Lebenslänglich für »Barfußdoktor«

06.01.2011
Indien: Binayak Sen nach Aufruhrparagraphen aus der Kolonialzeitabgeurteilt
Von Thomas Berger, junge Welt vom 31.12.2010
Unverständnis, Bestürzung und Empörung über das Urteil gegen Binayak Sen halten in ganz Indien weiter an. Der Arzt und Sozialaktivist soll wegen Volksverhetzung lebenslang ins Gefängnis. Er habe die maoistische Untergrundbewegung unterstützt, hieß es in dem Schuldspruch des Gerichtshofs im zentralindischen Raipur vom 24. Dezember.

Als Basis für die Verurteilung diente ein 140 Jahre altes Gesetz, nachdem bereits die britische Kolonialmacht Unabhängigkeitsvorkämpfer wie Mahatma Gandhi und Bal Gangadhar Tilak verfolgt hatte. Mehrere Nobelpreisträgersetzen sich nun zusammen mit Basisinitiativen für eine Revision des Verfahrens ein.

Binayak Sen ist einer von vielen engagierten Menschen, die von offizieller Seite als Bedrohung dargestellt werden, weil sie– wenigstens teilweise – den Kampf der indischen Maoisten unterstützen. Diese verfügen in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten über nennenswerten Einfluß. Inmehreren abgelegenen Gebieten unterhalten sie sogar Parallelverwaltungen. Biyanak Sen, der Vizepräsident derMenschenrechtsorganisation PUCL ist, wurde vorgeworfen, daßer drei Briefe eines verhafteten Maoistenführers an unbekannte Empfänger in Kolkata (Kalkutta) weiterleiten wollte undmehreren Aktivisten bei der Eröffnung von Bankkonten und Jobbeschaffung geholfen habe – eine schwache Basis füreine derartige Verurteilung, erklärten seine Unterstützer.

Der Verurteilte ist in ländlichen Gebieten des Subkontinents auch als »Barfußdoktor« bekannt. Absolvent medizinischer Lehrstätten, der eine große Karriere im System mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten vor sich gehabt hätte, war er vor knapp drei Jahrzehnten in die Provinz Chhattisgarh in eines der entlegenen Gebiete Zentralindiens gegangen, um dort eine Klinik aufzubauen. Aus bis zu 30 Kilometer Entfernung der umliegenden Dörfer trafen die Patienten ein,die andernfalls eine Zweitagesreise durch den Wald zumnächstgelegenen medizinischen Vorposten hätten antretenmüssen. Sen begann mit der Ausbildung von medizinischen Fachkräften in den Ortschaften – ein Programm, das später von der Regierung übernommen wurde.

Daß Sozialaktivisten sich öffentlich mit den grundlegenden Zielen der Maoisten, wenngleich nicht deren Methoden, solidarisch erklären, ist kein Einzelfall. Sie waren deswegen heftigen Reaktionen seitens der Medien und der Politik ausgesetzt. Neu ist allerdings, daß jemand, der mit der Bewegung nur punktuell direkte Kontakte hatte, abgeurteilt wird. »Je schneller wir ihn abschaffen, desto besser«, hatte schon Indiens erster Premierminister, Jawaharlal Nehru, über denArtikel 124A des Strafgesetzbuchs gesagt, sich aber letztlich nicht durchgesetzt. Der Passus blieb weiter in Kraft. Und wird angewandt.

Unterschriftenliste für eine Petition zur Freilassung: www.binayaksen.net

Verweise