicht unterzeichnet hätte, wenn er nicht in die Falle getappt wäre zu glauben, dass Israel einen wirklich souveränen Staat in Gaza und Cisjordanien jemals dulden würde. Arafat war von seiner Megalomanie geblendet, die sich auch in der autokratischen Form ausdrückte, die die von ihm geschaffene PNA annahm.
Die erlittene Niederlage stellte alle politischen Strömungen der palästinensischen Bewegung abermals auf den historischen Prüfstand, von den moderatesten prozionistischen angefangen, über die PFLP, die Opfer ihrer Schwankungen und ihrer Unentschlossenheit ist, bis hin zum mystisch-religiösen Radikalismus der Hamas. Man muss den Mut haben, die Schlussfolgerungen aus der Niederlage klar auszusprechen. Die beiden Pole, um die sich die Bewegung gruppierte, der Opportunismus und der Militarismus, haben sich als falsch erwiesen. Sowohl jene, die auf Friedensverhandlungen setzten, als auch jene, die im Guerillakrieg die einzige Lösung sahen, sollten doch den kürzlichen Waffengang mit Israel eines besseren belehrt worden sein.
1986 änderte Arafat die PLO-Charta und erkannte das Existenzrecht Israels an. Sechszehn Jahre sind eine ausreichend lange Zeitspanne um ein historisches Urteil über Verhandlungsstrategie Arafats zu fällen: ein kolossales Scheitern. Israel wird niemals die Kontrolle über den Jordan abgeben, genauso wenig wie es die strategisch angelegten Siedlungen schleifen wird. Das heißt ein souveräner Staat mit territorialer Kontinuität an der Seite Israels bleibt gänzlich ausgeschlossen solange Israel existiert. Absolutes von den Zionisten akzeptierbares Maximum ist ein Palästina mit beschränkter Souveränität unter der Oberhoheit Israels. Die palästinensische Kompadorenbourgeoisie, die von Anfang an eine solche Lösung anstrebte, könnte nach der weitgehenden Schwächung der radikalen Kräfte, abermals dies zu verwirklichen versuchen. Ob die Kräfte des Widerstands ausreichen werden um das zu verhindern ist fraglich.
Auf der anderen Seite muss zugegeben werden, dass der Militarismus das grundlegende Problem der die Friedensverhandlungen ablehnenden palästinensischen Kräfte war und ist. Das betrifft vor allem Hamas und Dschihad, die angesichts der Mitte der 80er Jahre von der PLO aufgenommenen Verhandlungspolitik, einfach die Guerilla-Politik der palästinensischen Linken der 70er Jahre exhumierte und sogar noch verschlimmerte, wenn auch im Kontext der Volksmobilisierung in den besetzten Gebieten selbst. Was ist der Militarismus kurz gesagt? Die Überzeugung, die von den ungünstigen Kräfteverhältnissen diktierten Etappen überspringen zu können, die Phase der Defensive voluntaristisch in die Offensive zu überführen, die Vorstellung, dass der Angriff aus sich selbst heraus nicht nur die eigene Schwäche überwinden hilft, sondern auch einen unaufhaltsamen Prozess der Befreiung in Gang setzt, die vulgäre Anschauung, dass die Vernichtung des Feindes das höchste Ziel der bewaffneten Aktion wäre, dem die Politik unterzuordnen sei. Schließlich hebt sich der Militarismus durch seinen ethischen Extremismus hervor, durch seinen Idealismus: Mut, Wille, Furchtlosigkeit, Opferbereitschaft werden als Bedingungen der Macht verstanden und nicht – wie es oft der Fall ist – als Ausdruck der politischen Ohnmacht und strategischen Verzweiflung. Militarismus und Opportunismus sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Drei historische Wendungen

Vor der Nakba 1948 blieb der Widerstand aufgrund des vorkapitalistischen Charakters der Gesellschaft der feudalen Führungsschicht untergeordnet, die auf der einen Seite dazu aufrief, sich der von den Engländern unterstützten zionistischen Kolonisierung zu widersetzen, auf der anderen Seite tätigten sie mit den Zionisten gute Geschäfte in dem sie ihnen die fruchtbarsten Böden verkauften. Es war kein Zufall, dass die erste Form des bewaffneten Kampfes von Azzedin Al-Kassam, einem Imam aus armen Verhältnissen, initiiert wurde, dem in der Folge durch die feudale Führung die Predigt in der Moschee verweigert wurde. Seine Ermordung 1936 war der Auslöser für die erste wirkliche Intifada: ein unbegrenzter antizionistischer Streik, der sechs Monate andauern sollte.
Die Katastrophe von 1948 versetzte dem Widerstand einen tödlichen Schlag, der zu einen langen Phase des Rückflusses führte. Doch die politische Impotenz und der Verrat der feudalen Aristokratie zusammen mit der Tatsache, dass die zionistische Penetration den Zerfall der alten palästinensischen Gesellschaft beschleunigte, bereitete den Weg für einen grundlegenden Wandel vor. Langsam nahm eine neue politische Elite Gestalt an, die sich dem Panarabismus verschreiben sollte. 1951 wird in Beirut die Bewegung der Arabischen Nationalisten (BAN) gegründet, die von Palästinensern der Diaspora geführt wird, unter ihnen George Habash, der spätere Kopf der PFLP.
Im selben Jahr wird Yassir Arafat in Kairo Präsident des Bundes der Palästinensischen Studenten. Der Beginn der Präsidentschaft Nassers 1954 gibt den arabischen Nationalismus einen mächtigen Anstoß, der antiimperialistische Züge annimmt und sich zumindest einen sozialistischen Anstrich zu geben beginnt. Bald wird der Nasserismus nicht nur unter der palästinensischen Intelligenz, sondern in der arabischen überhaupt zur dominanten Strömung. In der bis 1967 andauernden Phase versteht sich der palästinensische Widerstand als Teil der großen arabischen Nation und setzt vor allem auf die arabische Einheit. Ein gemeinsamer Angriff der arabischen Staaten sollte Palästina vom zionistischen Joch befreien. Arafat bleibt während dieser Zeit weitgehend isoliert. Er besteht darauf, dass sich das palästinensische Volk vor allem auf die eigenen Kräfte und weder auf Nasser noch auf den Panarabismus verlassen sollte. Die Fatah entsteht Anfang der 60er Jahre und sieht sich mit der offenen Feindseligkeit von Nasser und den Nasseristen, einschließlich jener der BAN, konfrontiert. Nicht der Nasserismus, sondern die siegreiche algerische Revolution 1962 ist das Vorbild Arafats.
Die zerschmetternde Niederlage der arabischen Armeen im Krieg 1967 führt zur zweiten großen Metamorphose des Widerstands. Sie führt zur Krise des Panarabismus, zum Niedergang des Nasserismus und Falsifizierung der These der BAN, nach der die Befreiung Ergebnis eines arabischen Krieges zur Vernichtung Israels sein werde. Die Fatah-Konzeption, nach der ein palästinensischer Nationalismus Vorrang gegenüber dem panarabischen habe und sich auf die eigenen Kräfte stützen müsse, gewinnt selbst in der PLO die Oberhand. Noch 1964 wird in der Charta der PLO weder das palästinensische Volk als Souverän noch ein ihm zustehender Staat erwähnt. Palästina ist nichts als eine Region der arabischen Nation. Der vierte Nationalrat der PLO 1968 bringt die Wende und nimmt die Arafat-Thesen an: Palästina wird nun zum Vaterland der Palästinenser, das palästinensische Volk (und nicht das arabische im allgemeinen) zum Träger der Selbstbestimmung und der bewaffnete Kampf zur einzigen Strategie diese zu erreichen erklärt.
Der Guerillakampf gegen die zionistische Besatzung ausgehend von den angrenzenden Nachbarländern, von Fatah 1964 ganz alleine aufgenommen, wird zu strategischen Achse der Gesamtheit des palästinensischen Widerstands. Es herrscht die Ansicht, dass ausgehend von einigen befreiten Zonen ein schneller und fulminanter Sieg möglich wäre.
Dieser Periode ist einerseits vom politischen und militärischen Wachstum des Befreiungskampfes, auf der anderen Seite vom Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten 1978 und vom blutigen Bürgerkrieg im Libanon gekennzeichnet und dauert bis zur Invasion 1982 fort. Mit der Besetzung des letzten Rückzuggebietes der Partisanen scheint auch die Strategie des Guerillakrieges von den Tatsachen überholt zu sein. Der Widerstand und allen voran Fatah sucht nun nach einem Ausweg aus der Sackgasse, einem neuen Weg.

Die Intifada – die letzte Wendung

Der dritte Schwenk des Widerstands wird von Arafat 1986 eingeleitet, als er überraschend in Verletzung der PLO-Charta das Existenzrecht Israels anerkannte und im Gegenzug den israelischen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten fordert. Dies mag als 180-Grad-Wendung erschienen sein, doch tatsächlich gab es schon ab Mitte der 70er-Jahre innerhalb der Fatah in diese Richtung gehende Vorschläge. Trotz der scharfen Kritik der Linken wird die neue Linie zur Gründung eines Mini-Staates in den besetzten Gebieten 1988 in Algerien vom Nationalrat der PLO abgesegnet. Damit öffnen sich die Tore für die Konferenz von Madrid (1991), die den Verträgen von Oslo (1993) den Weg ebneten. Jedoch ist der von der Fatah und der PLO eingeschlagene Weg der Friedensverhandlungen nur eine Linie, dem nicht alle folgen.
Das vom Niedergang und Scheitern des Panarabismus hinterlassene Vakuum schuf seit Mitte der 70er Jahre die Voraussetzungen für den Aufstieg des politischen Islam. Insbesondere unter den Palästinensern kommt es zu einer richtiggehenden Wiedergeburt des Moslembrüder. Obwohl in der Diaspora abwesend, bleiben sie im Westjordanland und besonders in Gaza aktiv. Der Sieg Khomeinis 1979 und die Niederlage der PLO im Libanon verschiebt die Sympathien zunehmend zugunsten dessen, was gemeinhin als islamischer "Fundamentalismus bezeichnet" wird.
1987 gründet der palästinensische Zweig der Moslembrüder die Hamas. Das ist vor allem deswegen ein wichtiges Ereignis, weil damit die den Moslembrüdern eigenen den politischen Kampf beschränkenden Vorstellungen überwunden werden und sich Hamas von Anfang an als Bewegung für die nationale Befreiung versteht. Die Arafat´sche Linie eines Ministaates kategorisch zurückweisen, stellt sie sich frontal gegen die Verhandlungen mit Israel und damit auch gegen die PLO.
Aber 1987 ist auch das Jahr des Beginns der Intifada, des Volksaufstandes in Gaza und im Westjordanland. Die "Palästinenser von drinnen" werden zum ersten mal zum Motor des Widerstands und ersetzen jene aus der Diaspora, die bis zu diesem Zeitpunkt die Hauptrolle gespielt hatten. Abermals werden alle Komponenten des Widerstands einer Prüfung unterzogen. Die nationalistische Linke (sowohl jene wie die PFLP und DFLP die mit ihren Schwankungen letztendlich in der PLO blieben, als auch jene Kräfte, die sie bereits verlassen hatten) war angesichts der Intifada zu einer brüsken Kehrtwendung gezwungen. Obwohl sie den bewaffneten Kampf noch immer als wichtigsten Mittel verstehen, müssen sie die Guerillakonzeption an den Volksaufstand adaptieren und die eigenen Kräfte wieder in die besetzten Gebiete bringen. Doch der Schwenk kommt zu spät, wird wie immer empiristisch unter dem Druck der sich überstürzenden Ereignisse vollzogen und erlaubt den radikalen Kräften nicht die verlorene Führungsrolle zurückzugewinnen. Während die traditionellen Organisationen in den 80er Jahren eine Krise durchleben, öffnet sich dem politischen Islam vor allem in der Jugend eine Bresche. Es wird schließlich die Hamas sein, die aus der Intifada als führende Kraft mit dem tiefsten Masseneinfluss hervorgehen soll. Die überflügelte Fatah versucht mit allen Mitteln die sich ausdehnende Hegemonie der islamischen Kräfte einzudämmen und schreckt dabei in den Jahren 1991-92 vor allem in Gaza nicht einmal vor der bewaffneten Konfrontation zurück. Arafat geht beim Versuch der Delegitimierung so weit Hamas als eine Erfindung des Mossad zu bezeichnen. (Es mag sein, dass Israel anfangs darauf hoffte mittels Hamas den palästinensischen Widerstand zu spalten und folglich schwächen zu können, doch sollten die Zionisten durch die Dynamik der Bewegung bald eines besseren belehrt werden.) Es muss auch bemerkt werden, dass seit Beginn der Intifada der islamische Widerstand zahlreiche Aktionen gemeinsam mit der Linken gegen die Verträge von Oslo durchführt. Im Oktober 1991 gründen in Teharan Hamas, Dschihad sowie die Organisationen der Linken (unter ihnen die PFLP von George Habash und das PFLP-Generalkommando von Achmed Jibril) unter dem Namen "Zehn Organisationen des Widerstands" einen gemeinsamen Block. Bis heute gibt es diese Kooperation, auch wenn sie zuweilen nur sporadisch und zufällig bleibt.
Hamas lehnt die Gründung der PNA 1994, sowie jegliche Beteiligung an ihr ab und wird zur wichtigsten Oppositionsbewegung. Trotz der Präsidentschaft Arafats ist die Hegemonie der Hamas unbestritten und durch die Wahlerfolge auf allen Ebenen zwischen 1988 und 1994 belegt. Die Unterstützung geht weit über religiösen Sektoren hinaus und kann durch drei fundamentale Gründe erklärt werden: die Zurückweisung Oslos, das kapillare Netz an Sozialeinrichtungen, die den Ärmsten und den Familien der politischen Gefangenen zugute kommt, sowie eine lange Reihe von spektakulären militärischen Aktionen gegen die Armee und die israelischen Siedlungen. Tatsächlich sind es die radikalen Teile der islamischen Organisationen, die als erste das Gewehr in die Hand nehmen und den "Aufstand der Steine" radikalisieren. Während sie den Guerillakampf wiederbeleben, verwandelt sich die PLO in eine Regierungs- und Verwaltungspartei, zerfressen von einem Prozess der Degeneration und Korruption. Mitte der 90er Jahre läuft die Intifada langsam aus, auch deswegen weil das Versprechen der PNA auf die schnelle Verwirklichung eines eigenen Staates große Hoffnungen schürt. Hamas und Dschihad setzen indes ihre bewaffneten Aktionen fort und bestimmen so mit Blei und Blut zunehmend den Rhythmus der politischen und sozialen Auseinandersetzung. Auch die Zweite Intifada, die als Folge des Scheitern der Osloer Friedensverträge ausbricht und die ablehnende Haltung des islamischen Widerstands bestätigt, ist nun um so mehr gezwungen sich diesen Vorgaben unterzuordnen. Die Eskalation findet in der Attacke des Tsahal vom März und April mit dem Massaker von Dschenin ihren Höhepunkt. Doch uns scheint, dass diese Ereignisse das letztendliche Scheitern der Strategie von Hamas und Dschihad besiegeln wird.
Diese basiert gänzlich auf der Aufschaukelung des militärischen Konflikt mit Israel. Immer neue, zerstörerischere und mutigere Angriffe sollen einerseits die Stabilität der imperialistischen israelischen Gesellschaft zunehmend erschüttern und andererseits den internationalen Druck auf den zionistischen Staat so erhöhen, dass er sich schließlich aus den besetzten Gebieten zurückziehen müsse. Eine paradoxe Strategie, deren Beschränktheit heute offensichtlich ist. Der Form nach zutiefst militaristisch, überlässt sie die Überwindung des unerhörten militärischen Ungleichgewichts einem politischen Wunder. Wie sehr dabei mystische, esoterische und religiöse Vorstellungen eine Rolle spielten, die in die Hilfe Allahs und seine Allmacht vertrauten, sei dahingestellt.


Der palästinensische Phönix

Die kürzlich stattgefundene verheerende israelische Aggression hat die Untauglichkeit dieser Strategie belegt, der im letzten Jahr auch wieder die palästinensische Linke verfiel und für einen Moment die Illusion nährte, dass die Endabrechnung mit dem Zionismus vor der Tür stehe.
Wer uns kennt weiß nur zu gut, dass diese Einschätzung nichts mit den pazifistischen Litaneien so vieler westlicher Linker zu tun hat, noch mit der Infragestellung der Schahid-Kommandos, noch mit den so verbreiteten antiislamischen Vorurteilen.
Uns bewegt vielmehr das marxistische Interesse die Zusammenhänge zu verstehen und die Dynamik der Ereignisse zu erklären. Nicht aus intellektueller Eitelkeit, sondern wegen unserer Verstrickung mit und Unterstützung für den palästinensischen Widerstand – dessen Unterstützung bis zum vollständigen Sieg wir geloben.
Ein Zyklus schließt sich, ein neuer beginnt. Paradoxer Weise geht Arafat momentan aus der Tragödie gestärkt hervor. Aber seine Stärke stützt sich auf seine Hilfsfunktion für Israel und seine Verbündeten. Diese haben ihn in der Hand und halten ihn an der Macht, denn sie betrachten ihn als unverzichtbar einem geschlagenen Volk die bittere Ernte ihres Heldentums aufzuzwingen – eine Reihe von Bantustans unter israelischer Schirmherrschaft. Sie bedürfen eines Strohmanns, der ihnen die Rolle des Bantustan-Chiefs zu spielen bereit ist.
Arafat scheint zu überleben, doch nur als Zombie. Er agiert auf der Basis der politischen Leere, des verbrannten Erde, eines Meers aus Blut und Tränen, des vom Scharon geschaffenen Friedhofsfrieden.
Die Ereignisse vom 13. Mai zeigen an, dass sein Ende wenig ruhmreich sein wird. Als er das verwüstete Lager von Dschenin besuchen wollte, zerstörten die geschundenen Einwohner die Bühne von der er sprechen sollte und ließen seinen Hubschrauber nicht landen.
Der palästinensische Phönix ist immer wieder aus der Asche aufgestiegen. Das wird solange so bleiben, solange das Schicksal des palästinensischen Volkes das lebendige Symbol der die Menschheit beherrschenden Ungerechtigkeit ist. Solange Palästina in Ketten liegt, solange wird die Menschheit Sklave des Imperialismus sein.

Internationale Leninistische Strömung
Juni 2002