Brief aus dem Gefängnis

11.06.2004

von Moreno Pasquinelli, Rebibbia

An die Nationale Leitung des Komitees Freier Irak

An alle regionalen Komitees
Geschätzte Freunde und Genossen!

Wie Ihr wisst, hat die Staatsanwaltschaft gleichzeitig mit unserer Verhaftung auch die Internetseite des Komitees Freier Irak schließen lassen, weil, wie wir der Weisung entnehmen können, diese Seite der "Verbreitung der Aktivität der terroristischen Organisation DHKP-C" gedient hätte.
Eine eindeutig falsche Behauptung, denn auf unserer Homepage wurde nichts veröffentlicht, das auch nur entfernt mit der DHKP-C in Verbindung gebracht werden könnte. Das beweist einmal mehr die politischen Ziele des Angriffs der Repression, dessen Opfer wir geworden sind.
Er ist auch, wenn nicht vor allem, ein Angriff auf die Bewegung der Solidarität mit dem antiimperialistischen Widerstand des irakischen Volkes, einer Bewegung deren höchster Ausdruck die Komitees Freier Irak sind.
Ihr kennt auch die Vorwürfe mit denen wir verhaftet wurden: "Mit vollem Wissen und erklärtem Ziel" hätten wir "die terroristischen Aktivitäten" der türkisch-kurdischen Befreiungsbewegung DHKP-C unterstützt. Das ergibt den Vorwurf "Teil der terroristischen Vereinigung DHKP-C" zu sein.
Wir werden nun alle Teilelemente dieser Vorwürfe zurückweisen, denen jede Basis und Plausibilität fehlt.
Wessen ich tatsächlich schuldig bin, ist einem von einem antidemokratischen Militärregime (dem türkischen) gesuchten und verfolgtem Aktivisten geholfen zu haben. Ich habe ihm geholfen eine Wohnung zu finden, Arbeit und eine Aufenthaltsgenehmigung. Dessen bekenne ich mich schuldig. Die Anklage behauptet, dass unser türkischer Freund eine zentrale Rolle für die Infrastruktur "terroristischer" Aktivitäten der DHKP-C innegehabt hätte. Das wird sie erst beweisen müssen, ebenso wie sie zu zeigen hat, dass die Aktionen der DHKP-C terroristisch wären. Worüber es aber keinen Zweifel gibt, ist die Tatsache dass ich, Maria Grazia oder Alessia von konkreten Aktivitäten unseres türkischen Freundes nichts gewusst haben. Das behaupte nicht nur ich, in dem 600seitigen Haftbefehl bringt die Polizei keinen einzigen Hinweis darauf!
Der Haftbefehl stützt sich auf die "gemeinsame Position" des Rats der imperialistischen Europäischen Union vom 27. Dezember 2001, der den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus betrifft (Beschluss Nr. 930, 931). Dieser Beschluss hält aber auch fest, dass "die Strafbarkeit von der Teilnahme oder Finanzierung oder Unterstützung von Aktivitäten gegeben ist, wenn die Kenntnis vorhanden ist, dass dieses zu den kriminellen Aktivitäten der terroristischen Organisation beiträgt." Tatsächlich wird die Anklage aber niemals in der Lage sein zu beweisen, dass wir Teil der DHKP-C wären, oder auch nur indirekt von angeblichen "kriminellen Aktivitäten" gewusst hätten.
Ich weise darauf hin, dass im Artikel 29 des Vertrages der Europäischen Union der Kampf gegen "den Terrorismus" im Kontext des "Schutzes der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit …… der Menschenrechte und der menschlichen Würde, des Rechts auf freie Meinungsbildung und -äußerung" steht. Alles Rechte, die vom türkischen Militärregime gebrochen werden, was von der Europäischen Union auch als Vorwand verwendet wird, um Beitrittsgespräche mit der Türkei zu verhindern.
Die Anklageschrift nimmt schließlich auch auf den Artikel 270bis Bezug, in dem eine "terroristische Vereinigung" als "Vereinigung mit internationaler Zielsetzung" definiert wird. Wie es unmöglich ist die türkisch-kurdische Guerrilla als "terroristisch" zu disqualifizieren, ist es noch schwieriger sie in das Konstrukt eines "internationalen Terrorismus" einzuordnen, weil sie ausschließlich in der Türkei operiert und nur militärische Ziele angegriffen hat.
In dieser Situation hat ein Spruch des obersten Gerichtshofes vom 25. Dezember 2003 große Bedeutung, der eine Interpretation des Paragraphen 270bis darstellt. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass "Akte des internationalen Terrorismus verfolgt werden können, aber nicht wenn sie ausschließlich einen Drittstaat betreffen". Dabei wurde auch festgestellt, dass unter dieser Aktivität "das Ziel die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und den pluralistischen und demokratischen Charakter des Staates aufzuheben" zu verstehen sei.
Nun, in der Türkei gibt es keinen pluralistischen und demokratischen Staat, jeder weiß um die Unterdrückung von Oppositionellen und der nationalen Minderheiten. Das Parlament besitzt nur eingeschränkte Macht, welche tatsächlich in den Händen der Militärführung und einer mafiaartigen Oligarchie liegt. Nicht das türkische Regime – das der Staatsanwaltschaft in Rom und Perugia bei dieser grotesken Aktion beigestanden ist – sondern jene, die es bekämpfen (unter ihnen die DHKP-C), verteidigen die Menschenrechte und den (fehlenden) Rechtsstaat.
Das bringt mich zur wichtigsten Überlegung. Es steht nicht nur unsere persönliche Freiheit auf dem Spiel, mit dieser geht es auch um das Schicksal unseres Kampfes um die Wahrheit, den wir nicht nur im Rahmen der Ereignisse im Irak führen, sondern auch um die Zukunft Italiens.
Wir müssen das politische Paradigma zu Fall bringen, auf das sich die Anklage gegen uns stützt. Das ist die kriminelle Gleichsetzung von Freiheitskampf und Terrorismus. Tatsächlich: Wenn es gelingt uns wegen "Teilnahme (!) an der terroristischen Organisation DHKP-C" zu verurteilen, dann könntet auch Ihr alle, die ihr den legitimen irakischen Widerstand unterstützt, ins Gefängnis geworfen werden. Auf dem Weg der Zerschlagung der Demokratie wäre das also tatsächlich ein entscheidender Einschnitt, wie wir schon andernorts festgestellt haben: "Wo das geschieht, handelt es sich nicht nur um eine Verletzung des Rechtsstaates, sondern de facto um die Aufhebung des Rechtsstaates. Denn dann gilt das Recht des Staates die wesentlichste Bewegung zu illegalisieren, die das Imperium der USA als entscheidende Bedrohung der menschlichen Zivilisation anklagt. All das weist hin auf die schwere Verantwortung der Regierung Berlusconi-Pisanu."
Mit diesem Schreiben wollte ich Euch mitteilen, dass Ihr unserer Unschuld in Bezug auf die vorgebrachten Beschuldigungen sicher sein könnt. Wir wissen, was auf dem Spiel steht: Das Recht, den irakischen Widerstand zu verteidigen, fällt zusammen nicht nur mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, sondern auch mit dem Recht auf Souveränität der italienischen Bevölkerung.
Es lebe der irakische Widerstand!
Italien raus aus dem Irak!
USA raus aus Italien!

Moreno Pasquinelli
Rebibbia, 5. April