Bericht vom Gespräch mit dem Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands

03.07.2003

im Zusammenhang mit den Vorwürfen des Antisemitismus gegen die AIK

Am 28.1. 2003 veröffentlichte die "Aktion gegen Antisemitismus" über die
Homepage des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW)
das Dossier "Die Antiimperialistische Koordination -
Antisemitismus im linken Gewand", in dem vor allem die erwähnte AIK wegen
ihrer radikalen Kritik am Staat Israel scharf attackiert und ihr
Antisemitismus nachgesagt wurde.

Anhand des Textes war deutlich erkennbar, dass dieser zwar formal in
erster Linie gegen die AIK gerichtet war, in Wirklichkeit aber nicht mehr
und nicht weniger als die Festschreibung der schon seit Jahren von Gruppen
aus dem "antinationalen" Eck immer wieder vorgebrachten Gleichsetzung von
Kritik an Israel und Antisemitismus zum Ziel hatte.

Die dadurch in weiten Teilen der Linken entstandene Beunruhigung und
Empörung mündete schließlich in einem, von 65 Personen (die nicht der
AIK angehören und ihr großteils nicht einmal besonders nahe stehen)
aus den verschiedensten linken, antifaschistischen Strömungen
unterzeichneten, offenen Protestbrief an den Geschäftsführer des DÖW,
Herrn Dr. Wolfgang Neugebauer.

Von einer Delegation, bestehend aus Paula Abrams-Hourani (Frauen in
schwarz), Peter Melvyn (Mitglied des DÖW), Hans Anthofer
(antifaschistischer Widerstandskämpfer und Seniorsprecher des
antifaschistischen Personenkomitees Burgenland), Gerhard Drexler (KPÖ)
und Gunnar Bernhard (Behindertenbetreuer, Nachkomme einiger jüdischer
Holocaustopfer) wurde der Brief schließlich am 12.6. an Dr. Neugebauer
übergeben. Sämtliche Mitglieder der Delegation hatten den Brief
unterzeichnet.

Im Rahmen dieser Übergabe fand auch eine etwa einstündige Diskussion
zwischen Dr. Neugebauer und den Delegationsmitgliedern statt. Letztere
nahmen in ihren Eröffnungsstatements vor allem auf die aktuelle
Situation in Israel/Palästina bezug, auf die fortgesetzten
Vertreibungen, den unvermindert andauernden israelischen Siedlungsbau
in den besetzten Gebieten, den Terror der Armee und der SiedlerInnen
gegen die palästinensische Bevölkerung und den derzeitigen Bau der
Apartheidmauer. Es wurde aber auch an die Geschichte der Entstehung
des Staates Israel, die immer vom Ziel der Vertreibung der
palästinensischen Bevölkerung geprägt war, erinnert. Mehrfach wurde
dabei auf die Unzulässigkeit der Gleichsetzung von Kritik an Israel
und seiner zionistischen ideologischen Grundlage bzw. Vorgangsweise
einerseits und Antisemitismus andererseits hingewiesen. Des weiteren
wurde auf Stellen im DÖW-Dossier, die Halb- und Unwahrheiten
enthielten oder offensichtlich das Ziel hatten, nicht vorhandene
Zusammenhänge herbeizukonstruieren, aufmerksam gemacht und scharfe
Kritik an der sogenannten "antinationalen" Bewegung geübt, deren
bedingungslos pro-israelische Haltung bekannt ist und zu deren
Spielball sich das DÖW mit Veröffentlichungen wie dem erwähnten
Dossier zu machen droht (auch der Autor des Dossiers, Heribert
Schiedel, ist ein Vertreter dieser Strömung).

Dr. Neugebauer wies zunächst darauf hin, dass das besagte Dossier
keine Veröffentlichung des DÖW, sondern eben der Aktion gegen
Antisemistismus, welche Untermieterin des DÖW-Homepage ist, gewesen
sei. Während des Gesprächs stellte sich allerdings heraus, dass Dr.
Neugebauer selbst der Aktion gegen Antisemitismus angehört. Das DÖW
sei personell sehr vielfältig zusammengesetzt und pluralistisch, wobei
eben auch Raum für Veröffentlichungen wie jene von Heribert Schiedel
sei. Es sei des weiteren nicht Aufgabe des DÖW, zu Israel Stellung zu
nehmen und im Dossier sei nicht erwähnt, dass jede Kritik an Israel
antisemitisch wäre. Die Position der AIK sei aber sehr bedenklich, da
diese auf die Zerstörung des Staates Israel abziele. Zum Einwand, die
AIK stelle keineswegs das gleichberechtigte jüdische Existenzrecht im
Nahen Osten, sondern lediglich das israelische Apartheidsystem in
Frage und fordere einen binationalen Staat mit gleichen Rechten für
die jüdische und die arabische Bevölkerung, meinte Dr. Neugebauer
lediglich, das sei nicht realistisch. Er sehe den Staat Israel
positiver als die Delegationsmitglieder dies täten. Zur angesprochenen
Frage eines lebensfähigen palästinensischen Staates gab es von Dr.
Neugebauer keine konkrete Stellungnahme.

Dr. Neugebauer räumte ein, Kritik an der Politik von Ariel Sharon sei
legitim, die Kritik an Israel zeitige aber immer wieder Auswüchse, die
nicht zu tolerieren seien, etwa wenn von "Jüdischen Lobbys" die Rede sei
(wobei anzumerken ist, dass dieser Ausdruck von der AIK nicht verwendet
wird, die Ausdrücke "zionistische Lobby" und "jüdische Lobby" sind
keineswegs dasselbe).

In der Folge konzentrierte sich die Diskussion zusehends auf die AIK,
wobei Dr. Neugebauer sich sehr darüber verwundert zeigte, dass eine
Veröffentlichung, die sich ausschließlich mit AIK und RKL beschäftige,
derart massiven Protest bei Leuten, die diesen Gruppen nicht angehören,
hervorrufe. Die Gefahr, dass das Dossier zur Delegitimierung jeglicher
Kritik an Israel beitrage, sei ihm nicht ersichtlich.

Dr. Neugebauer stellte dann noch die Frage, was denn der Unterschied
zwischen den Irakreisen eines Jörg Haider und den
Solidaritätsdelegationen der AIK in den Irak gewesen sei und schien
von der Antwort, die Reisen Haiders hätten hauptsächlich der
Selbstinszenierung in Form von in den Medien entsprechend
ausgeschlachteten persönlichen Treffen mit Saddam Hussein gedient,
während die AIK aus ehrlichen, politischen, antiimperialistischen
Beweggründen gehandelt habe und Haider bei einer solchen Delegation
sicher nicht willkommen gewesen wäre, wenig beeindruckt.

Außerdem verwies Dr. Neugebauer darauf, dass die AIK exakt an dem Tag, an
dem die Diskussion stattfand, auf ihrer Homepage einen Kurzbericht, in dem
die Entlassung des jordanischen Universitätsprofessors Dr. Ibrahim Alloush
kritisiert werde, veröffentlicht hatte.
Alloush habe nicht nur Kontakte zu Holocaustrelativierern, sondern
vertrete auch selbst derartige Ansichten. Den Einwand, die AIK habe
höchstwahrscheinlich von Alloushs Holocaustrevisionismus nichts gewusst
und diesen ausschließlich deshalb verteidigt, weil er aufgrund seiner
US- und Israel-kritischen Aussagen entlassen worden sei, wies Dr.
Neugebauer zurück. Er sei sich sicher, dass Alloushs Revisionismus der AIK
bekannt gewesen sei.

Dazu ist anzumerken, dass Alloushs Revisionismus bei der AIK
tatsächlicht nicht bekannt gewesen war und dass der Artikel von der
Homepage entfernt sowie eine Entschuldigung und eine entsprechende
Erklärung veröffentlicht wurden, nachdem die AIK über Alloushs
Aussagen zum Holocaust in Kenntnis gesetzt worden war. Die AIK bekennt
sich bei gleichzeitiger schärfster Verurteilung jeglichen
Holocaustrevisionismus aber weiterhin zur Verteidigung Alloushs gegen
seine Entlassung, da diese nichts mit seinen holocaustrelativierenden
Aussagen zu tun hat, sondern eine Maßnahme ist, die alle Personen
treffen kann und wird, die sich kritisch gegenüber der amerikanischen
und israelischen Politik äußern.

Zum Abschluß hat uns Herr Dr. Neugebauer zugesagt, dass er uns in etwa
14 Tagen eine ausführlichere schriftliche Stellungnahme senden werde,
gemeinsam mit seiner Entgegnung auf einen in der Zeitschrift "Zukunft"
erschienenen Artikel, da in diesem Artikel ähnlich argumentiert wird
wie wir es getan haben. Da dieser Artikel bis heute nicht eingelangt
ist müssen wir uns auf den Inhalt des Gespräches beschränken.

Folgende Erkenntnis lässt sich aus dem Gespräch ableiten:

Es ist offensichtlich, dass Dr. Neugebauer jener Strömung innerhalb
des DÖW, die für die Verfassung und Veröffentlichung des Dossiers über
die AIK verantwortlich ist, näher steht als angenommen/erhofft, und
dass diese Strömung daher im DÖW zunehmend den Ton angibt. Es ist
daher zu befürchten, dass Kritik an Israel auch weiterhin und in
verstärktem Ausmaß mit Antisemitismus gleichgesetzt werden wird. Eine
verstärkte Aufklärungs- und Zusammenarbeit sämtlicher
antifaschistischer Personen, Gruppen und Strömungen, die der
israelischen Politik kritisch gegenüberstehen, ist unbedingt
notwendig.


Gerhard Drexler

Paula Abrams-Hourani

Peter Melvyn

Hans Anthofer

Gunnar Bernhard