Imperiale Überlegenheitsmythen, Antisemitismus, arabische Judäophobie

24.05.2008

Erklärung der AIK

In den letzten Jahren wird immer wieder der Vorwurf des Antisemitismus gegen sämtliche Kritiker israelischer Politik erhoben. Schon die Antisemitismus-Definition der EU geht in eine Richtung Kritik an Israel recht pauschal unter Antisemitismus Verdacht zu stellen (1). Diese Vorgehensweise dient offensichtlich politischen Zielen und sie ist hochgradig gefährlich und intellektuell völlig unredlich. Letztlich werden die Palästinenser zur Verlängerung des europäischen Völkermordes an den Juden.

Die Entstehung des Antisemitismus fällt zeitlich ins Hochmittelalter. Damals wird das "christliche Abendland" als Gegensatz zum islamischen "Morgenland" konstruiert. Die "Kreuzzugsidee" entsteht im 11. Jahrhundert gemeinsam mit der "Gottesfriedensbewegung" - Einheit nach Innen, Aggression nach Außen, gegenüber allen "Anderen". Unter den ersten. Opfern der Kreuzfahrer, noch bevor in Jerusalem Muslime und Juden massakriert werden, sind die jüdischen Gemeinden in Teilen Frankreichs und dem Rheinland.

Die Ausprägung des Kapitalismus bringt die Geburt des modernen Nationalismus - Befreiungsbewegung gegen den Feudalismus auf der einen Seite, aber immer auch mit einer imperialistischen Option behaftet: Nicht Freiheit der Nation, sondern ihre Überlegenheit und Mission zur Herrschaft. Einheit nach Innen - Aggression und Ausbeutung gegenüber allen "Anderen": Die Geburt des bürgerlichen England sieht den ersten imperialistischen Völkermord, die rücksichtslose Ausrottung erst der Iren, dann der Schotten. Im 19. Jahrhundert transformiert sich in der Folge auch der Antisemitismus, statt religiös, wird er nun rassistisch-national. Die Juden sind die "Anderen" im Inneren der Gesellschaft, die interne Bedrohung, gegen die sich alle hinter den Eliten zusammenschließen müssen. Der Antisemitismus ist Teil einer Ideologie gesellschaftlicher Harmonie, wie sie sich auch in den "ständischen" Konzepten des alten Konservativismus und neu entstehenden Faschismus findet. Er ist dabei verbunden mit anderen imperialistischen, abendländischen und rassistischen Überlegenheitsmythen. Schon Tocqueville hat festgestellt, dass sich die Weißen Amerikas weigern den Sklaven und Indianern die "Allgemeinen Züge der Menschheit" zuzuerkennen und diese zu "Tieren" degradieren. Währenddessen sind für die französischen Offiziere in Algerien "die Araber so etwas wie schädliche Bestien" (Oeuvres complà¨tes, Bd. 15). Für den Nationalsozialismus ist der Judenhass, der bis zur industriellen Massenvernichtung führen sollte, untrennbar verbunden mit der Versklavung der Slawen in einem osteuropäischen Kolonialgebiet. Im Westen wünscht Hitler bis vor Kriegsausbruch gemeinsam mit Großbritannien die "Fahne des weißen Volkes" hochzuhalten (1937, Brief an die Daily Mail) und Rosenberg (Autor der Rassenlehre) preist die "schöpferischen Werte" und die "gesamte Kultur des Abendlandes." (Der Mythos des 20. Jahrhunderts, München 1930)

Die Grundlage des Antisemitismus und damit auch des Holocaust ist nicht das Böse in der Seele des Deutschen, sondern die Nationsvorstellungen des 19. Jahrhunderts und die kolonialen Mythen rassischer Überlegenheit. Ein Teil des alten Antisemitismus ist in Europa noch lebendig, in der Regel finden die imperialistischen Überlegenheitsmythen heute ihre Fortsetzung in neuen Mythen westlicher, abendländischer Überlegenheit. Ohne dabei "das gleiche" zu sein, wie der historische Antisemitismus. (Sie sind in aller Regel nicht rassisch-religiös, sondern kulturell-politisch.) Die Islamophobie ist so ein Mythos, der zivilisatorische Auftrag der USA und "des Westens" ein anderer, der antiarabische Rassismus ein weiterer. Nur zum Beweis, wie lebendig solche Dinge wieder sind: Der israelische Historiker Benny Morris (bekannt wegen seinen jüngsten Auftritten in Wien) erklärt: "muslimisch-arabische Herrschaft ist intolerant, diktatorisch und minderheitenfeindlich." Der Einsatz israelischer Atomwaffen gegen den Iran hätte eine heilsame Wirkung: "Weil jeder Angst haben wird. Ich denke, es könnte einen beruhigenden Effekt auf den Nahen-Osten haben." ("Letzte Chance ist eine israelische Atombombe", Interview mit derStandard.at vom 12.05.2008)

Gleichzeitig gibt es Feindschaft gegenüber Juden auch im arabisch-islamischen Raum. Das ist zu bekämpfen. Aber der Ursprung dieser Ressentiments liegt nicht im europäischen Antisemitismus, sondern in einem kolonialen Konflikt mit den israelischen Siedlern. (Was natürlich nicht daran hindert, Elemente des europäischen Antisemitismus aufzugreifen, wie die Leugnung des Holocaust, oder die jüdische Verschwörung - die Geschichte mit "den Juden", die hinter dem 11. September stehen, ist recht beliebt). Palästinenser sind nicht gegen Juden, aufgrund ihrer jüdischen Religion oder Volkszugehörigkeit, sie sind nicht gegen Juden, weil diese Juden sind - das Merkmal des rassistischen Antisemitismus- , sondern weil ihr Land von den zionistischen Siedlern gestohlen wurde und sie heute unter einem entsetzlichen Besatzungsregime leiden müssen. Und weil das offizielle Israel, aber auch viele jüdische Vertretungsorgane, wie etwa die Israelitische Kultusgemeinde, alles versuchen, Israel mit dem Judentum gleichzusetzen. Eine sehr gefährliche Operation: Unter heutigen Kräfteverhältnissen kann das dazu dienen, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu denunzieren und damit mundtot zu machen, aber im Gegenzug führt es auch dazu, dass die Verbrechen der israelischen Besatzungspolitik eben "den Juden" umgehängt werden.

Der alte Antisemitismus, der sich in Teilen der europäischen Gesellschaft immer noch hält, muss bekämpft werden, der Feindschaft gegen Juden, die es auch im arabischen Raum gibt, muss man entgegentreten. Das funktioniert über ein Auftreten gegen alle imperialistischen und rassistischen Überlegenheitsmythen, sowie durch einen gerechten Frieden im Nahen Osten, der auf dem Ende des Besatzungsregimes und dem Ende der Apartheid-Unterdrückung der Palästinenser aufbaut.

(1) Vgl: www.honestly-concerned.org

Antiimperialistische Koordination, 24. Mai 2008