"Man muss den Palästinensern die Pforte zum Leben öffnen"

20.09.2002

Vortrag von Felicia Langer

Am 21. August war Felicia Langer Gast der Grünen Bildungswerkstatt in Wien. Wir geben ihren bemerkenswerten Vortrag im Wortlaut wieder und möchten den geschätzten Leserinnen und Lesern auch die Zwischenrufe nicht vorenthalten, die nur allzu gut das hasserfüllte Klima widerspiegeln, das Israel-kritischen Menschen, insbesondere wenn es sich um Jüdinnen und Juden handelt, entgegenschlägt.

"Der Anfang ist für mich immer sehr schwer, denn ich weiß nicht, was ich am Anfang sagen soll. So viel Leid und Tränen und Blut sind in Israel/Palästina vergossen worden. Ich werde mit den Anschlägen der Palästinenser gegen Zivilisten in Israel anfangen, mit diesen Terroranschlägen, die ich aufs Schärfste verurteile, und mit dessen Opfern ich trauere. Aber ich werde hier belegen, dass wir, Israel (und ich sage "wir, Israel", weil ich eine Israelin bin), das heißt die israelische Regierung, den Weg zu den Anschlägen mit der Politik der Unterdrückung und Zermürbung der Palästinenser pflastert. Das ist eine Verurteilung (empörte Zwischenrufe), und sie soll nicht Ritual bleiben, denn sonst dreht sich die Gewaltspirale weiter und fordert immer mehr Menschenleben. Der weltweit bekannte Dichter Mahmoud Darwisch, ein Goethe der Palästinenser, wurde gefragt, warum so viele Palästinenser bereit sind sich in die Luft zu sprengen und zu sterben. Es sind Hunderte, unter ihnen Frauen, nicht nur die Fundamentalisten, die Hamas-Leute. Das ist eine neue Situation. Mahmoud Darwisch antwortete, dass das Problem der neuen Beziehung der Palästinenser zum Tod nur gelöst werden kann, wenn man ihnen die Pforte zum Leben öffnet.
Man muss den Palästinensern die Pforte zum Leben öffnen! Und wir haben die Pforte zum Leben zugesperrt, hermetisch abgeriegelt! Das ist die Antwort. Das ist auch die Antwort der Friedensbewegung in Israel, derjenigen, die heute nicht da sind. Aber ich bin da und ich betrachte mich als Vertreterin des anderen Israel. Seit Jahren habe ich Brücken zu den Palästinensern geschlagen, schon 1967/68, als noch niemand in den besetzten Gebieten war.
Ich wollte und will, damals wie heute, das andere Gesicht meines Volkes zeigen. Meine Auffassung ist, dass man die Politik ändern muss, auch um in Sicherheit leben zu können.
Wir sind militärisch gesehen die fünfte Weltmacht. Wir sind stark, wir haben atomare Waffen. Aber unsere Leute haben Angst im Kaffeehaus zu sitzen oder im Bus zu fahren.
Was ist das für ein Leben! Man muss also diese Politik grundsätzlich ändern bzw. beenden um leben zu können im Nahen Osten, gemeinsam mit den Palästinensern.
Aus Zeitgründen werde ich über die verschiedenen Invasionen nicht viel sagen, aber ich muss an dieser Stelle betonen, dass die vorletzte Invasion in die besetzten Gebiete eine zerstörerische Invasion war, die sich nicht gegen den Terror und dessen Infrastruktur, sondern gegen die Infrastruktur des Lebens richtete. Diese Invasion hat die palästinensische zivile Infrastruktur – Häuser, zivile Einrichtungen, Bildungsanstalten – zerstört.
Menschenrechtsorganisationen und Friedenskräfte – und ich bin stolz darauf, unter den Ersten gewesen zu sein - traten gegen diesen Vandalismus auf. Heute gibt es auch eine neue Generation von Wehrdienstverweigerern, die an der Unterdrückung nicht mehr teilnehmen wollen. Sie sagen klar, dass sie nicht Kriegsverbrecher sein wollen. Alle, die bei uns kämpfen – wie Gush Shalom, Peace Block oder die Frauen in Schwarz – sagen, dass das, was in den besetzten Gebieten geschieht, Kriegsverbrechen sind. Da muss man sich wehren! Diejenigen, die verweigern, sind die besten Söhne und Töchter Israels. (Applaus)
Zum Terror möchte ich noch folgendes sagen: Ein Journalist in Hebron sagte nach der ersten Invasion, es sei Sharon gelungen, die nächste Generation von Selbstmordattentätern heranzuzüchten. Das heißt, jede Aktion, jede Hinrichtung durch die israelische Armee ist eine Provokation, die die Gewaltspirale weiterdreht, wenn wir das Wichtigste – die Räumung der besetzten Gebiete – nicht tun. Wir sind seit 35 Jahren Besatzer und wir zahlen auch mit Blut dafür. Aber am meisten zahlen die Palästinenser. Es gibt UNO–Resolutionen, die verlangen, dass die Gebiete zu räumen sind. Die UNO–Resolution 242, die es seit 35 Jahren gibt, sagt klar, dass Landerwerb durch Krieg unzulässig ist und die Gebiete geräumt werden müssen. Die Palästinenser sind zum Kompromiss bereit, auf nur 22% des historischen Palästina neben Israel einen Staat zu errichten. Und was ist unsere Antwort? Wir haben den Schlüssel zum Frieden .
Ich möchte Ihnen noch sagen, warum das alles möglich ist. Es ist möglich, weil der Boss in Washington sitzt. Dort sitzt der Weltsheriff, wir sind der regionale Sheriff. ... In unserer Heimat ist alles entweder "American made" oder "American paid". Die Verteilung der Pflichten ist folgende: Die Amerikaner liefern oder bezahlen die Waffen – F 16, verschiedene schreckliche Waffen, die man gegen Zivilisten einsetzt. Der amerikanische Steuerzahler bezahlt, um das zu zerstören, was die EU-Steuerzahler gebaut haben.
Ich werde jetzt darüber sprechen, was während der ersten Invasion im Flüchtlingslager Jenin passiert ist. Es sollte eine von der UNO entsandte Untersuchungskommission kommen. Die Kommission wurde formiert und Israel sagte nein. Es ist wie eine Sondergenehmigung für Kriegsverbrechen, wenn man so einer Kommission die Arbeit verweigert. Aber warum soll man über Kommissionen sprechen? Ich werde Ihnen die Amnesty Berichte zitieren. (Zwischenrufe.) Die Menschen hatten keine medizinische Versorgung. Die Verletzten bekamen keine Hilfe und sind gestorben. Man weiß nicht, wie viele Menschen unter den Trümmern gestorben sind. Ich lese Ihnen einen überprüfbaren Bericht vor, der am 31. Mai 2002 in "Jediot Achronot", unserer wichtigsten israelischen Zeitung, veröffentlicht wurde. Es ist ein Interview mit einem Soldaten, der 75 Stunden in Jenin mit dem Bulldozer gearbeitet, d.h. zerstört hat. (...)

Zwischenruf: Die Zensur erlaubt das?

Ja, die Zensur erlaubt das, weil wir auch in Israel eine Art von Demokratie haben. (laute Zwischenrufe) Ja, Sie sehen, ich kann als israelische Staatsbürgerin das sagen, was ich sage. Aber wenn hier jemand anderer als Felicia Langer sitzen würde, könnte er das schon nicht mehr sagen. Ich als Jüdin und Israelin kann das sagen und unsere Zeitungen können es auch veröffentlichen. Mehmon Ben Welischti, ein israelischer Journalist und Stellvertreter von Teddy Kollek, hat gesagt, dass wir eine Art von Herrenvolk-Demokratie entwickelt haben. Das ist meine Antwort.
Und jetzt zu Moshe Nissim, dem Mann, den ich zitieren will. Glauben Sie mir, dass es ein Segen für Israel ist, wenn wir Israel kritisieren. (...) Moshe Nissim, der 75 Stunden lang einen Bulldozer in Jenin fuhr, sagte folgendes:"Niemand verweigerte einen Befehl ein Haus niederzureißen. Wenn sie mir sagten, zerstöre ein Haus, so benützte ich das, um gleich ein paar mehr Häuser zu zerstören. Über den Lautsprecher wurden die palästinensischen Bewohner davor gewarnt, herauszukommen, ehe ich hineinkäme. Aber ich habe keinem eine Chance gegeben. Ich wartete nicht. Ich bin sicher, dass Leute in diesen Häusern starben. Aus meiner Sicht haben wir ihnen ein Fussballfeld hinterlassen. Dort sollen sie spielen. 100 auf 100 Meter waren das Geschenk an das Flüchtlingslager." Das sagte er auch als Rache, weil in Jenin 23 israelische Soldaten getötet worden waren. Wir haben auch mit Blut für das, was uns nicht gehört, bezahlt. Moshe Nissim und seine Einheit bekamen eine Auszeichnung in Israel! Das kann man alles überprüfen. ...
Jetzt komme ich zum Aufstand überhaupt, dem Aufstand der Palästinenser, der schon fast zwei Jahre alt ist. Warum ist es überhaupt dazu gekommen? Der provokative Besuch Sharons am Tempelberg mit Tausenden von Streitkräften...

Zwischenruf: Tausende!

Tausende! (zahlreiche Zwischenrufe und Gebrüll) Es gibt verschiedene Einschätzungen.
2 000 Grenzschützer – aber das ist doch nicht wesentlich, ob es 1 500 oder nur 1 000 waren.

Zwischenruf (mit Gelächter): Oder Zehntausende!

Zehntausende hab ich nicht gesagt. Es ist auch nicht wichtig. Das Wichtigste ist, dass Sharon provozieren wollte und provoziert hat. Das war aber nur der Funke, der den Aufstand ausgelöst hat, denn das Fass war voll (Gebrüll) von Unterdrückung, Frustration, Verzweiflung, nichteingehaltenen Daten und Terminen vom Osloer Abkommen. Das Fass war voll! Man hat die ganze Zeit vom Frieden gesprochen und gleichzeitig Siedlungen gebaut. Am Beginn des Friedensprozesses, 1991, waren "nur" 92 000 Siedler in den besetzten Gebieten. Die Siedlungen sind völkerrechtswidrig, ein Verstoß gegen die Haager und Genfer Konvention. Diese Siedlungen sind so gediehen, dass es im Jahr 2 000 schon 200 000 Siedler waren – jetzt sind es noch mehr – und zusätzlich 180 000 in Jerusalem. Das heißt, die Palästinenser haben gesehen, dass wir alles nehmen. Israel kontrolliert 83% des Wassers im Westjordanland. ... Sie haben auch die Verhandlungen von Camp David erfahren. Es gibt eine Legende über Camp David. Nämlich die, dass wir den Palästinensern alles versprochen haben, dass wir, das heißt Barak, eine wunderbare Initiative starteten und dass unsere Vorschläge fast großzügig waren, und die Palästinenser haben das abgelehnt. Die Wahrheit ist, dass das, was wir, die Israelis, in Camp David vorschlugen, für die Palästinenser unannehmbar war. Fast alle Siedlungen bleiben, wir werden sie annektieren. Das Jordantal soll für Jahre gepachtet werden, danach Jerusalem. Nur ein paar Ortschaften werden palästinensisch, der Rest ist israelisch. Die Grenzübergänge werden unter israelischer Kontrolle sein. Das Westjordanland wird durch Siedlungen zerteilt. Und die Flüchtlingsfrage ist überhaupt keine Frage mehr. Das heißt also, es gibt keinen Palästinenser, der so einen Vorschlag akzeptieren konnte. Und die Palästinenser haben gesehen, dass man verhandelt und gleichzeitig unterdrückt, dass man verhandelt und lügt, dass man verhandelt und schikaniert, denn die Bewegungsfreiheit war gleich Null. Das alles war ein Nährboden für den Aufstand. Der Terror ist völkerrechtswidrig. Man muss ihn beenden und verurteilen. Ich habe zum Beispiel jahrelang als Israelin Tausende Palästinenser verteidigt, aber nie einen Palästinenser, der einen Terrorakt begangen hatte. (...) Aber ein Aufstand als letztes Mittel gegen Besatzung entspricht dem Völkerrecht. Unsere Friedenskräfte Gush Shalom, Frauen in Schwarz, Fraueninitiativen für den Frieden und Menschenrechtsorganisationen sind derselben Auffassung.
Was kam danach? Unsere Friedenskräfte, die konsequent sind, nicht Peace Now aber Peace Block und die anderen, nicht viele, aber doch ein wesentlicher Teil der Bevölkerung haben gesagt, dass die Palästinenser für Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen. Sollen wir die Okkupation bestehen lassen? Die Besatzung tötet uns! Gehen wir weg! Es muss ein palästinensischer Staat neben Israel bestehen, die Flüchtlingsfrage muss in einer gerechten Weise gelöst werden. Aber Barak hat anders gehandelt. Er wollte mit Gewalt diesen Aufstand zermürben. Und Sie wissen, dass der Aufstand am Anfang, sicher zwei Monate lang, kein bewaffneter war, so wie die erste Intifada. Aber Barak antwortete mit soviel Gewalt und Tötung von Menschen, dass diese, aufgewühlt, mit Hass und Rachegefühlen, sagten, dass sie getötet würden, obwohl der Aufstand gewaltlos oder fast gewaltlos verlief. ... So würden auch sie mit Waffen gegen Israel kämpfen.
Was bedeuten die Straßensperren in den besetzten Gebieten?
Ich habe das Buch "Quo Vadis" meiner Enkelin Naomi gewidmet. Warum Naomi? Sie war am Anfang der Intifada elf Monate alt. Ich habe ihr das Buch gewidmet im Namen der Säuglinge, die an den Straßensperren starben, weil man nicht in ein Krankenhaus gelangen konnte. Als Jüdin und Israelin, als Überlebende des Holocaust (indirekt, denn direkt ist mein Mann Überlebender), habe ich die Lehre aus dem Holocaust gezogen. Ich habe die Pflicht dazu. Meine Lehre daraus ist Menschlichkeit. Meine Lehre ist Erbarmen.

Zwischenruf: Für wen?

Für MENSCHEN! Für menschliche Wesen! (abermals Zwischenrufe) Erbarmen für menschliche Wesen. Wenn Sie so eine Lehre nicht gezogen haben... (Zwischenrufe)
Und jetzt bitte ohne Zwischenrufe, Fragen und Beschimpfungen später. (...)
Ich möchte Ihnen noch über einen Teil meines Lebens und was ich damals gesehen habe erzählen. 1967, als ich mein Büro eröffnete und anfing als Jüdin und Israelin Palästinenser zu verteidigen, hörte ich das erste Mal:"Sie ist eine Jüdin, aber eine gute Jüdin." Ich habe das andere Gesicht meines Volkes gezeigt und ich habe die ganze Palette der Unterdrückung dieser Jahre gesehen. Ich habe die Wunden von Folterungen, die Zerstörung von Häusern, die Vertreibung von Menschen, die Zerstörung von Bäumen gesehen. Ich habe die Kolonisierung der besetzten Gebiete gesehen. Kommen wir zur Lösung. Die Lösung ist klar: Zwei Staaten für zwei Völker. Danach könnte eine Föderation möglich sein. Aber die Lösung kann nicht sein, dass ich einen oder zwei Meter zurückgehe und die Straßensperren und die Siedlungen bleiben, die Unterdrückung bleibt. (...) Was die Palästinenser verlangen ist völkerrechtlich total einfach. Selbstbestimmungsrecht!
Und jetzt komme ich zum Oslo Abkommen. Ich habe 1993 während der Verhandlungen und danach gesehen, dass das ein Betrug ist. Und ich stand damals sehr alleine da – in Israel, auch in Palästina und in Deutschland. (...) Ich habe schon 1993 gesehen, dass man die wichtigsten Fragen ausklammert, nämlich die der Siedlungen, des Wassers, der Landnahme, Jerusalem und die Frage der Flüchtlinge. Und Israel sagte deutlich, dass die Palästinenser so schwach waren, dass sie Partner werden könnten. Insbesondere Peres hat sehr klar gesagt, dass sie nicht mit den Palästinensern sondern nur mit den Schatten ihrer Selbst verhandeln, nicht mit der PLO, sondern mit ihrem Schatten. Das heißt, mit Schatten kann man auf seine eigene Weise verhandeln. Deshalb war schon die Prinzipienerklärung von Gaza-Jericho 1993 für mich etwas Negatives. Ich hatte Angst davor, dass wir weiter die besetzten Gebiete besiedeln, dass wir vollendete Tatsachen schaffen würden.
Ich werde Ihnen jetzt eine Karte zeigen. Das war Gaza nach dem Abkommen "Autonomie für Gaza und Jericho". Schon damals hat Israel 40% des Gazastreifens behalten. Der Gazastreifen ist 365 Quadratkilometer groß oder besser gesagt klein und ist das fast am dichtesten besiedelte Gebiet der Erde mit einer Million Einwohner, darunter mehr als 500 000
Flüchtlinge, die im Elend leben. Ich zeige Ihnen jetzt, dass Israel dort das Sagen hat. Überall Siedlungen! (Frau Langer zeigt die vielen Siedlungen und die israelische Zone im Gazastreifen.) Das war 1993 – jetzt ist es viel, viel schlimmer. Jetzt ist es eine Katastrophe. Aber schon 1993 traute ich der Situation nicht. Ich verlor damals viele Freunde, denn ich wurde als Spielverderberin betrachtet.
(Zeigt weiter die Siedlungen.) 18 Siedlungen hier, 6 000 – 7 000 Siedlungen dort usw.
Gaza ist total zerstückelt, und es ist ein Gefängnis, zu dem Israel sich 1994 den Schlüssel genommen hat. (...) Man sagt, es sei das größte Gefängnis der Welt – mit mehr als einer Million Insassen. Die Siedler genießen dort alles – das Land, Wasser in Hülle und Fülle –
und die Palästinenser schauen zu. Sie verstehen doch, was für eine ständige gewaltige Provokation das ist.
Und hier zeige ich Ihnen die Zerstörung von Häusern. (Frau Langer zeigt Photos.) Die Menschen leben wieder in Zelten. Das alles zeigt man bei uns in Deutschland und wohl auch in Österreich so wenig. Aber wenn man über diese schrecklichen verbrecherischen Anschläge spricht, muss man auch in Betracht ziehen, wie der Nährboden dafür bereitet wird.
Und jetzt die letzte große Bombe von einer Tonne in Gaza! 18 Menschen wurden getötet, weil man den Hamas-Führer Salah Schahadi hinrichten wollte. Und dann diese Hinrichtungen! Ich muss Ihnen sagen, dass diese Hinrichtungen, die jetzt massiv betrieben werden, völkerrechtswidrig sind. Sie sind Staatsterror! Das hat bei uns leider kein Politiker, der in der Regierung ist, gesagt, sondern Jürgen Möllemann. Aber es ist die Wahrheit. Was geschieht ist Kriegsverbrechen.

Zwischenruf: Jörg Haider meint das auch. Sie werden Ehrenmitglied in der FPÖ. (Tumult im Publikum.)

Es sind Hinrichtungen, extralegale Hinrichtungen von Menschen! Wenn wir die Henker und auch die Richter sind ... (Frau Langer versucht den Lärm zu übertönen.) Ich weiss, das kann nerven.

Zwischenruf: Sie kommen nach Wien und unterstützen Jürgen Möllemann. Das sollte Joschka Fischer hören...

Ich komme nach Wien um die Wahrheit zu sagen! Ja, ja! (Applaus) Bitte unterstützen Sie mich. Die Wahrheit ist, dass diese Hinrichtungen Staatsterrorismus sind. Es ist sehr unangenehm, über diese Dinge zu sprechen, denn das machen meine Leute. Ich kann verstehen, dass das weh tut. Und es ist nicht nur Staatsterror, der ausgeübt wird, es sind Kriegsverbrechen. Denn das Töten von Menschen ohne Gerichtsverfahren – nur weil wir sagen, dass diese Menschen Terroristen sind – ist völkerrechtswidrig. Das ist ein Verstoß gegen alle Konventionen.

Zwischenruf: Und die Anschläge nicht, die Anschläge nicht?!

Gush Shalom hat jetzt die Soldaten und Offiziere in den besetzten Gebieten gewarnt, dass jemand der tötet, bombardiert und zerstört, ein Kriegsverbrecher, ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher, ist. Deshalb gibt es auch schon Drohungen gegen Gush Shalom.
Und jetzt weiter, über das Jahr 1995. (...) Das ist das Westjordanland. (Tumult)
Es ist ein Armutszeugnis, dass man schreit, wenn man keine Argumente hat.
Das ist der Fleckenteppich Palästina nach dem Oslo Abkommen 2. 1995 beschloss man die Ausdehnung der Autonomie auf das Westjordanland. Jetzt gibt es nirgendwo mehr Autonomie. Heute hat man Bethlehem geräumt, aber damals hat man drei Zonen errichtet. Das ist sehr wichtig, damit man versteht, wie begrenzt schon 1995 die Autonomie war, die heute kaum mehr besteht. Die Zone A, das sind die Städte (...) Die meisten Straßen sind Umfahrungsstraßen, gebaut auf palästinensischem Boden. Dafür wurden Tausende Oliven- und Obstbäume entwurzelt. Diese Straßen, die die Siedlungen verbinden (Gelächter der Zionisten) und die Ortschaften der Palästinenser umgehen, sind Apartheidstraßen. Sie sind Apartheidstraßen, weil sie nur für Juden passierbar sind. Die ganze Situation in den besetzten Gebieten ist eine Situation von Apartheid. (...) Ich werde das jetzt belegen. Es gibt eine besondere Gesetzgebung und Bewegungsfreiheit für die Siedler. Es gibt Wasser und eine Infrastruktur für die Siedler. Es gibt all das nicht für die Palästinenser. Es gibt zwei Bevölkerungsgruppen, die verschieden leben müssen.
Überall sind Straßensperren – sie können hinfahren und sich davon überzeugen. Diese Straßensperren sind so errichtet, dass man zum Beispiel in Jenin nicht zum Krankenhaus oder zur Universität gelangen kann. Alles ist lahmgelegt und als Resultat leben 70% der Palästinenser unter der Armutsgrenze. 50% der Kinder sind unterernährt. So ist die Situation. Uns Sie können sich vorstellen, wie das ist, wenn das Militär allgegenwärtig ist.
Unsere gewissenhafte Journalistin Amira Chass, die dieselbe Lehre aus dem Holocaust gezogen hat wie ich, berichtet aus den besetzten Gebieten. Sie hat in Gaza und in Ramallah gelebt. ... Sie erzählt, dass diese Straßensperren Labors für Selbstmordattentäter sind, weil den Menschen an diesen Sperren soviel Erniedrigung und Demütigung angetan wird. Das macht die Menschen verrückt. Es ist eine Situation von suizidaler Verzweiflung.

Frau Langer spricht zum Abschluss noch über Hebron und liest aus ihrem Buch "Quo Vadis, Israel". Die aggressive Stimmung, die ihr von Zionisten und Antinationalen entgegengebracht wird, macht sich immer mehr bemerkbar. In der anschließenden "Diskussion" werden die wesentlichen Argumente wiederholt, was nur zu mehr Gebrüll und wütenden Attacken der Zionisten führt. Schließlich bleibt nur mehr der Abbruch, denn der blindwütige Hass wird durch Frau Langers ehrliche Überzeugung, dass wir die Verbrechen an den Palästinensern nicht zulassen dürfen, nur gesteigert.

Der Vortrag wurde leicht gekürzt. Die Auslassungen betreffen Wiederholungen.

Mit herzlichem Dank an den Kulturverein Kanafani, der die Transkription der Rede zur Verfügung stellte.