Vor Gericht steht die Meinungsfreiheit

20.03.2008

Interview mit Dr. Hans Zeger (ARGE Daten), 13. März 2008, Wien

von Magda M. El-Sehity

Kritische Beobachter des in Wien geführten so genannten Islamistenprozesses sehen die Meinungsfreiheit durch den Prozess gefährdet. Den seit Mittwoch zu vier Jahren Haft verurteilten Hauptangeklagten Mohammed M. und seiner zu 22 Monaten verhafteten Frau Mona S. wird vorgeworfen Texte der Globalen Islamischen Medienfront gesammelt und übersetzt zu haben.
Ein weiterer Anklagepunkt ist die Mitgliedschaft in einer 'terroristischen Vereinigung'. Aber was eine terroristische Vereinigung eigentlich ist und wie man dessen Mitgliedschaft nachweisen kann ist auch nach Richter Norbert Gerstberger vage formuliert. Nach dem Gesetz gibt es sehr viel Spielraum für Interpretation.
Durch die geringe Beweisführung und die noch nicht rechtlich abgesicherte Internetüberwachung wird die Gerichtsbarkeit in Frage gestellt. Die Grenze zur Meinungszensur wird in diesem Prozess als sehr dünn gesehen.
In diesem Kontext haben wir den angesehenen Datenrechtsschutzexperten Dr. Hans Zeger (Österreichische Gesellschaft für Datenschutz) zu einer Einschätzung eingeladen.

Als Datenschutzexperte stellt sich die Frage wie Sie den Prozess wahrnehmen?

Zeger: Mit diesem Verfahren begibt sich eine demokratische Gesellschaft in ein äußerst gefährliches Fahrwasser: Meinungsäußerung, oppositionelle Kritik, Propaganda und Information werden unter polizeilichen und sicherheitspolitischen Blickwinkel betrachtet, die Grenze zur Meinungszensur beginnt zu verschwimmen.

Wie sehen Sie die Anklage gegen Mona S. die wegen Übersetzungstätigkeiten verurteilt wurde?

Z: Besonders problematisch war die Vorgangsweise bei der Zweitangeklagten, der am Ende nur Übersetzungstätigkeiten von im Internet frei verfügbaren Texten vorgeworfen wurde. Es konnte nicht einmal eine Beauftragung durch Dritte (abgesehen durch ihren Mann) ordentlich nachgewiesen werden

War der Aufwand der Internetüberwachung durch den Prozess gerechtfertigt?

Technisch gesehen wurde mit gigantischen Aufwand Überwachungsmaßnahmen gesetzt, die zum Teil durch derzeitige - schon sehr weitreichende Gesetze - nicht gedeckt sind, die im Ergebnis jedoch bloß Datensplitter lieferten, ohne tatsächlichen kausalen Zusammenhängen, es wurden bloß Plausibilitätsketten
geschaffen. Damit wurde eine Art Datennebel geschaffen, "an dem schon was dran sein wird". Es kam zu einer Vermischung in der Darstellung privater und persönlicher Meinungsäußerung (Chat, eMail) mit öffentlichen Äußerungen (Webpublikation, Forumseinträge, ...).

Ist die Onlineüberwachung rechtlich als Beweisführung abgedeckt?

Die Online-Überwachung, jedenfalls des Key-Loggings ist durch die "akustische und optische Überwachung nicht öffentlichen Verhaltens" nicht gedeckt. Die Rolle des Rechtsschutzbeauftragten ist, wie zu befürchten war, bloß eine eines rechtsstaatlichen Feigenblatts.

Die Onlineüberwachung wird üblicherweise immer mit notwendigen sicherheitspolitischen Maßnahmen in Verbindung gesetzt. Hat die Onlineüberwachung in diesem Fall wirklich überzeugende Beweise gebracht?

Auch sicherheitspolitisch kann das Verfahren nicht überzeugen. Wenn die GIMF tatsächlich eine "unternehmensähnliche Organisation" ist, und tatsächlich in internationaler Zusammenarbeit die Aktivitäten überwacht wurden, warum gelang es nicht eine einzige reale Identitäten/Personen mit dem Angeklagten in Verbindung zu bringen? Wer steckt hinter all den Nicknames und IP-Adressen, die hier offensichtlich aufgezeichnet wurden?

Die Vorführung des auf den PC des Anklagten gefundenen Tötungsvideos, gehörte wahrscheinlich zu den prägenden Momenten im Gerichtssaal. Videos die zeigten wie Geiseln von Islamisten getötet wurden haben betroffene Gesichter unter den Geschworenen hervorgerufen. Videos, die ebenfalls auf den PC des Anklagten gefunden wurden, welche zeigen wie Amerikaner Iraker folterten, wurden nicht vorgeführt.
Der Verdacht einer Stimmungsmache des Richters drängt sich auf. Wie beurteilen Sie das?

Z: Auch die Vorführung der Tötungsvideos diente offenbar der bloßen Stimmungsmache und wurde in einem Nebensatz verwiesen, dass es keinerlei Hinweise des Angeklagten an der Beteiligung dieser Videos gab. Weiters wurde der Gesichtsschleier als "Fetzen" bezeichnet. Insgesamt konnten offenbar Anklage und Richter auf ein gemeinsames Stimmungsbild bauen, dass die Geschworenen genügend Angst vor Terror haben, um den Angeklagten zu verurteilen. Diese Meinung wurde offenbar schon sehr früh verfestigt.

Es wird darauf hingewiesen, dass Herr Zeger hier eine Einschätzung des Prozessverlaufes abgibt, aber keinerlei Einschätzungen zu den Handlungen des Angeklagten ansich abgeben kann, da er diese zu wenig kennt.