Über das Leben in Palästina

21.07.2007

aus Intifada Nr. 24

Israels Geisterbahn

Wenn man in Haaretz einen Bericht über eine israelische Kabinettssitzung liest, ist das wie eine Fahrt durch die Geisterbahn. Hier einige Auszüge:

Minister Meir Sheetrit und Rafi Eitan haben am Mittwoch, 30. Mai, vorgeschlagen, dass Israel seine eigene Art von Qassam-Raketen herstelle, um sie, als Antwort auf die palästinensischen Raketenabschüsse auf ihre südlichen Gemeinden, auf Ziele im Gazastreifen zu feuern.

Der Minister für Industrie, Handel und Arbeit, Eli Yishai von der rechten Shas-Partei, schlug vor, dass Israel, in Antwort auf die Raketenabschüsse, Luftangriffe zur Zerstörung palästinensischer Städte durchführe, nachdem man die Ortsbewohner benachrichtigt hat, ihre Wohnstätten verlassen zu dürfen.

Yitzhak Cohen, Mitglied der Knesset für die Shas-Partei, schlug vor, Elektrizität, Wasser und Gas für den Gazastreifen abzusperren und dies mit der Vorgabe zu rechtfertigen, dass die Qassam-Raketen die israelische Infrastruktur zerstört hätten und dass es lange Zeit brauche, diese Einrichtungen, mit denen die Palästinenser für die Grundbedürfnisse versorgt werden, wieder herzustellen. Der Sicherheitsdirektor von Shin Bet, Yuval Diskin, schlug vor, dass die Idee von Cohen es wert sei, überprüft zu werden.

Ist das der Staat, von dem man nach dem Nazi Holocaust verantwortungsvolles Bewusstsein für die Welt erwartet? Welche andere Regierung könnte offen solche Diskussionen führen, bei einem so hartnäckigen Schweigen seitens der so genannten "Internationalen Gemeinschaft"?

Wochenlang hat Israel den Gazastreifen zerbombt und Dutzende Menschen getötet. In einer solchen Attacke hat Israel am 20. Mai das Haus eines demokratisch gewählten Gesetzesgebers, Khalil al-Haya zerbombt und dabei acht Personen getötet, darunter sieben Familienangehörige, von denen sich drei Jugendliche waren. B'Tselem verlangte eine Untersuchung, aber dieser Fall wurde vom Rest der Welt schon lange wieder vergessen.

Israels ununterbrochene Attacken sind angeblich eine "Antwort" auf palästinensische Rakentenabschüsse, die zwei Israelis getötet und geringen Schaden in der Kleinstadt Sderot verursacht haben. Jeder, der die Nachrichten sorgfältig verfolgt, weiß jedoch, dass Israel niemals einen Vorwand brauchte um Palästinenser anzugreifen. Allein im Jahr 2006 hat Israel siebenhundert Palästinenser getötet, laut B'Tselem, davon die Hälfte unbewaffnete Zivilisten und 141 Kinder. In derselben Zeit haben die Palästinenser 23 Israelis getötet.

Israel hat nie nur einen einzigen von den angebotenen und von den palästinensischen Fraktionen durchgeführten unilateralen Waffenstillständen akzeptiert. Und trotzdem sagt heute der Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomibehörde Isma'il Haniyeh wieder: "Wir, in der palästinensischen Regierung sind für eine gegenseitige und gleichzeitige Waffenruhe … im Gazastreifen und im Westjordanland. Der Ball ist nun im israelischen Feld." (Ha'aretz, 30. Mai)

Das wurde sofort von Israel zurückgewiesen, welches das Recht für sich beansprucht Palästinenser zu töten, wann immer und wo immer sie wollen, während die Palästinenser auf keinen Fall das Recht haben sich zu verteidigen.

Gestern, 29. Mai, hat eine israelische Todeseinheit die kaltblütige Hinrichtung eines 22-jährigen Mannes im Zentrum von Ramallah durchgeführt. Nach einem ersten Schuss ins Bein, erschoss man ihn mit einem Schuss in den Hinterkopf. Dann zerschoss man ihn mit 24 Schüssen. Dieser brutale Mord wurde in der US Presse nicht einmal erwähnt.

Ein ständiger Mitarbeiter der Electronic Intifada, Sam Bahour, der sich in geringer Entfernung befand, als sich dieser Mord ereignete, bemerkte folgendes: "Auf meinem Heimweg, ging ich am Regierungsgebäude in der Radiostraße vorbei; Das ist das Hauptquartier des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas. Nur wenige Stunden zuvor war in den Nachrichten angekündigt worden, dass sich der Präsident am 7. Juni mit Ministerpräsident Olmert treffen wird, um den "Friedensprozess" zu diskutieren. Ich schüttelte meinen Kopf und war verwundert, für wie lange kann dieser Palästinensische Präsident, diese Palästinensische Autonomiebehörde, diese Regierung und der Palästinensische Justizrat unter israelischer Besatzung regieren, während Israel, mit international abgesicherter Straffreiheit palästinensische Bürger bei vollem Tageslicht ermordet - genau dieses Sicherheitspersonal, das den Frieden garantieren soll - jede Nacht Dutzende aus ihren Betten verhaftet, darunter Minister, Bürgermeister und Gesetzgeber, und Millionen Palästinensern, die es vertrieben hat, verbietet in ihre Häuser zurückzukehren. Ich glaube, ich sollte mir besser die Frage stellen: wie lange noch soll das palästinensische Volk so eine unfähige Führung akzeptieren?"

Natürlich haben die Palästinenser, zumindest jene, die direkt unter der Besatzungsmacht leiden, ihre Ablehnung dieser Führung im Jänner 2006 bei den Wahlen zum Ausdruck gebracht, als sie überwiegend eine Hamas-Regierung wählten. Seitdem wurde der Wille des palästinensischen Volkes von der so genannten internationalen Gemeinschaft zurückgewiesen, besonders von den USA und der EU - die palästinensischen kollaborierenden Milizen bewaffnet und finanziert, deren Job es ist die Hamas-Fatah 'Regierungseinheit' zu unterminieren und zu zerstören.

Ronnie Kasrils, Informationsminister von Südafrika und ein ANC-Veteran des Kampfes gegen die Apartheid hat am 21. Mai geschrieben: "Als ich bei meinem Besuch der palästinensischen Gebiete durch das Westjordanland und den Gazastreifen gefahren bin, war es wie eine surreale Reise zurück in einen Apartheidstaat im Ausnahmezustand. Außerdem ist die Situation weitaus schlimmer als Apartheid." (Mail & Guardian).

In so einer Situation liegt es an den Menschen mit Bewusstsein in der ganzen Welt, Israel zur Rechenschaft zu ziehen und nicht auf kompromittierte und mitschuldige Regierungen zu warten, die für sie handeln: Niemand der sich mit dem Palästinensischen Volk solidarisch erklärt, kann gegen den Aufruf zum Boykott und für Sanktionen, der von der gesamten palästinensischen Zivilgesellschaft unterstützt ist (siehe pacbi.org), sein. Es gibt keine Gleichheit zwischen Besatzern und Besetzten, Kolonialmacht und Kolonisierten.

Ali Abunimah, 30. Mai 2007
veröffentlicht in: The Electronic Intifada

Ali Abunimah ist Mitbegründer der online Veröffentlichungen The Electronic Intifada und Autor des Buches "Ein Land: ein kühner Vorschlag um die Israelisch-Palestinensische Sackgasse zu beenden".

Übersetzung: Frigga Carl