"Wir lassen uns nicht in einen Krieg mit der Palästinensischen Nationalbehörde treiben"

16.03.2002

Abdel Maluh - stellvertretender Vorsitzender der PFLP

Die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), gegründet von George Habasch 1967 nach der Besetzung der Westbank, ist nach der Fatah-Bewegung von Präsident Arafat und der Hamas die drittstärkste Organisation in Palästina. In Meinungsumfragen werden ihr ca. 11% der Wählerstimmen zugesprochen. Die PFLP hat die Verträge von Oslo abgelehnt (Keine Hoffnung auf Oslo). Die Organisation übernahm die Verantwortung für die Ermordung des israelischen Tourismusministers Rechavam Se…‘evi im Oktober letzten Jahres. Mitte Januar wurde der Generalsekretär der PFLP Ahmed Sa…‘adat von der palästinensischen Autonomiebehörde festgenommen. Abdel Maluh ist sein Stellvertreter.

Nach zwei Wochen relativer Ruhe dreht sich der Kreislauf der Gewalt im israelisch-palästinensischen Verhältnis weiter. Wo sieht die PFLP die Ursachen?
Wir sehen eine wesentliche Ursache für die jetzige Situation in den Verträgen von Oslo. Unsere Organisation war von Anfang an gegen diese Art von Abkommen, weil sie in Israel die Illusion erzeugten, einen Friedensvertrag ohne eigene Zugeständnisse zu bekommen.
Welche Alternativen hat die PFLP anzubieten?
Israels muss sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen. Ein palästinensischer Stadt mit Jerusalem als Hauptstadt muss gegründet werden. Die Siedlungen in den besetzten Gebieten müssen geräumt werden und die palästinensischen Flüchtlinge ein Rückkehrrecht bekommen. Auf diese vier Punkte hatte sich die gesamte palästinensische Nationalbewegung schon vor Jahrzehnten verständigt. Das Osloer Abkommen war so schädlich, weil diese Position preisgegeben wurde. Doch die Entwicklung seit Oslo zeigt, dass ohne Klärung dieser vier Punkte kein Frieden möglich ist.
Die PFLP arbeitet mit islamistischen Organisationen wie dem Dschihad und der Hamas zusammen, also mit Organisationen, die im Fall einer Machtübernahme die Linke vernichten würde. Haben Sie aus den Erfahrungen der islamischen Revolution im Iran nichts gelernt?
Wir haben in gesellschaftlichen und sozialen Fragen erhebliche Widersprüche zu den islamistischen Organisationen. Uns ist auch bewusst, dass die Linken bei einer Machtübernahme von Hamas große Probleme haben würde. Darum müssen wir ein Kräfteverhältnis herstellen, dass eine solche Machtübernahme verhindert. Es gibt lediglich eine Zusammenarbeit zwischen den islamischen Gruppen und der PFLP im Kampf gegen die israelische Okkupation. Da arbeiten wir allerdings aber auch mit zahlreichen anderen Gruppierungen zusammen, denn das ist heute bei uns die primäre Konfrontation.
Müsste aber nicht gerade eine Organisation, die sich als marxistisch-leninistisch bezeichnet, den Klassenkampf gegen die palästinensische Bourgeoisie führen?
Es gibt selbstverständlich auch Konflikte innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Doch bis jetzt ist es uns immer gelungen, diese Konflikte einzudämmen. Denn für uns hat der Kampf gegen die Okkupation momentan Priorität.
Vor einigen Wochen veröffentlichte der israelische Außenminister Peres einen Friedensvorschlag, der zwar nicht die Zustimmung von Ministerpräsident Scharon, wohl aber der USA bekam. Ist es nicht zu früh, die Totenglocken für den Osloer Vertrag zu läuten?
Der Peres-Vorschlag ist für unser Bevölkerung keine Lösung. Denn es geht nicht wirklich um einen souveränen palästinensischen Staat mit der Verfügungsgewalt über die eigenen Ressourcen. Er ist nur Kosmetik, um die israelische Herrschaft zu verlängern. Deshalb konnte sogar Scharon bei aller Kritik in den Einzelheiten diesem Plan in den Grundzügen zustimmen.
Sind mit der Verhaftung des PFLP-Generalsekretärs Ahmed Sa…‘adat alle Kontakte zu Arafat und der palästinensischen Autonomiebehörde gekappt?
Unser Verhältnis zu Arafat ist widersprüchlich. Einerseits hat er noch sehr viel Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung. Würden jetzt Wahlen abgehalten, wäre Arafat mit weitem Abstand der Sieger. Andererseits wissen wir, dass nicht wenige in der palästinensischen Bourgeoisie einen Ausgleich mit Israel suchen und dafür große Zugeständnisse machen würden. Doch bestimmte Faktoren, vor allem die Kampfbereitschaft und Politisierung unserer Bevölkerung, verhinderte bisher, dass die palästinensische Autonomiebehörde vollständig zum Vollzugsorgan Israels wurde. So war es Arafat einfach nicht möglich, bei Verhandlungen auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge zu verzichten. Wenn Arafat unter dem Druck von Israel und der USA gegen uns vorgeht, wird er das Vertrauen der Bevölkerung verlieren. Die palästinensische Autonomiebehörde als Befehlsempfänger Tel Avivs würde nicht akzeptiert. Wir werden allerdings alles verhindern, was uns in einen innerpalästinensischen Bürgerkrieg treibt. Denn dabei würden wir alle nur verlieren.

Peter Nowak (Journalist in Berlin)