"Für Neuwahlen auf Basis eines überkonfessionellen Verhältniswahlrechts"

30.01.2007

Interview mit dem stellvertretenden Generalsekretär der Kommunistischen Partei des Libanon (KPL), Saadallah Mazraani

Intifada: Welche Stellung hat die KPL zum israelischen Krieg und zum libanesischen Widerstand bezogen?

S. M.: Wir haben ganz selbstverständlich zur Verteidigung unseres Landes aufgerufen und uns auch konkret daran beteiligt. Daher unterstützen wir natürlich auch den von Hizbullah organisierten Widerstand. Hizbullah selbst ist heute die größte und stärkste Partei des Landes, zu der wir gute Beziehungen unterhalten. Selbst ihre eingeschworenen Gegner müssen ihre positive Rolle bei der Landesverteidigung eingestehen.

Intifada: Heute befindet sich der Oppositionsblock geführt von der Hizbullah auf den Straßen, um gegen die proamerikanische Regierung Fuad Sinioras zu demonstrieren. Ist die KPL da dabei?

S.M. Unsere Partei ist unabhängig, sie ist weder Teil des Oppositions- noch den Regierungsblocks. Aber natürlich unterstützen wir viele der Forderungen der Opposition. Wir befürworten die Forderung der Opposition nach einer Regierung der nationalen Einheit, denn nur so sind die Probleme des Landes bewältigbar. Wir gehen sogar noch weiter: es bedarf vorgezogener Neuwahlen. Dafür muss das Wahlsystem zugunsten eines Verhältniswahlrechts entkonfessionalisiert und demokratisiert werden. Überhaupt steht die KPL für ein Ende des konfessionalistischen Systems und für einen säkularen Staat.

Intifada: Aber eine Regierung der nationalen Einheit bedeutet mit der Hariri-Gruppe, die für die Unterordnung des Landes unter die USA verantwortlich ist, gemeinsame Sache zu machen? Warum keine Regierung aller Kräfte, die die nationale Souveränität verteidigen?

S.M.: Das wäre unter den heutigen Bedingungen ein Anstoß zum konfessionellen Bürgerkrieg. So sehr Hizbullah den Widerstand geführt hat, so bleibt sie doch eine schiitische Partei. Sie kritisiert das konfessionalistische System und hat sich auch nicht von diesem korrumpieren lassen, aber sie ist letztlich doch Bestandteil desselben. Um den Bürgerkrieg zu verhindern, kann sie nicht anders als die Regierung der nationalen Einheit anzustreben.

Intifada: Wie war es möglich, dass die proamerikanische Gruppe durch Wahlen an die Macht gelangen konnte, wenn heute die erdrückende Mehrheit gegen sie steht?

S.M.: Der Grund dafür war, dass Hizbullah sich mit Hariri in einem Block zusammengeschlossen hatte. Hariri akzeptierte damals, dass die Frage der Entwaffnung des Widerstands erst auf die Tagesordnung gestellt werden würde, wenn die Schebaa-Höfe und die libanesischen Gefangenen in israelischer Haft befreit sein würden. Doch auf amerikanischen Druck hin änderten sie diese Position, was zum Zerwürfnis mit Hizbullah führte.

Intifada: Spielte da nicht die Ermordung Hariris und die dadurch angefachte Bewegung für den Abzug Syriens aus dem Libanon auch eine Rolle?

S.M.: Ja, auch die KPL beteiligte sich an der Bewegung für den Abzug der Syrer, die eine breite Unterstützung im Volk genoss. Doch im Unterschied zum 14. März-Block wollen wir Syrien nicht durch die USA ersetzt wissen. Die KPL war immer für die Unabhängigkeit des Libanon, egal ob von Syrien oder den USA, während diejenigen, die heute Washington treu ergeben sind, auch jene waren, die mit Damaskus am engsten kooperierten. Im Gegensatz dazu, beteiligte sich die Hizbullah nicht an den prosyrischen Regierungen, sondern sie konzentrierte sich auf den Widerstand gegen die israelische Besatzung. Die KP, die nach 1982 eine Hauptrolle im Widerstand gespielt hatte, konnte das nach 1991 nicht mehr, denn die Syrer hatten daran kein Interesse. Heute stellt sich die Frage danach, ob für oder gegen Syrien, nicht mehr, sondern unsere Unabhängigkeit muss gegen Israel und die USA verteidigt werden. Darum hat der 14. März-Block auch erheblich an Einfluss verloren.

Intifada: Welche Stellung beziehen sie zu ihrer umstrittenen Bruderpartei im Irak, die mit den US-Besatzern kollaboriert?

S.M.: Wir halten sie Linie der KP Irak für falsch und haben sie auch immer vor den Konsequenzen gewarnt. Es ist für Kommunisten undenkbar mit der Besatzung zu kooperieren. Die Partei hat dafür einen hohen Preis bezahlt, nämlich ihre Marginalisierung.

Wien, 17. Jänner 2006