Zur Nahost- und Israelpolitik der USA und der Macht der Neokonservativen auf die Außenpolitik

11.12.2003

Vom ehrlichen Makler zur Partei Israels

Die Nahostpolitik der USA befindet sich seit der Präsidentschaft von George W. Bush sowohl politisch als auch völkerrechtlich auf fragwürdiger Grundlage. Eine Allianz aus neokonservativen Machtpolitikern und windigen Geschäftsleuten, die von einer Koalition protestantischer Fundamentalisten, diverser politischer Interessengruppen und konservativen Think tanks unterstützt wird, ist mit Bush in Washington an die Macht gekommen. Diese Gruppe besteht aus alten Bekannten, ja sogar Freunden, die sich seit Jahrzehnten kennen und die über alle politischen Differenzen hinweg von einem Korpsgeist zusammengeschweißt wird. Ihr Weltbild ist manichäisch: "Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen". (...) Diese erzkonservative Elite verfolgt eine Politik des doppelten Standards, insbesondere gegenüber dem Nahen Osten. Aus dieser ambivalenten Haltung resultiert ein großes Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur gegenüber den arabischen Ländern, sondern seit dem Irakkrieg auch gegenüber einem Teil der Verbündeten in Europa sowie der eigenen Bevölkerung. Einerseits werden politisch-moralische Kriterien gegenüber den arabischen Ländern rigoros eingefordert und unter Drohung von Waffengewalt durchgesetzt, wohingegen bei gravierenden Völkerrechts- und Menschenrechtsverstößen durch "befreundete Staaten" wie zum Beispiel durch Israel gegenüber den Palästinenser beide Augen zugedrückt werden. Diese doppelten Maßstäbe sind ein zentraler Grund dafür, dass die Kritik an Amerika weltweit zunimmt.

(...)

Die Macht der Neokonservativen (Neocons) auf die Außenpolitik

Der völkerrechtlich umstrittene Angriff der USA zusammen mit einer "Koalition der Willigen" gegen den Irak ist bis heute noch nicht aufgearbeitet. Von einer Befriedung des Landes bzw. einer Lösung dieses Konfliktes scheinen die Koalitionstruppen weiter denn je entfernt zu sein. Die drei massiven Terroranschläge in kürzester Folge haben möglicherweise zu einem taktischen Umdenken unter den Neokonservativen geführt. Von einer Demokratisierung des Irak spricht schon niemand mehr. Die Frage stellt sich, wie sich die amerikanische Außenpolitik in dieses Abenteuer begeben und warum unter Präsident George W. Bush solch eine Radikalisierung stattfinden konnte? Warum hat es trotz enormer Schwierigkeiten der Besatzungstruppen noch keine Veränderung in der Strategie gegeben? Ein wesentlicher Grund für die politische Unbeweglichkeit scheint im ideologischen Starrsinn wesentlicher Teile der Bush-Administration zu liegen. (...)
Mit der Präsidentschaft von Bush jr. kam eine politische Elite in den USA an die Macht, die als Neokonservative (Neocons) bezeichnet werden. Diese Gruppe ist jedoch nicht homogen, sondern setzt sich aus einer großen Anzahl Intellektueller zusammen, die aus den verschiedensten politischen Lagern kommen und aus unterschiedlichsten Motiven sich hinter diesem Schlagwort verbergen. (...) Gemeinsam ist ihnen die Vorstellung, dass die USA eine Weltmacht sei und diese militärische Macht auch eingesetzt werden müsse, und dass die hegemoniale Stellung der USA in Zukunft von keiner anderen Macht mehr in Frage gestellt werden dürfe. (...)
Die Neocons haben einen mächtigen Verbündeten in ihrem Kampf gegen "das Böse" in der Welt: die Theocons. Diese Gruppe vertritt innergesellschaftlich religiös fundamentalistische Wertvorstellungen wie ein Abtreibungs- und Homosexuellenverbot, Schulgebet, einen Antidarwinismus sowie die amerikanische Familienideologie. Außenpolitisch unterstützten sie vorbehaltlos die konservativen Regierungen in Israel, insbesondere die des ehemaligen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu sowie die Regierung von Ariel Sharon. Von den zirka siebzig Millionen Christen lassen sich nach Meinung einiger Experten vierzig Millionen für extreme pro-israelische Positionen mobilisieren. Um diese Potenzial dauerhaft zu motivieren, bedient man sich einer wörtlichen Auslegung der Bibel, und zwar ausschließlich des Alten Testaments. Als eine besonders bizarre Variante kommt der Glaube an die Schlacht von Armageddon hinzu, welche die zahlreichen Fernsehprediger verbreiten. Dieser Theorie zufolge werde im Nahen Osten an der Stelle des alten Tempels der dritte Tempel Salomos gebaut und der Messias werde ein zweites Mal erscheinen. Dieser obskure Glaube stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde vom britischen Mystiker John Nelson Darby verbreitet. Nach diesem Wahnsinnsszenario werden die Juden aus Israel und Palästina entweder in der "Letzten Schlacht" vernichtet oder durch Massenkonversion "erlöst". Die judenfeindlichen und antisemitischen Vorstellungen dieser sogenannten christlichen Kreise machen es völlig unverständlich, warum sich Benyamin Netanyahu und die extremen Teile der jüdischen Interessengruppen Amerikas mit ihnen zur Unterstützung Sharons und des Likud verbünden. Was hat dies alles mit den Neocons, dem Irakkonflikt oder sogar Israel zu tun?
Einige Vertreter amerikanischer Interessengruppen wie Richard Perle, Douglas Faith, James Colbert, Robert Loewenberg und Meyrav und David Wurmser ventilierten durch das "Institute for Advanced Strategic and Political Studies Jerusalem" in Washington erstmals geostrategische Ideen, die einen Regimewechsel im Irak forderten, welche aber nicht für die US-Regierung bestimmt waren, sondern für den im Mai 1996 gewählten israelischen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu. Dieser unter dem Titel "Clean Break" geführte Bericht (1) wurde Netanyahu nach seiner Wahl übergeben. Die Verfasser schlugen dem israelischen Ministerpräsidenten zwei für Israel vorteilhafte Optionen vor: Erstens die Zerstückelung des Irak und zweitens die Neutralisierung Syriens. (...)
Der Bericht enthielt sogar Ratschläge für Netanyahu, wie und welcher Rhetorik er sich in den USA bedienen sollte, um die Unterstützung im US-Kongress für Israel zu mobilisieren. Dafür böte sich das Thema der Raketenabwehrsysteme an. Der Bericht wies darauf hin, dass solche Themen die geplante Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem positiv beeinflussen könnte, obwohl diese völkerrechtswidrige Verlegung von den USA aus politischer Opportunität bis heute nicht umgesetzt worden ist.
Für die Falken um Perle und seine Gesinnungsgenossen, die heute hohe Regierungspositionen innehaben, war die Idee eines Krieges gegen den Irak also nicht Neues. Die Frage stellt sich zwangsläufig, welches Ziel mit einem solchen Angriffskrieg tatsächlich verfolgt wurde? Ging es ihnen um die Realisierung amerikanischer Interessen oder eher um die Stärkung der israelischen geostrategischen Position in der Region, die auch der Likud unter Sharon als Ziel verfolgt? Welche Ziele auch immer verfolgt werden sollten, so zeigt diese Denkweise doch, wie halsbrecherisch oder politisch blauäugig die Idee einer Zerstückelung eines so komplexen Landes wie des Irak ist. Diese Idee ging den Geostrategen in den konservativen Denkfabriken aber noch nicht weit genug. Ein Regimewechsel musste erst gedanklich vorbereitet und dann militärisch bewerkstelligt werden. Diesem Ziel hatte sich ganz und gar das "Project for the New American Century" (2) verschrieben. Mit welcher Chuzpe schon zu Zeiten Präsident Clinton gearbeitet wurde, ist viel zu wenig bekannt.
Bereits am 26. Januar 1998 schrieben führende Neokonservative, unter ihnen zahlreiche Personen, die jetzt in der Bush-Administration an den Schalthebeln der Macht sitzen, an US-Präsident Bill Clinton und forderten ihn auf, Saddam Hussein zu stürzen. Die US-Strategie sollte vor allem auf die "Beseitigung des Saddam Hussein-Regimes von der Macht abzielen. Wir stehen bereit, unsere volle Unterstützung für dieses schwierige aber notwendige Unternehmen zu gewähren. ... Dies muss nun das Ziel der amerikanischen Außenpolitik werden." (3) Zu den Unterzeichnern gehörten Elliot Abrams, Richard L. Armitage, John Bolton, Robert Kagan, Zalmay Khalizad, Willian Kristol, Richard Perle, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, R. James Woolsey und Robert B. Zoellick. Der größte Teil gehört heute zu den Kriegsbefürwortern in der Bush-Administration.
In der Zwischenzeit ereigneten sich die Terroranschläge des 11. September 2001, was zu einer Antihaltung gegen alles Muslimische und Arabische führte. Schon einen Tag später forderte Paul Wolfowitz nicht nur Afghanistan, sondern auch Saddam Hussein anzugreifen. Intellektuellen Flankenschutz erhielt das Pentagon vom "Project for the New American Century". Am 20. September 2001 schrieben wiederum führende Intellektuelle an US-Präsident George W. Bush. Sie forderten, Osama bin Laden entweder zu fangen oder zu töten. Wichtiger waren aber folgende Ziele: Vehement forderten sie "die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht. Ein Versagen in diesem Bemühen würde eine frühe und vielleicht entscheidende Kapitulation im Krieg gegen den internationalen Terrorismus bedeuten." Weiterhin müsse dieser Krieg gegen den Terrorismus auch die Hisbollah im Libanon mit einbeziehen. "Wir glauben, dass die Administration von Iran und Syrien die unverzügliche Einstellung aller militärischen, finanziellen und politischen Unterstützung für Hisbollah und seine Aktionen verlangen muss. Sollte Iran und Syrien dieser Forderung nicht nachkommen, sollte die Administration passende Vergeltungsmaßnahmen gegen diese bekannten Unterstützer des Terrorismus einleiten." Kurz nach der Niederschlagung des Saddam-Regimes griffen Rumsfeld und Wolfowitz mit diesen Vorwürfen beide Länder an. Als ein weiteres wurde der "palästinensische Terror" aufs Korn genommen. Sollte die palästinensische Behörde den Terror aus den besetzten Gebieten gegen Israel nicht unterbinden, sollten die USA jedwede Unterstützung einstellen. (4) Unterzeichner waren Richard V. Allen, Aaron Friedberg, Francis Fukuyama, Frank Gaffney, Jeffrey Gadmin, Robert Kagan, Jean Kirkpatrick, Charles Krauthammer, Richard Perle, Norman Podhoretz u. v. a.
Am 3. April 2002 ging dieselbe Organisation noch einen Schritt weiter. Die Unterzeichner konstruierten eine Schicksalsgemeinschaft zwischen den USA und Israel, beide hätten einen gemeinsamen Feind. Israel werde angegriffen, weil es ein Freund der USA und eine Insel liberaler Demokratie sei. Israel kämpfe den gleichen Krieg wie die USA. Die Unterzeichner beziehen sich auf eine Aussage von US-Verteidigungsminister Rumsfeld, in der er Iran, Irak und Syrien vorwarf, "eine Kultur des politischen Mordes und der Selbstmordattentäter" gegen Israel zu fördern. Die Hauptzielrichtung richtete sich aber gegen Yassir Arafat. Er und seine Autonomiebehörde wurden als Drahtzieher des Terrors gegen Israel bezeichnet. Er könne somit nicht Teil einer friedlichen Lösung sein. Die Schreiber forderten Präsident Bush auf, nicht länger mit Arafat zu verhandeln. Alle diese Forderungen wurde vorher schon von der Sharon-Regierung erhoben worden. Ebenfalls wiederholte man, dass Saddam gestürzt und Iran in seine Schranken gewiesen gehöre. Das Schreiben endete pathetisch: "Israels Kampf gegen den Terror ist unser Kampf. Israels Sieg ist ein wichtiger Teil unseres Sieges. Aus moralischen und strategischen Gründen müssen wir an der Seite Israels in seinem Kampf gegen Terrorismus stehen." Diese ideologisch gefärbten Vorstellungen scheinen auch der wesentlichste Grund dafür zu sein, dass die Bush-Administration zu keiner Revision ihrer mörderischen Irakpolitik in der Lage ist, die Tag für Tag US-Soldaten das Leben kostet. (5) Unterzeichnet wurde dieser Brief von William Kristol, Ken Adelman; Frank Gaffney, Jeffrey Gedmin, Robert Kagan, Richard Perle, Daniel Pipes, Norman Podhoretz, James Woolsey u. v. a.
Die Verbindungen zu den "Ideen" der Bush-Regierung sind frappierend. So flossen einige dieser Vorschläge direkt in Präsident Bushs "Vision" für den Nahen Osten ein, die er am 25. Juni 2002 der Öffentlichkeit präsentierte. Darin fanden sich diejenigen Passagen des Schreibens, die Arafat als Drahtzieher des Terrors und folglich nicht mehr als satisfaktionsfähig ansahen. Bush forderte das palästinensische Volk auf, sich von Arafat zu trennen und sich eine neue Führung zu wählen. Der PLO-Chef wurde immerhin mit über 82 Prozent zum Präsidenten Palästinas gewählt! Auch Syrien wurde als Hort des Terrorismus identifiziert und gewarnt. Die amerikanische Rhetorik gegen den Terror ging über Monate weiter. Im September 2002 verkündete Bush eine neue strategische Verteidigungsinitiative, die sogenannten Bush-Doktrin, in der die USA sich das Recht zum Kriegführen selbst mandatierten. Diese Strategie wurde erstmals im Irak getestet. Die USA konnten eigenmächtig eine Bedrohung ihrer nationalen Interessen feststellen, um losschlagen zu können. Die USA dürften nicht warten, bis der Feind zu ihnen käme, sondern müsse selber zum Feind gehen, so Bush. Wer der Feind war, wurde nicht anhand realpolitischer, sondern ideologischer Kriterien festgelegt. Paul Wolfowitz, der strategische Kopf hinter dem völkerrechtlich umstrittenen Krieg gegen den Irak, hat die Bush-Doktrin am 27. Juli 2003, "weiterentwickelt". Er plädiert sogar für einen "Krieg auf Verdacht". Der Krieg gegen den Irak sei ein Beispiel dafür, wie die USA auch bei "zweifelhaften nachrichtendienstlichen Erkenntnissen" im Krieg gegen den Terror zu handeln hätten. Damit hat er die Strategie des Präventivkrieges bei Feststellung einer Bedrohung zum Präventivkrieg auf Verdacht einer Bedrohung weiterentwickelt.
Diese Denkweise der Neocons zeigt, wie gefährlich die "Hypermacht" für den Weltfrieden geworden ist. Solange es keine Aufarbeitung des Überfalls auf den Irak gibt, sollten sich weder die Vereinten Nationen noch die NATO zur Putztruppe der neokonservativen Ideologie machen lassen. Die Rede von Präsident Bush vom 8. September 2003 war arrogant und anmaßend. Sie signalisierte keinerlei Entgegenkommen. Sie forderte von Frankreich, Deutschland und den anderen "Unwilligen" bedingungslose Gefolgschaft. Es darf zu keinerlei Entlastung der US-Truppen im Irak kommen, da dies den Neokonservativen wieder Spielraum gäbe, ihre expansiv-aggressive Politik gegenüber Syrien und Iran fortzusetzen. (...)

Die Roadmap – der zweite Versuch eines "Friedensprozesses"

Wie die verfehlte Politik gegenüber den Staaten des Mittleren Osten so befindet sich die Nahostpolitik der USA schon seit Jahrzehnten in einem Dilemma: Das Land kann keine ausgewogene Politik gegenüber der nahöstlichen Region verfolgen, weil sie zu einseitig auf Israel fokussiert ist. Folglich gerät die US-Außenpolitik gegenüber den arabischen Ländern in eine Glaubwürdigkeitslücke. Daran kann auch die "Vision" von US-Präsident George W. Bush und die Roadmap zum Nahostkonflikt nichts grundsätzliches ändern. Der US-Präsident hatte am 25. Juni 2002 seine "Vision" von der Lösung des Nahostkonflikts in einer Rede dargelegt, die auch vom israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon hätte gehalten werden können. Er mutete den Palästinenser nicht weniger zu, als ihren in freien und demokratischen Wahlen - soweit dies unter Besatzung möglich war - gewählten Präsidenten Yassir Arafat durch einen anderen zu ersetzen. Die Amerikaner hätten wenigstens wissen müssen, dass nicht sie oder die israelische Besatzungsmacht über die Führungspersonen der Palästinenser befinden können. Diese unglückliche Rolle des Arafat-Nachfolgers hatte für vier Monate Mahmud Abbas alias Abu Mazen gespielt, bevor er entnervt Anfang September 2003 Arafat das Amt vor die Füße warf. Neben Sharons Kompromissunwilligkeit, war Arafats Intrigantentum für den Sturz von Abbas verantwortlich.
In Bushs sogenannter Vision für den Nahen Osten waren alle üblichen Forderungen Israels enthalten. Neben den Befehlen an die Palästinenser warnte Bush auch Syrien, sich auf die richtige Seite im Kampf gegen den Terror zu stellen. (...) Nicht ganz so Israelfixiert verhält es sich auf den ersten Blick mit der Roadmap, der "Straßenkarte" zum Frieden im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Der Plan wurde am 4. Juni 2003 im Palast des jordanischen Königs in Aqaba offiziell lanciert. Obwohl das Dokument ein Plan des sogenannten Nahost-Quartetts - bestehend aus USA, Russland, UNO und EU - ist, war außer Präsident Bush kein anderes Mitglieder dieses Klubs anwesend. Deutlicher hätte nicht demonstrieren werden können, dass die Roadmap primär ein US-amerikanisches Produkt ist, das, wenn überhaupt, der Region einen amerikanisch-israelischen Frieden bescheren wird. Keiner der Beteiligten äußerte sich euphorisch. Der Neuanfang mit schnellen praktischen Ergebnisse ist sowohl durch Israels Politik der fortgesetzten Kolonisierung der besetzten Gebiete und dem Bau eines Schutzwalles als auch dem Scheitern von Mahmoud Abbas, die extremistischen Widerstandsgruppen zu entwaffnen, vertan worden. Ein Zusätzliches taten die nach sechs Wochen wieder aufgeflammten Terroranschläge sowie Israel Wiederaufnahme seiner Liquidierungspolitik gegen vermeintliche Drahtzieher des Terrors. Bisher wurden 176 angebliche Drahtzieher des Terrors staatlicherseits hingerichtet. Diese fliegenden Erschießungskommandos in Form von Apache-Kampfhubschraubern oder F16-Kampfjets widersprechen allen westlichen Normen und Werten. So versuchte Israel den seit seiner Jugend im Rollstuhls sitzenden und völlig paralysierten Scheich Ahmed Yassin, den "spirituellen Inspirator" von Hamas, zu töten. Kritik daran war seitens der westlichen Staatengemeinschaft nicht zu hören. (...) Ebenso unglaublich ist die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts, Arafat zu deportieren oder sogar zu erschießen, wie dies die Minister Ehud Olmert und Effi Eitam gefordert haben! Bei einer solchen Politik braucht sie niemand zu wundern, dass alle Palästinenser sich mit Arafat identifizieren, ob sie ihn mögen oder nicht. (...) Bei der augenblicklichen chaotischen Entwicklung in Israel und Palästina wird die "Straßenkarte" entweder ins Nirgendwo führen oder in einem eingemauerten Reservat für die Palästinenser enden - bewacht von Israel. Ein Staat, der diesen Namen verdient, wird daraus nicht hervorgehen. (...)
Präsident Bush hatte beide Konfliktparteien auf die Roadmap eingeschworen. Ariel Sharon und der damalige Ministerpräsident Abu Mazen gaben in Aqaba gedrechselte Erklärungen ab, die aber viel über die Prioritäten der beiden Seiten aussagen. Erstmalig sprach zwar ein israelischer Ministerpräsident öffentlich von einem Palästinenserstaat, konkreter von einem "demokratischen palästinensischen Staat" und nicht von einem "unabhängigen und souveränen", wie es in der Roadmap heißt. Abu Mazen rief das Ende der gewaltsamen Unabhängigkeitsintifada aus. Er will aber nicht die palästinensische Infrastruktur des Terrors gewaltsam zerschlagen. Dies könnte zu einem Bürgerkrieg führen. Abu Mazen handelte mit den Organisationen erfolgreich einen Waffenstillstand aus, der über sechs Wochen hielt, ehe Israel seine Liquidierungspolitik am 20. August wieder aufnahm. Fast alle Minister der rechtskonservativen Sharon-Regierung sahen in dieser Hudna (Waffenstillstand) ein taktisches Manöver der Widerstandsgruppen und wären am liebsten mit der Zerstörungspolitik ohne Unterbrechung fortgefahren. Da es Abbas nicht gelungen ist, die "Struktur des Terrors" zu zerstören, hat Israel wieder das Gesetz des Handelns in die eigenen Hände genommen.
Ariel Sharons Lippenbekenntnis zur Roadmap hatte in Israel zu Massendemonstrationen extremistische Siedlergruppen geführt, die ihn wie weiland Yitzhak Rabin einen Verräter nannten. Ebenso löste Sharons Feststellung, dass "3,5 Millionen Palästinenser unter Besatzung eine schreckliche Sache für Israel, die Palästinenser und die Wirtschaft" ist, einen Sturm der Entrüstung innerhalb seiner rechtsnationalistischen Regierung aus. Das israelische Kabinett hatte sowieso schon vor dem Gipfel in Aqaba der Roadmap 14 Stolpersteine in den Weg gerollt, die ihr Scheitern herbeiführen sollen. Sharon versprach folglich in Aqaba auch nur die Auflösung einiger "illegaler Außenposten". Mit diesem vagen Versprechen blieb er weit hinter den Forderungen der Roadmap zurück, nach der Israel verpflichtet ist, alle seit März 2001 errichteten Siedlungen (damals siebzig – heute über hundert) aufzulösen und die natürliche Expansion der bestehenden zu beenden. Dass alle Siedlungen in den besetzten Gebieten wider das Völkerrecht errichtet worden und somit illegal sind, ist allen Beteiligten bekannt. Das Völkerrecht ist seit dem umstrittenen Angriffskrieg der USA auf den Irak zu einer disponiblen Größe amerikanischer Machtpolitik geschrumpft. Es darf auch nicht vergessen werden, das Sharon der Spiritus rector des expansiven Siedlungsprojektes ist. Niemand kann von ihm im Ernst erwarten, dass er sein Lebenswerk zerstört. Sharon ist nicht Samson. Er hat zwar zwei "illegale Außenposten" mediengerecht räumen lassen, dafür sind aber zahlreiche neue entstanden.
(...) Schon die Forderungen in der ersten Phase der Roadmap - die Auflösung der "illegalen Außenposten" von Seiten Israels und die Zerschlagung der radikalen Gruppen - gelangen nicht. Erst wenn dies geschehen ist, muss das Quartett einstimmig befinden, dass die erste Phase erfolgreich beendet ist. Dazu dürfte es aber nicht mehr kommen, weil sich kein palästinensischer Politiker zum Subunternehmer für Sharons eigene Variante der "Terrorbekämpfung" machen lässt. Danach erst kann die zweite Phase beginnen, in der bis Ende 2003 ein "provisorischer Palästinenserstaat mit vorläufigen Grenzen" entstehen soll. Sollte dieses bisher nicht da gewesene Gebilde wirklich das Licht der Welt erblicken, wird von 2004 bis Ende 2005 über den endgültigen "Staat" und alle damit zusammenhängenden Fragen wie Siedlungen, Flüchtlinge, Jerusalem, Grenzen, Wasser etc. verhandelt. Bereits an diesen Fragen ist der Osloer-Prozess letztendlich gescheitert. Wenn die "Straßenkarte" nicht ein rein amerikanisch-israelisches Unternehmen bleiben soll, muss sich das bisher unbeteiligte Restquartett beherzter einbringen. Warum schlägt es den USA nicht vor, eine NATO-Schutztruppe - ausgestattet mit einem "robusten Mandat" - in die besetzten Gebiete zu entsenden, um den Abzug der israelischen Besatzungstruppen zu überwachen und der Roadmap dadurch zum Erfolg zu verhelfen? Palästina wäre das ideale Territorium für eine internationale Militärintervention, da dort die Besatzungsmacht seit nunmehr 36 Jahren gegen alle UN-Resolutionen verstößt. Wenn die USA im Irak schon solche Resolutionen gewaltsam durchgesetzt haben, warum dann nicht in Palästina?
Auch der Nachfolger von Abbas, Ahmed Kurei, ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Er muss seinem Volk einen Plan schmackhaft machen, der den Konflikt erst 1967 beginnen lässt - und während Israel eine acht Meter hohe monströse Mauer um ein Rumpfpalästina errichtet, den Siedlungsbau weiter voran treibt, das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge kategorisch ablehnt und bisher nur 42 Prozent der besetzten Gebiete für den "Staat Palästina" angeboten hat, könnte der Ruf nach Yassir Arafat zwangsläufig wieder erschallen. Denn nur er, der die nationalen Wünsche der Palästinenser auf einen eigenen Staat verkörpert, könnte solch ein Gebilde als die Erfüllung der Sehnsüchte seinem Volk schmackhaft machen. Wie die Entwicklung der letzten Wochen gezeigt hat, ist er alles andere als "irrelevant", für den ihn Bush und Sharon erklärt hatten. Seine Beseitigung wäre ein schwerer politischer Fehler. Arafat hat für die Palästinenser die gleiche Bedeutung wie weiland Nelson Mandela für die schwarze Bevölkerung Südafrikas.
(...)
Dass die Roadmap zu einem Rohrkrepierer werden kann, dafür sprechen mehrere Anzeichen: Am 14. Juli ratifizierte die Knesset einen Gesetzentwurf, in dem die Westbank und der Gazastreifen als nicht besetzte Gebiete bezeichnet werden. Von einem amerikanischen Protest dagegen keine Spur. Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte bereits im September 2002 von sogenannten besetzten Gebieten gesprochen. Bush möchte im nächsten Jahr wiedergewählt werden und dazu braucht er die fundamentalistischen Christen, die eigentlich keine Christen, sondern alttestamentarische Fundamentalisten sind, und die im Staate Israel ein Zeichen für die bevorstehende Ankunft des Messias sehen. Ihre bedingungslose und unkritische Gefolgschaft und Rechtfertigung israelischer Politik lässt Bush wenig Handlungsspielraum, wenn er einen solchen überhaupt in Sachen Israel jemals angestrebt hat.
Die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Völkern im Nahen Osten sind nicht gut. Unter US-Präsident Bush und der Herrschaft der neokonservativen Elite unterstützen die USA die Politik Israels noch vorbehaltloser als unter dem ehemaligen US-Präsident Bill Clinton. Fast die gesamte Bush-Administration zählt zu den Anhängern der Likud-Linie israelischer Politik. (...) Es zeigt sich schon deutlich, dass die demokratischen Traditionen der USA wohl weiter einer Politik des doppelten Maßstabes geopfert und damit den nationalen Interessen des Landes langfristig abträglich sein werden. Warum wundert sich Präsident Bush in seinen Reden immer wieder, warum so viele Muslime die USA hassen?

von Ludwig Watzal

1 (http://www.israeleconomy.org/strat1.htm)
2 (http://www.newamericancentury.org/)
3 (http://www.newamericancentury.org/iraqclintonletter.htm)
4 (http://www.newamericancentury.org/Bushletter.htm)
5 (http://www.newamericancentury.org/Bushletter-040302.htm)