60 Jahre palästinensische Katastrophe - der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter

01.05.2008
Erklärung der Antiimperialistischen Koordination (AIK)
Das 60-jährige Bestehen des Staates Israel wird dieser Tage in Israel und den mit ihm verbündeten westlichen Ländern (und nur dort) gefeiert und großteils als Erfolgsgeschichte dargestellt. Da sich die über 700 000 im Zug der israelischen Staatsgründung vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinenser aber ebenso wenig unter den Tisch kehren lassen wie die bis heute andauernde Diskriminierung, Vertreibung und Vernichtung der verbliebenen palästinensischen Bevölkerung, werden bei den Feierlichkeiten auch kritische Stimmen zugelassen - allerdings nur dann, wenn die Kritiker im gleichen Moment heilige Eide auf das Existenzrecht des Staates Israel ablegen.

Dem anhaltenden palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik ist es zu verdanken, dass die Auseinandersetzung mit der Palästina-Thematik dazu geführt hat, dass eben dieses Existenzrecht Israels auch im Westen häufig ausschließlich als Existenzrecht in den Grenzen von 1967 verstanden und eine Räumung der ab 1967 besetzten Gebiete zumeist als Voraussetzung für ein Ende des israelisch-palästinensischen Konfliktes gesehen wird. Diese Position stößt beim radikalzionistischen Lager allerdings auf Ablehnung, und auch die fortgesetzte und von den USA unterstützte Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels im Westjordanland zeigt, dass selbst dieser Schritt heute in weiter Ferne liegt.

Einigkeit besteht allerdings darüber, dass eine Räumung der besetzten Gebiete das absolute Maximum dessen ist, was die palästinensische Seite fordern und erwarten darf. Die Anerkennung Israels als exklusiv jüdischer Staat in den 1948/49 eroberten
Gebieten ist ein Mindestbekenntnis, das jeder abzulegen hat, der nicht als Antisemit und/oder Terrorist dastehen will.

Wir haben keineswegs vergessen, dass die zionistische Ideologie aufgrund anhaltender Judenfeindlichkeit und bis zum Pogrom gehender antisemitischer Ausschreitungen im Europa des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Und auch die Logik, dass spätestens nach dem Holocaust sehr viele Juden der Meinung waren, nur in einem eigenen Staat vor Verfolgung und Genozid sicher zu sein, ist gut nachvollziehbar.

Nicht nachvollziehbar ist allerdings der Gedanke, die arabische Bevölkerung Palästinas habe die Rechnung für europäische Verbrechen zu bezahlen. Und nichts anderes als dieser Gedanke liegt der Forderung nach einer Anerkennung des Existenzrechtes Israels in seiner jetzigen Form zugrunde - einer Forderung, die in der Regel damit begründet wird, dass nur die Existenz Israels als exklusiv jüdischer Staat einen neuen Holocaust verhindern könne.

Tatsche ist aber, dass Israel erst durch die Vertreibung großer Teile der damaligen palästinensischen Bevölkerungsmehrheit zu einem exklusiv jüdischen Staat wurde, in dem die verbliebene palästinensische Bevölkerung systematisch und strukturell diskriminiert wird.

Im Hinblick auf ene gerechte Lösung des Konfliktes ist die größte und entscheidende Frage nach wie vor die des Rückkehrrechts für die 1948 vertriebenen Palästinenser und deren Nachkommen, die heute zusammen mehrere Millionen ausmachen und zu großen Teilen in Flüchtlingslagern leben. Auch wenn es von der hohen Diplomatie geflissentlich verschwiegen wird: Ein Rückkehrrecht für die Vertriebenen und ihre Nachkommen ist nicht mit einer Weiterexistenz des zionistischen Staates vereinbar, da die arabische Bevölkerung dann in der Mehrheit wäre und das Rückkehrrecht darüber hinaus auch die Rückgabe von geraubtem Boden mit einschließen müsste. Wer also eine Existenz Israels in seiner jetzigen Form befürwortet, muss ein Rückkehrrecht der palästinensischen Vertriebenen zwangsläufig ablehnen und sagt damit de facto, dass palästinensische Anliegen weniger wert sind als israelische.

Dabei ist das zionistische Projekt eines exklusiv jüdischen Staates klar vom Recht auf nationale jüdische Selbstbestimmung zu trennen. Letztere wäre nämlich auch im Rahmen eines gemeinsamen, demokratischen Staates möglich.

Das Rückkehrrecht für die palästinensischen Vertriebenen darf dabei ebenso wenig außer Acht gelassen werden wie die Tatsache, dass es dem Zionismus gelungen ist, aus Menschen unterschiedlichster Herkunft tatsächlich eine israelische Nation zu schaffen. Diese müsste in einem gemeinsamen Staat auch die Möglichkeit haben, als gleichberechtigte Nation neben der arabischen Nation weiter zu existieren. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Bruch mit dem Anspruch auf einen exklusiv jüdischen Staat sowie die Bereitschaft zu fairen und gleichberechtigten Verhandlungen über die Rückgabe von geraubtem Land und geraubten Gütern an zurückkehrende Palästinenser. Insgesamt setzt ein gemeinsamer demokratischer Staat die vollständige Gleichberechtigung aller dort lebenden Menschen unabhängig von religiöser und ethnischer Zugehörigkeit voraus

Die fortgesetzte israelische Politik der Diskriminierung, des Siedlungsbaus und der mit ihm einhergehenden Zerstörung der Lebensgrundlagen der palästinensischen Bevölkerung führt dazu, dass auf palästinensischer Seite weiterhin vom legitimen Recht auf bewaffneten Widerstand Gebrauch gemacht wird. Die israelische Gesellschaft ist dadurch geschlossen und in der pro-zionistischen Haltung einig wie nie zuvor, und auf beiden Seiten ist daher der Glaube an die Möglichkeit einer gleichberechtigten Existenz in einem gemeinsamen Staat äußerst gering.

Momentan scheint also ein gemeinsamer, demokratischer Staat utopisch. Dass irgendeine andere Lösung langfristig Bestand haben könnte oder gar gerecht wäre, ist allerdings noch utopischer. Es ist ohnehin nicht anzunehmen, dass es in absehbarer Zeit zu irgendeiner Art von Verhandlungslösung kommen wird. Vielmehr wird eine dauerhafte und gerechte Lösung des Konfliktes erst dann möglich sein, wenn die derzeitige, vom Machtstreben der USA und ihrer Verbündeten geprägte Weltordnung zerschlagen wird. Solang diese Bestand hat, hat auch der Zionismus nichts zu befürchten und die arabischen Regimes in der Region werden weiterhin mit anti-israelischer Rhetorik von ihrer eigenen Kooperation mit der imperialistischen Supermacht ablenken und in Wirklichkeit das Elend der Bevölkerung sowohl in ihren eigenen Ländern als auch in Palästina erhalten.

Dass sich die israelische Regierung, egal welche der großen Parteien ihr vorsteht, von sich aus entschließt, der Gewalt ein Ende zu setzen, indem sie den Vertriebenen die Rückkehr ermöglicht und die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beendet, ist jedenfalls nach den Erfahrungen der letzten 60 Jahre auszuschließen.

Eine Kräfteverschiebung innerhalb der Weltordnung von einer imperialistischen hin zu einer auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker steht allerdings ebenfalls nicht unmittelbar vor der Tür, und bis die Bedingungen für dieses Ziel erfüllt sind, gibt es bezüglich des israelisch-palästinensischen Konfliktes aus antiimperialistischer Sicht keine andere Möglichkeit, als - bei klarer Betonung des palästinensischen Rechts auf Widerstand - darauf hinzuweisen, dass ein gemeinsamer, demokratischer Staat die einzige Möglichkeit einer gerechten, antirassistischen und dauerhaften Lösung ist.

AIK