Unser Volk und unsere Prinzipien werden wir nicht für ausländische Hilfsleistungen verraten

28.02.2006

Erklärung von Khalid Mish'al, Vorsitzender des Politischen Büros der Hamas

Die Palästinenser wählten die Hamas, weil wir
entschlossen sind, ihre Rechte zu verteidigen. Aber wir sind bereit für den Weg
eines gerechten Friedens.

Es ist bekannt, dass für die Palästinenser Bildung
und politisches Bewusstsein einen hohen Stellenwert haben. Als sie letzten
Mittwoch zur Wahl gingen, waren sie sich ihrer Optionen bewusst und diejenigen,
die ihre Stimme der Hamas gaben, wussten auch, wofür sie steht. Sie wählten die
Hamas wegen ihres Versprechens, die legitimen Rechte des palästinensischen
Volkes nie zu verraten und den Weg eines Reformprogramms zu beschreiten. Es gab
die Stimmen, national und international, die die Palästinenser davor warnten
ihre Stimme einer Organisation zu geben, die von den USA und der Europäischen
Union als terroristische Organisation eingestuft wird. Sie wurden davor
gewarnt, dass sie durch die Ausübung ihres demokratischen Rechts zu wählen die
finanzielle Hilfe des Auslands aufs Spiel setzen könnten.

An dem Tag, an dem die Hamas die demokratischen
Wahlen in Palästina gewann, scheiterten die führenden Demokratien der Welt an
ihrem eigenen Verständnis von Demokratie. Anstatt die Hamas als die in freien
Wahlen gewählte Vertretung des palästinensischen Volkes anzuerkennen und die
von der Wahl geschaffene Tatsache als Möglichkeit zu ergreifen, anstatt die
Entwicklung einer guten Führung in Palästina zu unterstützen und das Blutvergießen
zu beenden, drohen die USA und die Europäische Union mit kollektiver Bestrafung
für ein Volk, das sein demokratisches Recht, seine parlamentarischen Vertreter
zu wählen, in Anspruch nahm.

Wir werden bestraft,
weil wir gegen die Unterdrückung Widerstand leisten und für Gerechtigkeit
kämpfen. Diejenigen, die uns heute mit Sanktionen drohen, sind genau diejenigen
Mächte, die für unser Leiden ursprünglich verantwortlich waren und seither
unsere Unterdrücker nahezu bedingungslos unterstützen. Wir, die Opfer, werden
von ihnen bestraft, während unsere
Unterdrücker größte Nachsicht genießen. Die USA und die EU hätten den Erfolg
der Hamas dafür nützen können ihre Beziehungen zu den Palästinensern, den
Arabern und der muslimischen Welt neu zu gestalten und eine Bewegung besser zu
verstehen, deren Wahrnehmung in der Weltöffentlichkeit bisher hauptsächlich
durch die zionistischen Besatzer unseres Landes geprägt war.

Unsere Botschaft an die USA und an die Regierungen
Europas ist die folgende: Euer Versuch uns dazu zu zwingen unsere Prinzipien
und unseren Kampf aufzugeben, ist zum Scheitern verurteilt. Unser Volk, das den
Tod Tausender von Märtyrern zu beklagen hat, die Millionen von Flüchtlingen,
die jetzt an die sechzig Jahre lang auf ihre Rückkehr gewartet haben und die
Kriegsgefangenen in israelischen Gefängnissen - sie alle haben ihre Opfer nicht
dafür gebracht, dass sie sich jetzt mit einer Lösung, die praktisch nichts
ihrer legitimen Rechte erfüllt, abfinden.

Die Hamas bekam das Vertrauen der Wähler
hauptsächlich für ihren unerschütterlichen Glauben an den Sieg des
palästinensischen Volkes, und die Hamas ist weder für Bestechung noch
Einschüchterung oder Erpressung empfänglich. Wir streben freundschaftliche
Beziehungen mit allen Nationen an, jedoch nicht um den Preis des Ausverkaufs
unserer legitimen Rechte. Wir haben miterlebt wie andere Nationen,
beispielsweise die Völker von Vietnam und Süd…­afrika, an ihrem Kampf
festhielten bis sich ihre Bestrebungen nach Freiheit und Gerechtigkeit
erfüllten. Bei uns ist es nicht anders, unsere Sache ist nicht weniger wert.
Wir sind genauso entschlossen unseren Kampf zu führen und wir werden genauso
viel Geduld an den Tag legen, um unsere Ziele zu erreichen.

Unsere Botschaft an die muslimischen und arabischen
Nationen ist die folgende: Ihr tragt Euren palästinensischen Brüdern und
Schwestern gegenüber Verantwortung, denn deren großer Einsatz wird auch
Euretwegen geleistet. Es sollte nicht notwendig sein, dass das palästinensische
Volk auf Hilfe von Ländern warten muss, die an jeden Dollar oder Euro, den sie
zahlen, demütigende Bedingungen knüpfen, obwohl sie die historische und
moralische Verantwortung für unser Leiden tragen. Wir erwarten von Euch, dass
Ihr jetzt Euren Beitrag leistet und den Verlust von jeder Art von Hilfe an das
palästinensische Volk kompensiert und wir verlangen, dass Ihr alle
Restriktionen aufhebt, die zivilgesellschaftliche Institutionen, die für die
palästinensische Sache Mittel aufbringen wollen, behindern.

Unsere Botschaft an die Palästinenser ist die folgende:
Unser Volk sind nicht nur diejenigen Menschen, die im Westjordanland und im
Gazastreifen unter der Besatzung leben. Wir sind auch die Millionen
Flüchtlinge, die unter den entsetzlichsten Bedingungen in den Flüchtlingslagern
im Libanon, in Jordanien und in Syrien leben müssen und die Millionen, die ohne
nach Hause zurückkehren zu dürfen über die ganze Welt verstreut sind. Wir
versprechen Euch, dass wir um nichts in der Welt unser Ziel - das Recht auf
Rückkehr und unsere Befreiung - aufgeben werden. Wir werden dabei keine Mühe
scheuen, um mit allen Fraktionen und Institutionen bei der Wiederherstellung
Palästinas zusammen zu arbeiten. Nachdem wir jetzt die Parlamentswahlen
gewonnen haben, ist es unser mittelfristiges Ziel die PLO so zu reformieren,
dass sie ihre Rolle als wahrer Repräsentant des palästinensischen Volkes wieder
voll erfüllen kann.

Unsere Botschaft an die …­Israelis ist die folgende:
Wir bekämpfen Euch nicht, weil Ihr eine bestimmte Religion und Kultur habt.
Dreizehn Jahrhunderte lang lebten Juden in Frieden und Harmonie in der
muslimischen Welt. In unserer Religion seid Ihr "die Büchergelehrten", denen
Gott durch seinen Propheten Mohammed (Friede sei mit Ihm) das Recht auf Respekt
und Schutz zusichert. Unser Konflikt mit Euch ist nicht religiöser, sondern
politischer Natur. Wir haben überhaupt kein Problem mit Juden, die uns nicht
angreifen. Unser Problem sind die Juden, die in unser Land kamen, uns mit
Gewalt unterwarfen, unsere Gesellschaft zerstörten und unsere Menschen
vertrieben.

Wir werden nie das Recht irgendeiner Macht, uns
unseres Landes und unserer nationalen Rechte zu berauben, anerkennen. Wir
werden nie die Rechtmäßigkeit eines zionistischen Staates anerkennen, der auf
unserem Land errichtet wurde, als Buße für die Sünden anderer oder als Lösung
für die Probleme anderer. Aber wenn Ihr bereit seid, das Grundprinzip für einen
langfristigen Waffenstillstand zu akzeptieren, sind wir bereit zu
Verhandlungen. Die Hamas reicht all denjenigen die Hand zum Friedensschluss,
die einen Frieden auf der Grundlage von Gerechtigkeit wirklich wollen.

Übersetzung einer Erklärung, die Khalid
Mish'al für die englische Tageszeitung The Guardian
vom 31. Januar 2006 verfasste.