Nicht ein Kapuzenmann, sondern Hunderte

21.03.2006

Interview mit Haj Ali zu den vom Pentagon lancierten
Betrugsvorwürfen

Frage:
Was ist Ihre Reaktion auf die in mehreren Zeitungen vorgebrachten Behauptungen,
die sich auf Quellen im US-Militär berufen, nach denen Sie nicht die Person seien,
die auf den Fotos, welche als Inbegriff der Folter in Abu Ghraib um die Welt
gingen, zu sehen ist?

Haj Ali:
Wahr darin ist, dass ich nicht der einzige bin, der auf diese barbarische Art
gefoltert wurde. Fast alle in dem von mir überblickbaren Teil des Gefängnisses
wurden so behandelt. Das ändert nichts daran, dass ich einer derer bin, der auf
dieser Kiste stehen musste, mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf und mit
Elektroden an den Händen. Als Iraker, der Abu Ghraib erdulden musste, stehe
ich stellvertretend für alle diese geschundenen Menschen.

F: Was
ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Diskreditierungskampagne gegen
Sie?

H: Am Anfang
haben sie geleugnet, dass Leute auf diese Art gefoltert wurden. Dann haben sie
versucht sie als Einzelfälle darzustellen. Jetzt geben sie zu, dass sie
unzählige Menschen so gefoltert haben. Sie machen das zwar um uns zu
diskreditieren, aber so wird die Tatsache, dass diese Art von Folter kein Einzelfall
war, publik. Ich sehe das als Erfolg unserer Arbeit an. Seit meiner Freilassung
und der Gründung unseres "Vereins der Opfer der US-Gefängnisse" haben wir 1300
öffentliche Aktivitäten gegen die Besatzung und insbesondere gegen die von der
US-Armee engagierten privaten Folterfirmen unternommen. Niemand hat geglaubt, dass
unser kleiner Verein zu so was fähig wäre - ohne finanzielle Zuwendungen von
offizieller Seite. Durch hartnäckige Arbeit, durch Spenden und Hilfe von Freunden
auch in den Medien, haben wir einiges erreicht, sogar in den USA. Wir haben
unsere Stimme erfolgreich erhoben und das passt dem Pentagon nicht.

F: Die
"New York Times" spricht davon, dass der Mann auf dem Bild Abdou Hussain Saad
Faleh sei?

H: Ich
kenne diesen Mann. Es gibt auch Fotos von Said Saleh Shain aus Mosul, Spitzname
Joker, er wurde auf dieselbe Art gefoltert. Es gab noch jemanden mit dem Namen
Saddam Rawi, ihm wurden die Elektroden an die Ohren angeschlossen. Er hat heute
noch Probleme mit dem Nervensystem. Darüber hat er Anklage bei der UNO erhoben.

F: Haben
nicht auch Sie den Rechtsweg beschritten?

H: Eigentlich
ist die Anklage, die wir erhoben haben, der Hauptmotor für diese
Verleumdungskampagne, die gegen uns geführt wird. Wir sind eine unabhängige NGO,
viele Seiten haben versucht uns zu kaufen, aber wir haben unsere Neutralität gewahrt.
Die Klage wurde vor anderthalb Jahren in den USA eingereicht. Es sind 200 Einzelklagen
in einer Sammelklage zusammengefasst. Im Dezember 2004 fand das erste Treffen
mit den Anwälten statt, das zweite im Februar 2005. Die Pressekampagne hat kurz
nachdem wir weitere 50 ehemalige Häftlinge aus dem Irak nach Jordanien gebracht
haben, begonnen. Unter ihnen waren auch Frauen, die ebenso brutal gefoltert
worden waren. Wir haben jetzt eine zusammenfassende Dokumentation über die Opfer
der amerikanischen Politik, über die Entführten und Gefolterten, herausgegeben.

F: Haben
Sie auch die Folterfirmen geklagt?

H:
Unsere Kampagne richtet sich insbesondere gegen die Firma Titan Group. Das ist
ein Privatunternehmen, welches die Verhöre in den Gefängnissen durchführt. Es hat
Verbrecher unter Vertrag, die mit brutalsten Mitteln Informationen aus den Häftlingen
herausholen. Wir wissen, dass die USA mit der Mentalität einer Firma geleitet
werden. Ein wichtiges Motiv des Krieges gegen den Irak waren die Interessen
dieser Firmen, damit sie ihre Profite noch vergrößern können. Und vor allem
Halliburton, deren Besitzer Dick Cheney selber ist, sowie die anderen Firmen,
die mit der Familie Bush assoziiert sind. Die USA können einiges erdulden, aber
nicht, dass die Firmen ins Fadenkreuz kommen. Es ist ein kapitalistisches Regime,
das auf Konzerne und Profit beruht, ohne auf die Menschen Rücksicht zu nehmen.

F: Gibt
es auch Anklagen von Opfern aus britischen Gefängnissen?

H: Diese
wurden von der Irakischen Liga, deren Sitz in London ist, erhoben. Diese Liga
besteht aus Juristen, Politikern, Journalisten. Sie haben mit ehemaligen Häftlingen
aus dem Südirak Kontakt aufgenommen und mehr als 30 Klagen in England eingereicht.
Die ersten Anklagen wurden vor sechs Monaten erhoben, weitere folgten letzten Monat.

F: Wie
wurde mit Ihrer Organisation verfahren?

H: Unser
Büro in Bagdad wurde bis jetzt sechsmal von Sicherheitskräften und
Besatzungstruppen gestürmt. Dabei haben sie das Lokal jedes Mal verwüstet.
Trotzdem haben wir es geschafft, Ausstellungen zu machen und CDs zu
produzieren. Sie haben einige unserer wichtigen Mitglieder wieder in Haft
genommen.

F: Was
wird ihnen konkret vorgeworfen?

H: Die Mitgliedschaft
in unserem Verein öffentlich zu machen genügt schon. Sie haben von uns verlangt
den Namen zu ändern und aus "Besatzung" "Koalition" zu machen. Allein das Wort Besatzung
stört sie.

F: Wären
Sie bereit in Europa über Ihre Erfahrungen zu berichten?

H:
Natürlich würde ich gerne nach Europa zu kommen, um die Ungeheuerlichkeit der
Ereignisse darzustellen. Bei unserer Recherchearbeit haben wir pro Tag 20 Gefangene
getroffen. Ich bin zum Schluss gekommen, dass der Hauptmotor der Gewalt im Irak
die Entmenschlichungen durch die Besatzung ist. Durch unsere Arbeit konnte
gezeigt werden, dass es im Irak 26 Hauptgefängnisse, 76 Militärbasen, die auch
Gefängnisse beherbergen und 150 Gefängnisse von kollaborierenden Milizen gibt.
Gerade hier wird entsetzlich gefoltert. Nach dei Jahren Besatzung ist der Irak
zu einem großen Gefängnis geworden.

F: Sie
wurden neben anderen irakischen Persönlichkeiten zur Konferenz "Für einen
gerechten Frieden, mit dem irakischen Widerstand" am 2. Oktober 2005 in Rom
eingeladen. Doch die italienischen Behörden verweigerten Ihnen die Einreise.
Wie wurden Sie behandelt?

H: Das Verhalten
von italienischen Botschaftsbeamten war grob und erniedrigend. Ich lies mich
von Journalisten aus den USA und Australien begleiten. Sie haben uns mit Wachhunden
gedroht um uns aus dem Gebäude zu vertreiben. Das hat mir eine tiefe Wunde
hinterlassen, einen psychischen Schock versetzt, der mich an die Tortur im Irak
erinnerte.

F: Später
wurden Sie vom staatlichen österreichischen Fernsehen ORF eingeladen, doch Ihr
Visumsantrag wurde ein zweites Mal abgelehnt.

H: Mein
Antrag wurde ohne Begründung abgelehnt. Nun haben wir die Einsicht gewonnen,
dass sich die Regime in Europa von jenen in den arabischen Ländern und der
Dritten Welt nicht wesentlich unterscheiden. Das ist die Welt von George Bush
und seinen Alliierten. Diese Staaten, die sich als Hort von Zivilisation,
Fortschritt, Menschenrechten, Meinungsfreiheit und weiß Gott noch was darstellen,
geben dem amerikanischen Druck nach. Ihre Haltung ist Ausdruck der
amerikanischen imperialistischen Hegemonie. Es ist nicht allein nur die Tatsache,
dass das Visum abgelehnt wird, sondern das ganze Verhalten. Die Art, wie man
behandelt wird, gibt einem schon früh genug den Eindruck, dass man eine
unerwünschte Person ist und dass weitere Versuche nur weitere Probleme bringen
werden. Ich rufe das italienische, das österreichische und alle anderen
europäischen Völker dazu auf, sich mit dem irakischen Volk zu solidarisieren. Die
Europäer müssen genauer hinsehen, wie sie nach außen vertreten werden. Sonst
laufen sie Gefahr in Geiselhaft ihrer aggressiven Regierungen genommen zu
werden. Ich würde mir wünschen, dass die europäischen Länder für alle Opfer der
amerikanischen Ungerechtigkeit offen wären.

 

Amman,
21. März 2006

Doris
Höflmayer und Mohamed Aburous