Sündige Islamisten?

24.05.2012
Interview mit Mohammed Wakid über die momentane Situation der Tahrir-Bewegung, der Rolle des Militärs, der Moslembrüder und der USA.
Von Anna-Maria Steiner und Wilhelm Langthaler
Mohammed Wakid ist ein führender Aktivist der ägyptischen Tahrir-Linken. Er ist Mitglied der „Revolutionären Sozialisten“ und Vorsitzender der panarabischen „Nationalen Front“, die versucht die revolutionären Kräfte zu vereinigen. Wakid ist Co-Redakteur von jadaliyya.com [„Dialektik“], einer panarabischen Webseite auf Englisch und Arabisch, die versucht die Entwicklungen der arabischen Gesellschaft zu kommentieren und den Dialog mit der internationalen Bewegung gegen die globale Oligarchie voranzutreiben.
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Nach dem Sturz von Mubarak hat die Moslembruderschaft (MB) einen instabilen Block mit dem Obersten Militärrat (Supreme Council of the Armed Forces – SCAF) gebildet. Was ist der Grund dafür und wird sie ihn erhalten können?

Der Block wird vor allem durch den Einfluss der USA in der Region bestimmt. Wir reden hier nicht von einem Block zwischen SCAF/MB sondern zwischen SCAF/MB/USA.
Beginnen wir mit der Armee. Ihre Anführer waren mit der Revolution einverstanden, da sie Mubarak und seinen Sohn loswerden wollten, da diese versucht haben den Einfluss der Armee einzuschränken. Sie waren gegen die Übertragung von Mubaraks Macht auf seinen Sohn. Gamal Mubaraks Idee war eine Art Monarchie, was die Armee nicht akzeptieren konnte. Es war eigentlich Gamal, der die Herrschaft seines Vaters zerstört hat und es war klar, dass er nicht in der Lage sein würde fortzuführen was sein Vater getan hatte. Bereits vor Mubaraks Sturz war es der Nachrichtendienst der Mubarak angriff, in den Medien etwa. Die Generäle wollten Mubarak loswerden ohne das System zu verändern.

Es war ein sehr gefährliches und schwieriges Unterfangen, da es eine gewaltige, revolutionäre Bewegung auf der Straße gab und gleichzeitig die mächtige Organisation der Moslembruderschaft (MB). Also versuchte die Armee einen Deal mit der MB auszuhandeln um die Macht zu teilen – ein Arrangement, in das die USA involviert waren. Washington hatte aus seinen Fehlern im Irak gelernt und versuchte mit lokalen Stellvertretern zu spielen, wofür die MB mit ihren über das ganze Land verteilten Zweigstellen ein idealer Kandidat war. Mit dem Beispiel der türkischen Islamisten vor Augen, gestützt auf saudisches Kapital und auf die Idee einer regionalen sunnitischen Koalition sah es nach einer durchführbaren Möglichkeit aus. Die Verhandlungen begannen bereits vor der Revolution und wir glauben, dass Mubarak sich dessen bewusst war. Das ist der Grund dafür, dass er die MB nach der letzten Wahl 2010 alle aus dem Parlament warf. Wir haben uns immer bemüht diesen dummen Fehler zu verstehen, da Mubarak ihnen zuvor immer einen bestimmten Anteil an Sitzen überlassen hatte. Dieser Schachzug, sie aus dem Parlament zu entfernen, verärgerte die Leute und war ein Grund dafür, dass die Revolution ausbrach. Aber jetzt können wir diese Episode verstehen. Er wusste, dass die Amerikaner auf die MB setzen würden, also warf er sie hinaus.

Nach dem Sturz von Mubarak entstand die Bewegung in der gesamten Region. Die MB ist überall und besonders in Syrien setzten die USA auf sie. Die meisten der Bewaffneten sind Islamisten, entweder MB oder Salafisten. Aber dieses Setzen der USA auf die Moslembrüder bringt auch eine Schwäche zum Ausdruck: Sie haben keine anderen Option. Doch auf der anderen Seite können die USA die MB erpressen, da sie ihre diversen Projekte in den verschiedenen Ländern jederzeit torpedieren können, wenn sie wollten.

In einem gewissen Sinne haben also die USA dem Militär die MB aufgezwungen, was Probleme verursachte. Laut Washingtons Plan soll die MB regieren und die Armee soll sie in Schach halten. Aber für die Generäle ist das nicht genug. Sie wollen mehr und darum senden sie wütende Signale in Richtung Washington, wie etwa die Gerichtsverfahren gegen ihre NGOs.

Der Konflikt generiert zunehmend eine instabile Situation, die uns alle verwirrt. Die Mitglieder des Trios jedenfalls benötigen die jeweils anderen, während sie sich gleichzeitig schaden. Je länger dieser Konflikt andauert, umso mehr wird er uns stärken.

Der Tahrir und die Linke kämpfen gegen den SCAF und diesen Machtblock. Gibt es Chancen diese Allianz zu brechen? Oder ist es sogar unangebracht von der Linken zu sprechen?

Letzten Endes ist es eine linke Bewegung. Und ein großer Teil davon ist sehr radikal. Sie hat gegen den SCAF gekämpft und nur indirekt gegen den Block. Erst in letzter Zeit hat sie die MB zu ihren Feinden hinzugefügt. Die Bewegung hat beinahe ein Jahr gebraucht, um zu verstehen, dass die MB ein Teil dieses Blockes ist. Für einige Leute war die Idee, dass die MB ein US-Agent sein könnte, unvorstellbar. Aber es wird offensichtlicher, je mehr Zeit vergeht.
Wenn der Konflikt zwischen SCAF und MB noch längere Zeit anhält, wird er beiden ernste Probleme bereiten. Aber sie beginnen zu verstehen, dass sie sich gegenseitig schaden. Wenn also ihr Konflikt schnell endet und es ihnen gelingt sich zu einigen, dann haben sie eine Chance.

Die Linke und der Tahrir sind immer noch nicht stark genug, um es mit diesem Block aufzunehmen. Wir müssen auf ihre internen Gegensätze setzen, ihre Beziehungen zu den USA und zu den Salafisten. Gleichzeitig benötigen wir eine wesentlich breitere Perspektive im Kampf gegen die Herrschaft der Armee und für eine zivile Herrschaft.

Die wichtigen Errungenschaften der MB sind die Wahlen, die eine Möglichkeit darstellen der Bewegung auf der Straße Einhalt zu gebieten. Ist das nicht eine Falle für die Linke?

Ja und nein. Wir haben wegen den Wahlen, dem Parlament viel verloren. Aber letzten Endes hat das Parlament viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil die MB es in Richtung Marionette des SCAF steuern, da sie eine Vereinbarung haben. Der SCAF versucht die MB unter Druck zu setzen und umgekehrt. Aber sie sind sehr darauf bedacht sich gegenseitig nicht zu sehr zu delegitimieren. Das hat der Glaubwürdigkeit des Parlaments geschadet.

Natürlich ist die Mehrheit mit dem Parlament, aber die Mehrheit hat auch nicht an der Revolution teilgenommen. Revolutionen sind das Unternehmen einer fortgeschrittenen Minderheit. Was wir brauchen, ist, dass das Parlament bei jenen an Glaubwürdigkeit verliert, die die Revolution unternommen haben. Ich würde sagen, dass etwa die Hälfte von ihnen bereits jetzt zu dem Schluss gekommen ist, dass das Parlament nichts getan hat, außer jene zu attackieren, die dem SCAF entgegentreten. Es hat die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse genau so wenig verändert, wie die Privilegien der Eliten, die diese vom Mubarak-Regime geerbt hat. Sie versuchen dasselbe Regime zu reproduzieren, gegen das wir revoltiert haben. Momentan können wir sagen, dass ein Viertel der Bevölkerung gegen den SCAF ist, aber nicht alle von ihnen sind gegen die MB oder das Parlament. Die Menschen haben ihre Hoffnung verloren und diese Hoffnung verlagert sich auf die Präsidentschaft. Wenn die Dinge so weitergehen wie bisher, wird das Parlament mehr und mehr zu einer Kopie von Mubaraks altem Parlament.

Wie interpretieren Sie den Fußballkonflikt? Sind die Bedingungen für den Tahrir nun günstiger?

Der Fußball-Zwischenfall steht exemplarisch für das, was in Ägypten vor sich geht. Es geht um ein Match zwischen den Mannschaften von el-Ahly und Masri in Port Said, das den Tod von - offiziell – 79 Menschen zur Folge hatte. Inoffiziell waren es an die 200. Einige wurde gehenkt, anderen wurde das Genick gebrochen. Wer hat das nun getan?

Es ist unglaubwürdig, dass das alles nur von Fußballfans getan wurde. Einige Leute glauben, dass Schläger in die Fans eingeschleust wurden. Das Ereignis war von sehr seltsamen Umständen begleitet. Sie haben den Polizeichef dieses Gouvernements nur ein paar Tage vorher durch einen komplett unfähigen Mann ersetzt. Zeugen sagen, dass Polizisten in Zivil die Fans aufhetzten. Es waren Leute mit Waffen im Stadion und es gibt noch etliche andere Hinweise darauf, dass das hier nicht nur ein Streit zwischen Fußballfans war.

Die Untersuchungskommission des Innenministeriums sagte, dass es die Fußballfans waren. Das Parlament kam zu demselben Schluss, mit dem Unterschied, dass es einiges an Unaufmerksamkeit auf Seiten der Sicherheitskräfte gab, aber keine Nachlässigkeit. Das hat gezeigt auf welcher Seite das Parlament steht.

Gleichzeitig gab es einen Versuch die Bevölkerung von Port Said verantwortlich zu machen, mit Rufen nach Kollektiv-Strafen. In den ersten Tagen war es sehr schwer Essen nach Port Said hineinzubringen. Autos aus der Stadt wurden zerstört und Port Saidis wurden angefeindet. Es war ein Versuch die Menschen kollektiv zu kriminalisieren um von den wahren Schuldigen abzulenken.

Sie haben auch versucht die Fußballfans zu kriminalisieren. Rivalitäten zwischen verschiedenen Clubs gehören aber zur Fußballkultur, nicht nur in Ägypten sondern auf der ganzen Welt. Bei Zusammenstößen zwischen Fans werden selten Menschen getötet und die Sicherheitskräfte sind da um dazwischen zu gehen. Warum haben sie es jahrelang geschafft Zusammenstöße zu vermeiden und plötzlich war es nicht mehr möglich? Sie haben im Grunde die Opfer zu Tätern gemacht.

Der Islam basiert historisch gesehen auf einer Belagerung und der Ausgrenzung der ersten Muslime in Mekka, so dass sie nach Medina auszogen – ein Ereignis das Hijra genannt wird. Unser Kalender basiert auf der Hijra. Der Prophet verließ Mekka und floh nach Medina wegen dieses Belagerungszustandes. Eine Belagerung ist eine sehr große Sünde. Nur Kuffar, Ungläubige, führen Belagerungen durch. Israel macht das etwa rund um Gaza. Jetzt haben wir ein Parlament mit einer islamischen Mehrheit und das erste, was es tut, ist einen Belagerungszustand gegen Port Said zu verhängen. Unter den Islamisten ist also eine schwere Sünde begangen worden.

Die Liberalen haben von individuellen Rechten gesprochen und verurteilen Kollektivstrafen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber die erste Handlung des Parlaments war eine solche kollektive Bestrafung. Die Revolution hat von einem Ägypten gesprochen, dass alle inkludiert, einen zivilen Staat, keine Diskriminierung. Statt dessen ging es zuerst gegen die christliche Minderheit, dann gegen die nubische Minderheit und jetzt gegen die Port Saidis.
Port Said war schon immer als eine Stadt des Widerstands bekannt, zum Beispiel gegen die britische Besatzung 1956. Port Said zeigt uns, wo wir enden werden, wenn wir weiterhin unsere eigene Geschichte betrügen: Islamisten, die Sünden gutheißen. Liberale, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gutheißen. Das Erschaffen von Minderheiten aus dem Nichts um sie dann zu diskriminieren. Wir werden alle zu Bürgern dritter Klasse werden. Der Fußballkonflikt zeigt uns, was es kostet, die Revolution zu betrügen.

Der Hauptverantwortliche ist der SCAF, der sich um die Sicherheit kümmern muss. Wenn es eine Verschwörung gibt, dann hätten sie etwas dagegen tun sollen. Sie haben jetzt seit mehr als einem Jahr über eine Verschwörung gegen die Nation geredet und nicht einen einzigen Verschwörer festgenommen. Sie haben Menschen, mit Hilfe der Medien, gegen Port Said aufgehetzt. Es ist eine Ansammlung von Hass, die nun gegen Port Said gelenkt wird.
Was in Port Said geschehen ist, ist katastrophal und zeigt uns die Zukunft, wenn wir nicht gewinnen. Das ist die einzige Art auf die sie an der Macht bleiben können – Aufwiegelungen begünstigen, damit wir uns gegenseitig bekämpfen. Einerseits haben die Ereignisse den SCAF und das Parlament diskreditiert, aus den Gründen die bereits erklärt wurden, andererseits gibt es noch immer genug Menschen, die den offiziellen Geschichten Glauben schenken, um die Sache für uns kompliziert zu machen. Es ist also ein zweischneidiges Schwert.

Führt die Blockbildung SCAF-MB zu Problemen innerhalb des islamischen Milieus? Gibt es eine Möglichkeit einen Teil des islamischen Umfelds vom SCAF zu distanzieren und in eine Allianz mit dem Tahrir/der Linken zu bringen?

Ich denke nicht, dass so etwas möglich ist. Der islamistische Block wird überleben. Die Islamisten werden gehorchen. Die Salafisten vom Tahrir sind eine sehr, sehr kleine Minderheit des Blocks. Und in der momentanen Situation ist auch der linke Flügel der MB, der hinausgeworfen wurde, eine sehr kleine Minderheit. Der Hauptblock wird aus dieser Situation intakt herauskommen, aber Wählerstimmen verlieren. Die meisten Menschen, die ihnen ihre Stimme gaben, haben das getan, weil sie das für ihre Pflicht als gute Muslime hielten. Und sie haben es für die Stabilität getan, denn dafür ist die MB seit Jahren gestanden, auch gegen Streiks und Umbrüche. Die Mehrheit sehnt sich nach Stabilität.
Aber jetzt sehen die Menschen die MB mit dem SCAF kooperieren. Diese Wahrnehmung nimmt bei den Massen zu und Wähler wenden sich von ihnen ab. Sie könnten bis zu zwei Drittel ihrer Wählerschaft verlieren. Nur ihr Kernblock wird bleiben. Das kann man aus dem Ergebnis der Oberhauswahlen herauslesen, an denen weniger als 10% teilnahmen, während es bei den Unterhauswahlen vor einigen Monaten noch an die 60% waren. Die MB mobilisiert ihre Wählerschaft sehr stark, somit zeigt die geringe Teilnahme ihre Probleme. Die Menschen hielten das Oberhaus für sinnlos, und die MB konnte sie nicht davon überzeugen, für etwas Sinnloses zu stimmen. Ihr harter Kern macht nicht mehr als 15% der Bevölkerung aus.

Ist es möglich, dass der SCAF versucht die Anti-USA-Karte zuspielen, um die MB in das pro-imperialistische Eck zu stellen?

Der Kampf zwischen den USA und dem SCAF ist real. Aber er ist nicht tief greifend, beide sind im selben Lager. Sie haben gegensätzliche Meinungen, wie sie mit den Angelegenheiten in Ägypten umgehen sollen und wie viel Autorität der SCAF erhalten soll. Dieser Konflikt bedeutet jedenfalls nicht, dass die MB in das pro-imperialistische Lager gedrängt wird – sie sind bereits dort. Sie glauben sie könnten mit den Amerikanern arbeiten, mit ihnen spielen, das Maximum an Profit herausschlagen und sich dann ihrer entledigen. Das ist ein gewaltiger Fehler von ihnen. Die MB hatte einiges an Legitimität im Volk und ein anständiges Wahlergebnis. Sie haben das alles benutzt um ein Abkommen mit den Amerikanern auszuhandeln und nicht um das Land auf Vordermann zu bringen. Und sie werden so weitermachen. Ihr Programm ist neo-liberal, sie wollen die Multis hereinholen und sie verlassen sich mehr und mehr auf Saudi-Arabien. Sie sind mit den Amerikanern im Bett, egal was der SCAF macht. Mehr und mehr regionale Projekte der MB brodeln und entwickeln sich und je mehr es werden, umso mehr werden sie von Washington und dem SCAF abhängig sein: Trotz des internen Kampfes werden sie letztlich einen Kompromiss finden, denn am Ende sind sie aufeinander angewiesen. Die MB nähert sich allein durch die Logik ihres Plans immer mehr an die USA an und nicht weil der SCAF mit ihnen spielen würde. Der SCAF zeigt vielleicht ein paar der Machenschaften zwischen der MB und den USA auf, aber das ist nicht der Grund, warum sie im US-Lager enden.

Was ist ihre Position zu den Präsidentschaftswahlen?

Genau wie bei den Parlamentswahlen, wissen wir nicht, wofür wir eigentlich abstimmen. Wir kennen die Befugnisse des Parlaments nicht und wir wissen nicht, worum es bei der Präsidentschaft geht. Die Beschreibung dieser Aufgabe sollte in der Verfassung festgehalten werden. Die bisher nicht geschrieben wurde. Das gilt für alle Funktionen des Staates, wie der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Aber bei der Präsidentschaft ist das noch einmal schlimmer, da es hier viele verschiedene Modelle gibt. Es gibt die parlamentarische Variante, bei der die Präsidentschaft eher eine Ehrenrolle hat, wie in den meisten europäischen Ländern, oder einen sehr starken Präsidenten wie in den USA, oder in Ägypten während Mubaraks Herrschaft. Wir entscheiden uns aber zuerst dafür, wer es sein wird und erst dann entscheiden wir, was seine Vorrechte sein werden – das ist natürlich Unsinn. Sie machen das, um alle ihre Figuren in Position zu bringen, so dass der SCAF später seine Autorität festlegen kann, bevor er die Regierung verlässt und eine Marionette hinterlässt.

Inwiefern sind Palästina und Gaza wichtig für den Tahrir und das islamische Milieu? Oder werden sie missbraucht?

Die Frage Palästinas und Gaza sind leider weniger sichtbar als unter Mubarak. Die Menschen sind zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt. Die einzige internationale Angelegenheit, die Aufmerksamkeit bekommen hat, war Syrien. Das liegt daran, dass die MB Proteste um Syrien mobilisiert. Aber sie hat zu keinem Zeitpunkt für Palästina oder gegen Israel mobilisiert. Eigentlich wurden alle Proteste gegen Israel von der Linken oder dem Tahrir durchgeführt. Die Programme der Islamisten, inklusive der MB und der Salafisten, erwähnen Israel nicht einmal. Aber auch für die Linke ist dieses Thema nicht an der Spitze ihrer Agenda. Es wird erst dann wichtig, wenn es Zwischenfälle gibt.

Es gibt dieses „Beschuldigungs-Spiel“. Der SCAF hat die dritte Gruppe neben ihnen und den Revolutionären zur Sprache gebracht. Es ist eine zweifelhafte Gruppe. Der SCAF behauptet einige Informationen zu besitzen, aber er will sie uns nicht mitteilen. Der SCAF will Menschen verfolgen, aus Gründen die er nicht mit uns teilen will. Ihm zufolge gibt es einige revolutionäre Gruppen, die Ägypten im Namen der Revolution schaden wollen, aber er nennt uns ihre Namen nicht. Das geschah auch bei den Fußballkrawallen in Port Said. Wir wissen aber eigentlich, wer diese dritte Gruppe ist: der SCAF selbst.

Inwiefern hängt das mit dem Bombenanschlag auf die Gaspipeline nach Israel zusammen?

Ja, auch hier spricht der SCAF von einer dritten Gruppe. Einmal, als er behauptete jemanden verhaftet zu haben, hat er wieder niemanden präsentiert. Später wurde die Pipeline einige weitere Male gesprengt. Ich denke, die Täter waren arabische Nationalisten oder Islamisten, die nicht Teil des Deals sind und die Israel und seinen Verbindungen zu Ägypten schaden wollen. Es hat nichts damit zu tun, Ägypten oder seine Wirtschaft zu sabotieren. Wirtschaftlich gesehen ist es sogar besser für Ägypten, denn wir werden das Gas wo anders hin verkaufen, zu einem wesentlich besseren Preis.

Leider verfolgen wir im Bezug auf Palästina eine Art Feuerwehrtaktik. Wann immer etwas geschieht, beginnen die Leute zu handeln. Aber es sind vor allem die Linken und der Tahrir und nicht die Islamisten. Die haben aufgehört sich mit diesem Thema zu beschäftigen, möglicherweise um mit ihren neuen Meistern in Washington keine Probleme zu bekommen. Und wenn der islamistische Block die Ägypter Palästina vergessen lassen will, kann er das auch für eine gewisse Zeit tun. Das einzige, was momentan für sie zählt ist Syrien.

War der letzte Generalstreik ein Erfolg, oder hat er das islamische Milieu gegen den Tahrir vereint?

Der Streik war ein kompletter Fehlschlag. Sogar von den Linken hat ihn niemand befürwortet. Es ist viel zu früh für einen Generalstreik, von zivilem Ungehorsam gar nicht zu sprechen. Also waren wir gegen diesen Streik, der nicht möglich war. Die Linke hat auch nur drei Tage vor dem Streik davon erfahren. Das beste, was wir tun konnten, war, den Streik zumindest in einigen Sektoren noch abzusagen.

Die Leute, die zum Streik aufgerufen haben, sind die Liberalen rund um El Baradei. Sie haben noch nie mit der Arbeiterschaft zu tun gehabt. Sie dachten, dass sich die Leute in Scharen den Aktionen anschließen und den Ungehorsam wählen würden. Aber die Leute tun so etwas nur in sehr weit fortgeschrittenen Situationen. Die Liberalen haben sich von der hohen Anzahl an Streiks, die es gab, in die Irre führen lassen. Sie haben die Gründe für diese Streiks ignoriert, die alle direkt ökonomisch oder aber mit den Rechten der Arbeitnehmer verknüpft waren. Die Arbeiter haben noch nie für politische Ziele gestreikt, außer in den 18 Tagen gegen Mubarak, was eine weit fortgeschrittene Situation war.

Es war für den SCAF sehr leicht gegen den Streik vorzugehen. Sie haben ihn im Fernsehen als eine Gefahr, die Ägypten zu zerstören droht, hingestellt. Und als er scheiterte, wiesen sie darauf hin und erklärten, dass alle Ägypter auf der Seite des Regimes stünden.

Wir haben mit den Organisatoren gesprochen und versucht ihnen zu helfen den Schaden zu begrenzen. Aber der SCAF hat es uns nicht gestattet und ihre TV Kanäle haben die Sache weiter aufgeblasen. Es war nicht nur der SCAF, sondern der gesamte herrschende Block, inklusive der MB. Sie haben sich auf den zivilen Ungehorsam konzentriert, den sie als Sünde verurteilt haben. Wir können nicht erkennen, wo Gott in dieser Angelegenheit stecken soll, aber leider haben ihnen ihre Anhänger geglaubt.

Was ist mit Mahalla, einem der Zentren der Arbeiterbewegung?

Streiks und Arbeiterproteste gehen weiter, nicht nur in Malhalla, sondern in ganz Ägypten. Oft werden ihre wirtschaftlichen Forderungen sogar erfüllt. Sollte die Linke nach den Präsidentschaftswahlen eine Flaute erleidet, wird der größte Teil der revolutionären Energie auf Arbeitskonflikte übergehen. Aber die Arbeiterbewegung muss einige qualitative Fortschritte machen, was Zeit benötigen wird. Sie müssen sektorweite und nationale Kooperationen bilden und ihre Forderungen entwickeln. Wir haben viele Streiks, aber wenige gehen über die Fabriksgrenzen hinaus. Momentan ist die einzige allgemeine Forderung ein Mindestlohn von 1200 Ägyptischen Pfund (ca. 150 €) und sogar das war nicht leicht zu erreichen.

Kairo, Ende Februar 2012