Zu den Vorwürfen von Jürgen Grässlin gegen die 10-Euro-Kampagne

30.12.2003

Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegenerInnen (DFG – VK) spricht sich in einem Interview mit der Jungen Welt klar gegen die Kampagne "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand" aus.

Widerstand sei nur mit zivilen Mitteln legitim, außerdem lasse sich moralisch gegen die Methoden des Widerstandes das Kriterium der Verhältnismäßigkeit anführen.

Tatsächlich steht der irakische Widerstand in keinerlei Verhältnis dazu, was die Atommächte USA und Großbritannien mit dem Einsatz tausender Uranbomben in 2 Kriegen und 12 Jahren des mörderischsten Wirtschaftsembargos im Irak angerichtet haben und mit fortgesetzten Luftangriffen weiterhin anrichten.

Abgesehen davon findet sich im Spendenaufruf kein Wort von der Anschaffung von Waffen. Selbst wenn die aufgebrachten Mittel auch für militärischen Widerstand gegen die Besatzung verwendet werden sollten, geschieht das mit voller Deckung durch die UN-Charta, die das Recht auf Selbstverteidigung und – auch militärischen – Widerstand gegen völkerrechtswidrige Angriffe und Besatzung vorsieht.

Grässlin jedoch wörtlich: "Da die USA vorgeben, nunmehr den Übergang zu einer vom irakischen Volk gewählten Regierung leisten zu wollen, sehe ich das Recht auf militärische Selbstverteidigung als nicht gegeben an."

Bereits durch die Verwendung des Wortes "vorgeben" entlarvt Grässlin die Haltlosigkeit seiner Argumentation. Kaum jemand wird ernsthaft glauben, dass die USA eine wirklich demokratische Wahl zulassen, bei der abzusehen ist, dass Kräfte, deren Politik den US-Interessen entgegenstehen könnte, erfolgreich abschneiden würden. Außerdem spricht Grässlin schließlich selbst im Interview davon, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich gegen Besatzung und Ausbeutung des Landes zur Wehr setzt. Damit weist er – unabsichtlich – auf einen entscheidenden Punkt hin: Niemals könnte sich der Widerstand so lange und so erfolgreich halten, hätte er nicht breite Unterstützung und Verankerung im Volk. Neben anderen ist auch das ein Grund dafür, dass gerade die Unterstützung des Widerstandes demokratisch ist.

Grässlin legt eine erschreckende – aber leider für weite Teile der "Linken" und der Friedensbewegung signifikante – Kurzsichtigkeit an den Tag, wenn er nicht erkennt, dass nur eine Niederlage der USA und eine Schwächung ihrer globalen Hegemonie dem Weltfrieden dienlich sein kann, während eine Verwirklichung der amerikanischen Ziele im Irak (die Grässlin zu Beginn des Interviews zum Teil selbst beschreibt), weiteren Militärinterventionen Tür und Tor öffnen würde.

Damit nicht genug, spricht er auch noch von einer "Gefahr", dass durch die auf Eskalationspolitik hinauslaufende Unterstützung des irakischen Widerstandes "weltweit neue Guerillakriege entfacht werden" könnten. Die Möglichkeit, dass der antiimperialistische Widerstand auch in anderen Ländern erstarken könnte, wird also nicht als Hoffnung, sondern als Horrorvision erlebt.

Zu "guter" Letzt behauptet Grässlin schließlich noch, der Widerstand im Irak werde von den BetreiberInnen der 10-Euro-Kampagne mit dem Widerstand in Deutschland gegen das NS-Regime gleichgesetzt und damit der Holocaust verharmlost. Tatsächlich ist nicht die Rede vom Widerstand gegen das NS-Regime und den Holocaust, sondern gegen die faschistischen Eroberungsfeldzüge. Allerdings ist bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die USA mit der Errichtung und dem Betrieb des Gefangenenlagers in Guantanamo, in dem politische Gefangene im Zustand völliger Rechtlosigkeit festgehalten werden, einen (nicht den ersten und sicher nicht den letzten) Schritt vollzogen haben, der durchaus in der Tradition faschistischer Regimes steht. Bei dieser Anmerkung handelt es sich in keinster Weise um eine qualitative Gleichsetzung mit dem Holocaust. Der Vorwurf der Holocaustverharmlosung ist alles andere als harmlos, deshalb sei Grässlin geraten, mit solchen Unterstellungen vorsichtiger umzugehen und zuallererst in diesem Punkt seine Argumentation in aller Gründlichkeit zu überdenken.

Die Tatsache, dass, wie Grässlin verärgert feststellt, wenigstens gewisse Teile der Friedensbewegung die 10-Euro-Kampagne unterstützen, zeugt davon, dass zumindest diese Teile an dem entscheidenden Punkt angelangt sind, sich über die Ursachen von Kriegen Gedanken zu machen, anstatt einfach einen – in Wirklichkeit bestenfalls kurzfristigen - "Frieden" um jeden Preis zu fordern.