Zehn Jahre Zweite Intifada

Zehn Jahre Solidarität mit dem Aufstand der Palästinenser/innen
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Date: 
Samstag, 25. September 2010 - 15:00
City: 
Wien
Wien, Schwedenplatz
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Aufruf zur jährlichen Intifada- Solidaritätskundgebung

Am 28. September 2000 provozierte der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Sharon mit einem schwer bewaffneten Besuch der Al Aqsa-Moschee in Jerusalem den Ausbruch der zweiten Intifada. Hintergrund sowohl von Sharons Besuch als auch der palästinensischen Proteste im Anschluss war, dass sich der „Oslo-Friedensprozess“ für die Palästinenser/innen als Betrug herausgestellt hatte. Die Hoffnung der 1990er Jahre auf dauerhaften Frieden, einen eigenen Staat und wirtschaftlichen Aufbau war bitterer Enttäuschung gewichen. Beschleunigter israelischer Siedlungsbau und Unwille, die Kernprobleme, wie das palästinensische Rückkehrrecht oder den Status von Jerusalem zu verhandeln, aber auch maßlose Korruption und Bereicherung in den eigenen Reihen hatten der palästinensischen Bevölkerung klargemacht, dass Oslo nicht der Weg zur nationalen Selbstbestimmung sein würde.

Die Wut machte sich Ende September 2000 Luft. Die zweite Intifada brach aus. Nach zehn Jahren des Aufstandes ist die Bilanz zunächst ernüchternd: Tausende Tote, Zehntausende Verletzte, ein Lebensalltag unter Militärsperren, Checkpoints, Abriegelungen, der Mauer- und Siedlungsbau, kontinuierlicher Land- und Wasserraub, tägliche Schikanen und Demütigungen und nicht zuletzt die seit drei Jahren andauernde Totalblockade des Gazastreifens – das alles lässt die Situation der Palästinenser/innen hoffnungsloser erscheinen als je zuvor.

Auf politischer Ebene ist die Bilanz nicht sehr viel besser. Die Einheit der palästinensischen Befreiungsbewegung – ehemals ehernes Gesetz über alle politischen Unterschiede hinweg – ist einer tiefen Spaltung gewichen, die nur in oberflächlicher Betrachtung dem Schema politischer Islam versus Säkularismus folgt. Tatsächlich verläuft sie entlang der Frage, ob der Widerstand fortgesetzt werden soll. Die Antwort der historischen Führung des Widerstands spricht hier Bände: Längst hat sie sich mit der Rolle eines Kollaborateurs-Regimes mit Sitz in Ramallah angefreundet. Nur so ist zu verstehen, dass die palästinensische Bevölkerung, ehemals eine der säkularsten des arabischen Raumes, bei den Wahlen von 2006 mehrheitlich der Hamas ihr Vertrauen als Führungskraft ausgesprochen hat. Selbst wenn die historischen Führer in den Reihen der Fatah willens sind, die Forderung nach Selbstbestimmung im Austausch für persönliche Privilegien aufzugeben – die Bevölkerung ist es nicht. Und so stehen wir heute vor der beschämenden Tatsache, dass die palästinensische Polizei auf palästinensische Demonstranten schießt, die gegen die israelische Kriegspolitik protestieren und dass die Regierung in Ramallah einen Untersuchungsbericht israelischer Kriegsverbrechen im Gazastreifen zurückhalten möchte.

Die Situation der palästinensischen Widerstandsbewegung ist heute komplexer denn je zuvor, sowohl im Fatah-regierten Westjordanland als auch im eingeschlossenen Gazastreifen unter Hamas-Führung. An der objektiven Notwendigkeit des Widerstandes hat sich jedoch nichts geändert. Denn die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung hat sich nicht gebessert – genau das Gegenteil ist der Fall. Und hier liegt auch die Botschaft, die vier Jahre nach den Parlamentswahlen trotz aller Widersprüchlichkeiten im palästinensischen Lager nach wie vor Gültigkeit hat: Die palästinensische Bevölkerung will den Widerstand gegen die Unterdrückung nicht aufgeben!

Diese Botschaft sollte der Solidaritätsbewegung im Westen als Maßstab gereichen. Allzu oft wird sie hingegen missachtet. Auch im Westen hat die Wahrnehmung des Konfliktes im Nahen Osten eine große Wandlung erfahren. Einerseits haben zehn Jahre des vom Westen geführten Kriegs der Kulturen diese Strategie ad absurdum geführt. Ihr Scheitern im Irak und in Afghanistan ist offensichtlich. Und auch das Scheitern der westlichen Nahost-Politik als Teil dieser Strategie lässt sich nicht mehr leugnen oder durch immer wieder aufgewärmte Verhandlungsrunden, wie jüngst in Washington, vertuschen.

Andererseits hat im Westen die Islamophobie stark an Terrain gewonnen. Während noch in den 1990er Jahren die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Kritik an Israel nicht in Frage gestellt wurde, hat sich deren Gleichsetzung, dank einer massiven Kampagne pro-israelischer Kräfte, inzwischen in der öffentlichen Meinung durchgesetzt – zumindest im deutschsprachigen Raum. Damit einher geht die ständig anwachsende Islamfeindlichkeit und die pauschale Verurteilung des Widerstandes als terroristisch. Ganz so, als ob es in Europa nie Widerstand gegen weitaus überlegene Unterdrückungsregime gegeben hätte, ist der Gedanke, dass es das ureigenste Recht von Menschen ist, sich gegen Unterdrückung zu wehren, weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein gewichen.

Umso mehr ist die westliche Solidaritätsbewegung gefragt, ihrerseits Widerstand zu leisten. Es gilt, sich nicht von der Einschüchterungsstrategie der Medien und Regierungen sowie von Antisemitismusvorwürfen beeindrucken zu lassen. Es gilt, das palästinensische Recht auf Widerstand gegen alle Delegitimierungsversuche zu verteidigen!

Teil der Einschüchterungsmaschinerie sind die vielgestaltigen Bemühungen, Israel im Westen als friedliches und weltoffenes Land darzustellen, zu dem „normale“ Beziehungen aufgebaut werden müssen. Der Tel Aviv Beach am Wiener Donaukanal ist ein Beispiel für diese Normalisierungsstrategie. Betont unpolitisch, versucht er, das Bild von einer toleranten, multikulturellen und integrativen israelischen Gesellschaft zu verbreiten. Dass Israel ein permanent kriegführender Apartheidstaat ist, hat in diesem Bild keinen Platz.

Dem halten wir die Realität im Gazastreifen entgegen. Dieser vollkommen eingeschlossene, von der Außenwelt abgeriegelte Streifen Land, auf dem auf engstem Raum und unter unwürdigen Bedingungen und permanenter militärischer Bedrohung mehr als 1,5 Millionen Menschen leben, ist heute praktisch zu einem Symbol für die Unterdrückung der Palästinenser/innen geworden. So wie die Gaza Freedom Flotilla vor einigen Monaten versuchte, die Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen, so werden wir uns bemühen, in Umkehrung der Bewegungsrichtung, die Realität des Gazastreifens der Wiener Bevölkerung vor Augen zu führen.

Der Gaza Beach liegt dem Tel Aviv Beach gegenüber. Stacheldraht und das Dröhnen der Militärflugzeuge sind das Spiegelbild des weltoffenen Tel Aviver Kulturlebens.

Wir rufen alle Freundinnen und Freunde Palästinas auf, sich an der Solidaritätskundgebung im Zeichen des zehnten Jahrestages der zweiten Intifada zu beteiligen.

Der Widerstand geht weiter – die Solidarität auch!