Das Massaker von Norwegen, der europäische Rechtsextremismus und die österreichische Regierung

28.07.2011
Am 22. Juli 2011 ermordet ein norwegischer Rechtsextremist knapp Hundert Kinder. Das schlimmste Beispiel rechter Gewalt in Skandinavien seit dem 2. Weltkrieg. Breivik ist dabei kein Neonazi, sondern bezeichnet sich als „christlich-konservativ“ – sein Feind sind die Muslime, sowie der „Mulitkulturalismus“ der diesen als Sprungbrett für die Beherrschung der Welt diene. Mit einem Gewaltakt demonstriert er dabei den Abschluss der Transformation Trägerideologie des europäischen Rechtsextremismus vom Antisemitismus zur Islamophobie.

Sofort nach dem Anschlag wird Breivik zum wahnsinnigen Psychopathen erklärt, obendrein zum Einzeltäter. Beides ist ziemlich sicher richtig. Niemand ohne ernsthafte Persönlichkeitsstörung bringt Hundert Kinder um. Und – ohne auszuschließen, dass es einzelne Komplizen gab – wir glauben nicht, dass eine relevante Strömung der europäischen Rechten eine Terrorkampagne gegen Regierungsziele beginnen will. Und demnächst der Bundestag von „Tempelrittern“ eingeäschert wird.
Nur: Hitler hatte wohl auch eine Persönlichkeitsstörung, deswegen ist der Nationalsozialismus dennoch kein Zufall. Anderes Beispiel: Michelle Bachmann glaubt, dass die USA von Gott bestraft und zerstört wird, sollte Israel auch nur einen Zentimeter des Westjordanlands aufgeben. Wir glauben wohl, dass es eine imperialistische Logik für die fortgesetzte Besatzung des Westjordanlandes gibt, aber die Argumentation deutet trotzdem auf ein Borderline-Syndrom. Dennoch könnte Michelle Bachmann die nächste Präsidentin der USA werden.
Heißt: Nur weil jemand ein Spinner ist, ist das was er tut dennoch nicht ohne politische Bedeutung. Und wenn man sich im Internet auf die Suche nach Breiviks 1500 Seiten Manifest begibt (wir haben unsere Ausgabe in einem Forum für Bodybuilder gefunden), bemerkt man auch, dass er nicht nur auf totale Ablehnung stößt.

Tatsächlich ist Breiviks Islamophobie eine extremistische Variante einer viel breiteren Stimmung, die weit in die liberale Mitte und die historische Linke hineinreicht. Von Alice Schwarzer zu Orianna Fallaci, von deutschnationalen Studenten zu antideutschen Autonomen: Der Islam bedroht uns und unsere Lebensweise.
Breivik war ein eifriger Poster im Internet, eine ganze Islamophobe „Blogosphäre“ gibt ihm Betätigungsfeld. Unter anderem der deutschsprachige Blog „Politically Incorrect“. Selbstdefinition: „Proamerikanisch. Proisraelisch. Gegen die Islamisierung Europas.“ In seinem Manifest setzt er sich inhaltlich nicht besonders von dieser Szene ab: Er ist kein Anhänger nationalsozialistischer Rassenideologie (wohl aber ein Rassist), sicher kein Antisemit. Den israelischen Regierungschef Nethanyahu bewundert er, Israels Sperrmauer hält er für eine vernünftige Vorgehensweise.

Breiviks proisraelische Haltung löst in Österreich ein wenig Verwunderung aus: Ein Rechtsextremist muss ein Nationalsozialist sein – warum ist ein Nazi für Israel? Tatsächlich ist die Transformation der europäischen extremen Rechten hin zu einer proisraelischen Position fast vollständig abgeschlossen. Im wesentlichen beginnt dieser Prozess in den 1950er Jahren, als den Terroristen der OAS, in vieler Hinsicht die Vorläufer des heutigen Front National, ob der Algerienfrage das Antiarabische wichtiger wird als der Antisemitismus – ein Bruch mit den Traditionen der französischen Rechten, die ebenso antisemitisch war wie die deutsche. Es folgt in den 1970er Jahren die enge Zusammenarbeit von Israel mit dem südafrikanischen Apartheidregime und einer Reihe von rechtsextremen lateinamerikanischen Militärdiktaturen, sowie die traditionelle proisraelische Haltung der türkischen extremen Rechten. Mit den 1990er Jahren und dem neune Jahrtausend wird dann die Islamophobie immer wichtiger. Der Flaams Block, Pim Fortyn, Pro Köln und Geerd Wilders: Überall erscheint Israel als natürlicher Verbündeter im Kreuzzug gegen die Muslime. Und 2010 begibt sich dann auch HC Strache auf ein Treffen mit der extremen rechten Israels. Nur der radikalste Flügel der deutschen Nazis beharrt noch auf dem Hitlerismus des Zweiten Weltkriegs. Bis zum 22. Juli. Der radikalste Flügel des europäischen Rechtsextremismus ist jetzt Anders Breivik. Radikaler geht nicht.

In Wahrheit erscheint das nicht besonders ungewöhnlich: Wenn man einmal die antisemitischen Wahnvorstellungen durch antiislamische Wahnvorstellungen ersetzt (oder wenigstens nach hinten gedrängt) hat: Dann erscheint der koloniale Apartheidstaat Israel automatisch als Vorposten des Abendlandes gegen die Barbaren.

Die Reaktion der österreichischen Regierung auf die Ereignisse in Norwegen war vorhersehbar: Härtere Gesetzte, mehr Polizeibefugnisse. In Zukunft soll auch das Gutheißen des Terrorismus bestraft werden. Die Argumentation ist abenteuerlich: Breivik ist das Produkt einer euroamerikanischen Islam-Terror Psychose. Bekämpfen will man ihn mit mehr Terror-Hysterie.
Das Opfer einer solchen Gesetzgebung ist die freie Meinungsäußerung: Wer Widerstand gegen Besatzung unterstützt, kann wohl in Zukunft mit Gefängnis bestraft werden. Wir würden die Frau Innenminister gern darüber informieren, dass Breiviks Opfer in der Stunde vor dem Massaker eine Veranstaltung zum Boykott Israels durchgeführt haben. Vielleicht sollte man sich da um einen europäischen Haftbefehl kümmern? Posthum? Oder wenigstens für die Überlebenden?