"Einige von uns wurden zu Tode gefoltert"

15.01.2006

Interview mit Abduljabbar al-Kubaysi, Vorsitzender der Irakischen
Patriotischen Allianz (IPA), der Ende
Dezember 2005 nach 16 Monaten Gefangenschaft im Irak frei gelassen wurde

"Die Verhöre und alles, was dazu gehört, waren eine Qual. Diejenigen, die
uns verhörten, wechselten ständig, die Verhöre, die wir mit verbundenen Augen
und mit gefesselten Händen und Füßen durchstehen mussten, dauerten mehr als
zwanzig Stunden. Für die Verhöre war
eine Gruppe von vier Amerikanern vom CIA oder einer anderen Instanz zuständig.
Sie wollten von uns Informationen über den Widerstand oder über die Moscheen in
Falluja und ähnliche konkrete Dinge. Bald aber drehten sich die Diskussionen um
die Frage der Besatzung." (Abduljabbar al-Kubaysi nach seiner Freilassung)

Kulu al-Arab: Können Sie uns
über Ihre Zeit in der Gefangenschaft erzählen?

Abduljabbar al-Kubaysi: Ich
wurde 16 Monate im Gefängnis am International Airport Bagdad gefangen gehalten
. Dort ist das Camp Cropper, das auch der größte Stützpunkt der Amerikaner im
Irak ist. In der ersten Zeit zeigten
mir die Amerikaner, die mich verhörten, Dossiers, von denen sie behaupteten,
dass sie Informationen über mich seit 1960 enthielten. Die mehr oder weniger
ständig stattfindenden Verhöre dauerten sechs Monate und waren politischer
Natur. Sie befragten mich sogar über arabische und ausländische politische
Persönlichkeiten. Am Ende sagten sie mir, dass sie nichts davon glauben würden,
was ich ihnen gesagt hatte. Meine Antwort war: "Das ist euer Problem."

In den ersten sechs Monaten
steckten sie mich in einen hölzernen Verschlag, der sich in einer etwas
größeren Zelle befand. Die allerersten
elf Tage musste ich sogar in einer hölzernen Schachtel zubringen, in die ich
kaum hineinpasste.

Nach diesen sechs Monaten
wurde ich transferiert und kam mit anderen politischen Gefangenen zusammen.
Während meiner Gefangenschaft konnte ich mit allen von ihnen sprechen, außer
mit Tareq Aziz und Taha Yasin Ramadan. Ich sprach oft mit Qays al-Aazami, Humam
Abdel Kader, Humam Abdel Jalek, Abdel Atawab Hwich, Ahmed Mortada, Hussam
Mohamed Amin, Sutam al-Hammud und Abd Hammud sowie mit mehreren Beamten des irakischen
Geheimdienstes. Insgesamt waren in diesem Gefängnis 103 Gefangene.

Bevor sie uns freiließen,
fragten sie, ob wir bestimmte Wünsche bezüglich unseres zukünftigen Aufenthaltsortes
hätten. Ich und fünf andere wählten Bagdad, fünf andere Tikrit, wieder andere
Aman. Unter ihnen waren Huda Saleh Ammash und Rihab Taha, die Mordanschläge
durch die Sadr Brigaden befürchteten.

65 Gefangene - führende
Politiker der ehemaligen Regierung und Mitglieder der Baath Partei - sind noch
im Gefängnis am Flughafen und warten auf Verurteilungen. Es ist aber
wahrscheinlich, dass einige von ihnen frei gelassen werden, wie Mohamed Mahdi
Saleh (ehemaliger Handelsminister) Abdel Atawab Hwich und Saad Abdel Majid
al-Faysal, die im Außenministerium arbeiteten, Fadel Mahmud Gharib und Jalil
Sarhan, Führungsmitglieder der Baath Partei, sowie Hamed Challah, Kommandant
der Luftwaffe. Zwölf Gefangene, die bisher noch keinem Richter vorgeführt
wurden, können dies für die nächste Zeit erwarten.

Nun zur Gefangenenanstalt.
Wesentlich für diese ist, dass sie vom Rest der Welt völlig isoliert ist. Der
Gefangene sieht vorerst nur amerikanische Soldaten. Erst später wurde mir und
anderen Gefangenen Kontakt zu unseren Familien erlaubt. Ich durfte alle 40 Tage
zehn Minuten Familienangehörige sehen, andere zwanzig Minuten alle vier Monate.
Diese Maßnahmen galten für uns alle.

Kulu al-Arab: Wie wurden Sie
von den Besatzern unmittelbar vor Ihrer Freilassung behandelt?

Abduljabbar al-Kubaysi: Vor
meiner Freilassung legten mir die Amerikaner eine Erklärung gegen die Anwendung
von Gewalt zur Unterschrift vor. Diese Erklärung beinhaltete auch das
Versprechen, nicht gegen die irakische Regierung und die multinationalen
Besatzungssoldaten vorzugehen. Sie verlangten von mir die Zusicherung, dass ich
mich jeder Aktivität gegen sie widersetze und dass ich all dies vor den
irakischen Sicherheitskräften
bekräftige. Weiters wurde von mir verlangt, dass ich für eineinhalb
Jahre keinerlei politische Stellungnahmen in den Medien abgeben dürfe.

Ich fragte sie, ob sie
wirklich glaubten ich würde nun mit ihnen zusammen arbeiten, und ich
verweigerte meine Unterschrift unter diese Erklärung. Ich fragte den US-General
auch, warum sie glaubten, sie könnten mich jetzt zu ihrem Spion machen, nachdem
ich so viel Zeit als ihr Gefangener verbracht hatte, gerade weil ich die
Zusammenarbeit mit ihnen verweigerte. Und ich fügte hinzu:

"Glaubt ihr wirklich ich kann
darüber schweigen, was in meinem Land vorgeht?" Dann verließ ich das Zimmer und
ging in meine Zelle. Der General kam mir nach und sagte, ich solle
ausstreichen, was ich nicht in der Erklärung haben wolle, und unterschreiben,
was ich möchte.

Das Dokument beinhaltete
einen Absatz über die "Unterstützung einer nationalen Versöhnung in einem
geeinten Irak" und einen anderen, der festhielt, dass ich davon informiert
worden sei, "dass die Baath Partei gesetzlich verboten wurde". (Anm.: Kubaysi
selbst arbeitete im Irak seit 25 Jahren gegen das damals herrschende Regime und
seine Partei!)

In einem weiteren Punkt wurde
ich aufgefordert mich jederzeit bereit zu halten, um vor einem Gericht zu
erscheinen, sofern dies notwendig wäre. Und das, obwohl ich mich während der
gesamten Zeit meiner Inhaftierung in Briefen an das Internationale Rote Kreuz
bemühte, entweder meine Freilassung oder eine Verhandlung vor einem irakischen
Richter zu erreichen. Ich konnte diese drei Punkte unterschreiben und strich
alles andere durch.

Als ich das Gefängnis
verließ, gaben sie mir ein Zertifikat, das bestätigte, dass ich ihr Gefangener
gewesen war und eine Telefonnummer, die ich im Falle einer neuerlichen
Verhaftung wählen sollte.

Kulu al-Arab: Wie verliefen
eigentlich die Verhöre genau?

Abduljabbar al-Kubaysi: Die
Verhöre und alles, was dazu gehört, waren eine Qual. Diejenigen, die uns
verhörten, wechselten ständig. Die Verhöre, die wir mit verbundenen Augen und
mit gefesselten Händen und Füßen durchstehen mussten, dauerten mehr als 20
Stunden. Für die Verhöre war eine Gruppe von vier Amerikanern vom CIA oder
einer anderen Instanz zuständig. Sie wollten von uns Informationen über den
Widerstand oder über die Moscheen in Falluja und ähnliche konkrete Dinge. Bald
aber drehten sich die Diskussionen um die Frage der Besatzung und um das Geld,
das die Besatzer dem Irak raubten. Einmal sagte ich dem, der mich gerade
verhörte, dass sie Diebe seien, was er als Lüge zurückwies. Da musste ich ihm
es noch direkter sagen, nämlich, dass er, sein Vater und sein Präsident alle
Diebe seien.

Um meine Inhaftierung zu
rechtfertigen, wurden einige Anschuldigungen vorgebracht, die aber nie als Anklagen
formuliert wurden. Sie konnten keine Anklagen konstruieren, weil sie selbst
wussten, dass ihre Anschuldigungen nicht wahr waren und nicht etwa, weil ich
sie stets zurückwies. Sie beschuldigten mich der Mobilisierung arabischer und
europäischer Kräfte gegen die Besatzung. Sie warfen mir Treffen mit Saddam
Hussein vor, die ich mit ihm gehabt hätte, um den Widerstand für die Zeit unter
der Besatzung zu organisieren. Weitere Anschuldigungen machten mich zum
politischen Koordinator der Islamisten, der Sadristen und der Baathisten neben
meiner Tätigkeit als politischer Theoretiker des Widerstands.

Einer der Leute, die mich
verhörten, legte mir Artikel, die ich geschrieben hatte als Beweis für meine
Arbeit als politischer Theoretiker des Widerstands vor. Es waren Texte, die
sich mit den Bedingungen auseinandersetzten, die ein Ende der Besatzung möglich
machen sollten. Ich gebe zu, dass ich den Widerstand unterstütze und
unterstützen werde, bis der letzte amerikanische und iranische Soldat das Land verlassen hat, aber andererseits weiß ich nicht, wer aller Teil des Widerstands
ist.

In einigen Artikeln schrieb
ich, dass vier Bedingungen erfüllt werden müssten, um die Besatzung zu beenden.
Erstens muss sich die militärische Aktivität des Widerstands geographisch
ausweiten und wachsen, sodass es ein nationaler Widerstand ohne religiöse
Differenzen wird. Zweitens müssen die Aktionen qualitativ verbessert werden,
damit den US-Streitkräften sowohl in menschlicher als auch in materieller
Hinsicht größerer Schaden entsteht. Drittens darf der Irak nicht von seiner
Umgebung isoliert werden, weder durch die Geschichte noch durch (regionale)
geopolitische Überlegungen, das heißt, die Ereignisse im Irak haben ihre
Auswirkungen auf die gesamte Region. In Hinblick auf diese Auswirkungen müssten
die Regierungen in diesem Raum, die sich zu den USA loyal verhalten, der
Bush-Administration das Risiko erklären, das sie eingeht, wenn sie weiterhin
den Irak besetzt hält und somit als Konsequenz den irakischen Widerstand stärkt
Sie müssten den USA die Augen öffnen
und ihnen die Gefahr zeigen, die für das zionistische Gebilde in Palästina
ausgeht, das sie mit ihrem Krieg eigentlich
beschützen wollen. Viertens hat die USA ihre Glaubwürdigkeit verloren. All dies
zusammen wird in den USA dazu führen, dass der Widerstand gegen die Besatzung
und den Krieg im Irak wachsen wird.

Ich wurde auch gefragt, warum
ich nicht gegen die Besatzung durch den Iran kämpfen würde. Meine Antwort war,
dass sich die iranische Besatzung von selbst erledigen wird sobald die Amerikaner
den Irak verlassen. Sie hat im
Windschatten der US-Besatzung in geringem Ausmaß im Land Fuß gefasst und wird auch mit dieser verschwinden. Die
iranische Besatzung wird von den US-Soldaten geschützt und von den Millionen
Dollars aufrechterhalten, die in die iranischen Geheimdienste und deren Unterorganisationen
fließen.

Die Antwort darauf war, dass
mit dem Ende der Besatzung ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte. Ich sagte
daraufhin: "Verschwindet und lasst uns uns gegenseitig töten. Im Iraq haben wir
uns nie exklusiv als Schiiten und Sunniten empfunden. Erst als ihr gekommen
seid und uns die iranische Regierung von al-Jaafari und die iranischen Parteien
gebracht habt, begannen wir auf diese Unterscheidung zu hören. Das alles wird
ein Ende haben, wenn ihr verschwindet. Ihr seid der Feind und eure Vertreibung
ist der einzige Weg, der uns offen steht, und das wird nur durch den Widerstand
möglich sein." Bald beleidigten wir uns gegenseitig, und ich sagte, dass mein
Verhörender nichts anderes tun könnte als mir eine Kugel durch den Kopf zu
jagen, um mich zum Schweigen zu bringen.

Später verhörte mich ein
anderer CIA-Agent und sagte mir, dass der Irak in Gefahr und die USA in großen
Schwierigkeiten wären, und dass er unsere Analyse der Situation respektieren
würde. Er versprach sie an Washington weiter zu leiten.

Kulu al-Arab: Wie schaut es
mit der Anwendung von Folter in diesem Gefängnis aus?

Abduljabbar al-Kubaysi: Bis
auf vier Menschen habe ich persönlich niemanden gesehen, der gefoltert wurde.
Ich sah Taha Yasin Ramadan, den Vizepräsidenten der Republik, blutüberströmt,
wie er versuchte seine Wunden mit Wasser und Salz zu reinigen. Folteropfer, die
ich gesehen habe, sind weiters Jamis Sarhan von Falluja, Führungsmitglied der
Baath Partei, Dr.Hazem Achaij Arrawi, ein Wissenschaftler und Mohamad Al Saghir,
ein Mitglied des Geheimdienstes.

Wenn ich von diesen Menschen
erzähle, spreche ich nicht nur von den üblichen Methoden wie die Augen zu
verbinden, die Hände zuerst hinter dem Rücken zusammen zu binden und dann an
die Füße zu fesseln und in dieser Stellung tagelang in einem kleinen hölzernen
Verschlag fest gehalten zu werden. Das sind die Qualen, die wir alle während
der Tage der Verhöre erleiden mussten.

Wenn wir aßen, mussten wir es
mit gefesselten Händen und verbundenen Augen tun. Der einzige Unterschied war,
dass die Hände nicht hinter dem Rücken sondern vorne gefesselt waren, und so mussten
wir blindlings irgendwie an das Essen kommen.

Kulu al-Arab: Ist jemand an
den Folgen der Folter gestorben?

Abduljabbar al-Kubaysi: Ja,
es starben einige Menschen an den Folgen der Folter, unter ihnen Adel Al-Duri,
der über sechzig war. Er war Führungsmitglied der Baath Partei. Hamza Zubeidi,
der ehemalige Premierminister, war schon über siebzig, und Waddah Achaij war
ein 58jähriger Sicherheitsbeamter.

Kulu al-Arab: Wie viele
hochrangige Gefangene waren in diesem Gefängnis?

Abduljabbar al-Kubaysi: Es
waren 103 Gefangene. Dann waren noch die Mitglieder des Widerstands, die von
den anderen isoliert in einem Pavillon waren, so wie ich in den ersten sechs
Monaten. In dieser Gruppe waren an die siebzehn Männer und neun Frauen. Als ich
entlassen wurde, waren sie immer noch in Isolationshaft und wir wissen nicht,
was mit ihnen passiert ist.

Kulu al-Arab: Neben
Folterungen gab es auch Bestechungsversuche. Haben Sie das auch erlebt?

Abduljabbar al-Kubaysi:
Natürlich. Sie boten mir Geld und Positionen in der neuen Regierung an. Sogar
mehr als das. Sie sagten mir: "Du kannst uns kritisieren, aber gib uns dein
Einverständnis für die Teilnahme am politischen Prozess und den Wahlen im
Dezember 2005." Ich lehnte ihr Angebot ab und deshalb, so wurde mir gesagt,
würde ich bis nach dieser Wahl nicht frei gelassen werden. So war es dann auch.
Ich sagte ihnen auch, dass ich für den Widerstand wäre und wenn es dreißig
Jahre dauern würde, würde ich sie bekämpfen. Einer der Generäle antwortete mir
mit folgenden Worten: "Stell zwei Bataillone auf und kämpfe gegen uns, aber
schreibe nichts über uns." Darauf konnte ich nur sagen: "Ich bin kein Kämpfer
mit dem Gewehr und ich bin schon über sechzig. Das einzige, was ich tun kann
ist schreiben. Und das werde ich auch weiterhin tun."

Kulu al-Arab: Was sind die
größten Probleme für die Gefangenen?

Abduljabbar al-Kubaysi: Die
Ernährung. Die Gefangenen müssen unglaublichen Hunger erleiden. Sie gaben uns
je einen Löffel Reis, ein bisschen Getreide und ein Stück Fleisch. Ich
übertreibe nicht. Als sie den Speiseplan änderten, bekamen wir drei Löffel Nudeln. Wie es in den Briefen der Gefangenen
an das Internationale Rote Kreuz klar zum Ausdruck kommt, ist der Hunger eines
der größten Probleme der Gefangenen.

Das Interview wurde auf
al-Basra.net erstmalig publiziert.

28. Dezember 2005