""Autonomiebehörde gibt Unterdrückung Legitimität""

14.03.2004

Gespräch mit Muhammad Kana…‘ana (Abu As´ad)

Muhammad Kana…‘ana ist Generalsekretär von Abna´ al-Balad, einer Organisation, die sich in den 1948 besetzen Gebieten, im heutigen Staat Israel, gegen die zionistische Unterdrückung und für einen demokratischen Staat ausspricht. Das Interview wurde im Dezember 2003 geführt. Im Februar 2004 wurde Muhammad Kana…‘ana verhaftet. Er befand sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nach wie vor in Polizeigewahrsam.

Die israelische Regierung verhängte ein Ausreiseverbot gegen dich?
Ja. Die israelische Regierung behauptet, ich sei ein Sicherheitsrisiko. Die "Beweise" sind geheim, daher ist eine Anfechtung nicht möglich. Diese Maßnahme ist ein Teil der Repression gegen Abna´ al-Balad und andere Organisationen – die Islamische Bewegung, …‘Azmi Bishara und einen anderen Abgeordneten, der einer Autobombe entging. Es sind direkte und indirekte Angriffe des Regimes.
Was sind die politischen Perspektiven der Intifada?
Die Erste Intifada war klarer und stärker organisiert als die Neue Intifada. Das hat viele Gründe, die wichtigsten sind: Erstens – Die Tunis-Führung war während der Ersten Intifada nicht im Westjordanland und im Gazastreifen, die Palästinensische Behörde (PA) existierte noch nicht. Die Schaffung der Palästinensischen Behörde brachte eine ambivalente Situation und verhinderte die Entstehung einer vereinigten Führung. Die PA bzw. die Arafat-Führung sah und sieht sich als einzige führende Kraft und lässt andere nicht zu. Die PA bezieht ihre Legitimität aus dem Oslo-Abkommen und dieses ist umstritten unter den verschiedenen palästinensischen Fraktionen, daher ist auch die Existenz der PA selbst umstritten. Zweitens – Der Charakter der Intifada selbst ist umstritten. Manche sagen, alle Formen, wie etwa die Massenbewegung, die politische Bewegung oder bewaffnete Aktionen in den 48er-Gebieten, seien legitim; die PA möchte die Intifada nur als Volksbewegung zur Unterstützung ihrer Position in Verhandlungen, nicht um Befreiung zu fordern.
Ein weiterer Unterschied zur Ersten Intifada ist, dass die islamische Bewegung in der Ersten Intifada erstmals aufgetreten ist, doch nun ist sie im Gegensatz zur Ersten Intifada eine starke Kraft. Die Unterdrückung durch die israelischen Besatzungstruppen ist viel schärfer, und zwar aus folgenden Gründen: Das Kräfteverhältnis in der israelischen Regierung hat sich verschoben. Man kann nicht von einer rechts-links-Dichotomie sprechen, aber faschistische Elemente sind nun stärker in der Regierung vertreten. Die Existenz der PA und der Abkommen, die getroffen wurden, geben der Unterdrückung mehr Legitimität, da quasi eine Kriegssituation proklamiert wurde und bei jeder Aktion gegen die Besatzung die PA oder Zivilisten bombardiert werden. Nach israelischer Lesart ist die PA verpflichtet, gegen den "Terror" vorzugehen. All das erzeugt Uneinigkeit unter den palästinensischen Führungen, manchmal auch auf lokaler Ebene.
Es gibt auch eine Klasse in der palästinensischen Gesellschaft, die von der Existenz der PA profitiert, und diese Schicht möchte die Intifada stoppen oder ist überhaupt gegen die Existenz der Intifada. Die wirtschaftlichen Bedingungen – ein Resultat der israelischen Politik – sind denkbar schlecht. Im Westjordanland beträgt die Arbeitslosigkeit 65%, in Gaza 80%, viele leben mit weniger als einem Dollar pro Kopf und Tag. Diese Situation führt auch zu politischen Problemen: Es gab eine Brot-Demo von Arbeitern in Gaza, die gegen die Besatzung gerichtet war, doch Teile der PA wollten sie zu einem politischen Werkzeug gegen die Intifada umformen.
Die Intifada forderte bis jetzt eine sehr hohe Zahl an Opfern: Tausende Märtyrer und zehntausende Verletzte – das ist ein Zehnfaches im Vergleich zur letzten Intifada –, das kulturelle Leben liegt darnieder und nun wird die Mauer gebaut. All dies erzeugt einen enormen Druck auf die palästinensische Gesellschaft.
Erstmals erstreckte sich die Intifada auf ganz Palästina und nicht nur auf die 1967 besetzten Gebiete. Die israelische Regierung betrachtet das Auftreten von Elementen des Widerstands in den 48er-Gebieten sehr aufmerksam. Es handelt sich um eine Bewegung, die über humanitäre und politische Unterstützung hinausgeht, bis hin zur Unterstützung der bewaffneten Intifada.
Die ersten beiden Wochen, als die Palästinenser in den 48er-Gebieten an der Bewegung teilnahmen, waren der Bankrott der israelischen Politik der politischen Manipulation, die darauf ausgerichtet war diesen Teil der palästinensischen Bevölkerung und Bewegung abzuschneiden und sie in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Es ist eine schwierige Frage, das ist kein Scherz. Man kann kaum von einer politischen Perspektive der Intifada sprechen.
Die Erste und die Zweite Intifada haben die gleichen Slogans: Freiheit, Unabhängigkeit, Rückzug aus den 67er-Gebieten, d.h. die Schaffung eines palästinensischen Staats. Solange die Besatzung andauert, so lange wird es Widerstand und Intifada geben. Das ist grundlegend. Andererseits tut Israel, was es will, stellt sich mit einer unglaublichen Arroganz gegen internationales Recht und scheint Immunität zu genießen. Das palästinensische Volk darf Israel nicht so leicht davonkommen lassen. Der Kampf gegen die zionistische Bewegung ist langwierig und kann nicht in zwei, drei Jahren beendet werden. Aus dieser Perspektive sind der Tag des Bodens 1976, die Erste und die Zweite Intifada Stufen auf dem Weg zur Befreiung.
Die politische Perspektive der PA war es, die Intifada in Verhandlungen auszunützen um Zugeständnisse von der israelischen Regierung zu erzielen, doch diese Zugeständnisse erfüllten nicht einmal die minimalsten Bedingungen der Palästinenser.
Die Inhalte der israelischen Vorschläge – von der extremen Rechten bis zur sogenannten "Linken" wie Shalom Achshaw (Peace Now), der "Friedensbewegung", Yossi Beilin oder den Leute hinter der Genfer Initiative – gleichen sich alle. Sie sehen keine volle Souveränität für den palästinensischen Staat vor, aber weitere Besatzung Ostjerusalems, kein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge. Das entspricht nicht den Minimalforderungen der Palästinenser für ein Leben in Würde. Das Resultat ist, dass es keine klaren politischen Perspektiven der Intifada gibt.
Wie ist die Lage in den 48er-Gebieten?
Es gibt viele Gründe, warum die Intifada in den 48er-Gebieten nicht andauern kann, doch die Beteiligung am Kampf dauerte zwei Wochen und zwei weitere Wochen lang gab es Spannungen – das hat historische Bedeutung für Israel. Die Regierung demonstrierte ihre Macht, dennoch wurden ganze Gebiete in Israel lahmgelegt.
Eine neue Intifada in Israel ist nicht auszuschließen, obwohl die Bedingungen noch nicht reif sind. Doch die Situation verschlechtert sich in allen Lebensbereichen. Die wirtschaftliche Lage ist sehr schlecht und das vor allem auf Grund der Intifada. Die Arbeitslosenrate ist hoch, selbst Leute, die Arbeit haben, leben nicht sehr gut und auch die Kriminalität ist hoch.
Die politische Situation hat sich stark verändert. Bei den Knesset-Wahlen 2003 gab es eine Volksbewegung für einen Wahlboykott, erstmals boykottierten über 40% der arabischen Bevölkerung die Wahlen. Die Illusionen in Wahlen und in die arabischen Knesset-Abgeordneten wurden zerstört oder zumindest verringert. Abna´ al-Balad spielte eine zentrale Rolle in der Boykottkampagne.
Die allgemeine wirtschaftliche Situation in Israel ist schlecht, aber die Palästinenser in Israel sind noch stärker betroffen. Ihre Lage ist nicht aufgrund der Intifada so schlecht, sondern war schon immer so. Am schlimmsten ist es im Naqab (Negev), wo siebzigtausend Menschen ohne Strom und Wasser leben und ständig von Beschlagnahmungen von Land, Vorenthaltung von Baugenehmigungen und Häuserzerstörungen betroffen sind. Es gibt viele gegen die Araber gerichtete Gesetze in Israel. Dazu kommt die Diskriminierung in allen Lebensbereichen: Bildung und Schulsystem, Wohnungen, Arbeitsplätze und vieles mehr.
Auch die Repression gegen die palästinensische Bevölkerung ist natürlich stärker. Der offensichtlichste Ausdruck der politischen Unterdrückung ist die Inhaftierung der Führung der Islamischen Bewegung. Unter den Gefangenen ist unter anderen der Bürgermeister von Umm al-Fahm. Sie sind seit April im Gefängnis und jetzt beginnt der Prozess.
Die Liste der Unterdrückungsmaßnahmen ist schier endlos. Wir dürfen nicht in die 1967 besetzten Gebiete, es gibt Verhöre und Verhaftungen. Ein Sommerlager für Kinder und Jugendliche von Abna´ al-Balad Ende Juli wurde von der Polizei aufgelöst, vier Mitglieder der Führung wurden für eine Woche inhaftiert und rund zwanzig wurden für Verhöre festgenommen. Auch für Israelis verschlechtert sich die Situation.

Das Gespräch führte Georg Kreisel.