Der Kampf um die Meinungsfreiheit in Ägypten

23.09.2012
Abdelhalim Qandil, Ägypten
Warum erreicht die Kampagne der Muslimbrüder-Regierung in Ägypten gegen die Presse-, Medien- und Meinungsfreiheit in Ägypten derartig verrückte Ausmaße? Und warum wiederholt Mohammed Mursi in seinen ersten Amtstagen das, was Mubarak in seinen letzten Tagen machte?
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Das Phänomen ist auffällig, überzogen und repetitiv. Mursi ernannte als ersten Minister einen Muslimbruder zum Informationsminister. Jedoch war das Informationsministerium mit der ersten Regierungsbildung nach der letzten Revolution aufgehoben worden, da die Demokratie nichts Derartiges wie ein Informationsministerium oder einen Informationsminister kennt.

Aber das aufgelöste Informationsministerium kehrte zurück und dies mit der gleichen Tendenz, die Medien zu beherrschen, wie seiner Zeit der Militärrat. Mursi behielt diesen Kurs so bei, auch nach der Aufhebung des Beschlusses des Militärrates.

Die Wahl fiel also auf einen Journalisten der Muslimbrüder, der während seines gesamten Berufslebens Gewerkschafter war und keine profunde Verbindung zum Berufstand hat. Auch hatte er zuvor noch nie die Verwaltung einer öffentlichen oder unabhängigen und einschlägigen Einrichtung übernommen und alle seine Vorzüge sind, dass er einem Kader der Muslimbrüder angehört, dem er untersteht und gehorcht.

Er wurde an die Spitze eines Medienapparates gesetzt, der über Dutzende Fernsehkanäle und Sendungen verfügt, die hunderte Milliarden Pfund aus der Staatskasse beziehen und als mediale Stütze des Sicherheitsapparates zuerst im Dienste Mubaraks und seiner Familie fungierten und nun, da die gleiche Geschichte wiederholt werden soll, für Mursi und seine Gruppe arbeiten.

Dies geschieht auf Kosten einer geschröpften Wirtschaft, die um Kredite und Almosen bettelt und sich dem Willen der Macht beugt, vor allem, was die sogenannte „nationale Presse“ betrifft. Dies betrifft sieben Einrichtungen, die Dutzende Zeitungen und Magazine herausgeben und ebenfalls Geldmittel aus der allgemeinen Staatskasse beziehen, da sie allesamt finanziell am Ende und wirtschaftlich erledigt sind. Eine Ausnahme bilden die zwei Institutionen „Al-Ahram“ und „Al-Achbar“, die wirtschaftlich relativ stabil sind.

Die Vorherrschaft der Muslimbrüder im Reich der Presse war jedoch mit der Implementierung des Informationsministers nicht getan, sondern sie griffen zu deren Absicherung auf andere Methoden zurück.

Die Muslimbrüder verwenden den Schura-Rat, die obere Kammer des Parlaments, für die Ernennung der Chefredakteure der nationalen Presse. Jedoch war der Schura-Rat gesetzlich aufgelöst worden, denn im obersten Verfassungsgericht läuft ein Prozess, der seine Verfassungsmäßigkeit in Frage stellt. Auch hatte das Verfassungsgericht zuvor entschieden die untere Kammer des Parlaments mit der Begründung aufzulösen, sie sei auf der Basis eines verfassungswidrigen Gesetzes gewählt worden. Zum Unterschied mit der unteren Kammer des Parlaments lag die Wahlbeteiligung bei den Wahlen zur oberen Kammer bei weniger als 10% der registrierten Stimmen. Somit hat die obere Kammer weder gesetzliche Legitimität noch volksrepräsentative Aussagekraft.

Da die Muslimbrüder und die Salafisten die Mehrheit in der oberen Parlamentskammer stellen, lässt sich die Herrschaft der Muslimbrüder nicht weiter von den Mängeln des umstrittenen Oberhauses stören. Die obere Kammer hat nämlich die nominelle Macht über die nationale Presse, ein Erbe aus der Mubarak-Ära.

Aus einem Reservoir heuchlerischer Berichterstatter und Mediengesandter wurden neue Chefredakteure für nationale Zeitungen auserwählt. Die regierungsnahen Zeitungen rührten die Werbetrommel für Mursi, genauso wie sie es bei seinem Vorgänger Mubarak gemacht hatten.
Trotz dieser Vormachtstellung fühlte sich die Regierung der Muslimbrüder nicht sicher und letzten Endes rettete man sich in Paradigmen, die Mubarak eigen waren. Auch nahmen körperliche Übergriffe auf Journalisten und Medienpersonal zu und bedeutsamere Journalisten und Redaktionschefs unabhängiger Zeitungen wurden angeklagt. Sie werden der „Beleidigung des Präsidenten“ Mursi bezichtigt. Die Übergriffe erreichten ihren Höhepunkt, als gegen den Verfasser dieser Zeilen und gegen den Journalisten Adel Hammouda Anklage erhoben wurde. Ich war seinerzeit der einzige ägyptische Journalist, der vor Gericht der Demütigung des Präsidenten angeklagt wurde.

Auffällig war für alle, dass gerade gegen meine Person dieselbe Anklage erhoben wird wie jene unter Mubarak. Ich war damals der einzige Journalist der einen Prozess wegen „Beleidigung von Mubarak“ bekam. Dies geschah Ende 2006 aufgrund meines Artikels „Ich fühle mich beschämt, weil du der Präsident bist“, den ich in der Zeitung „Al-Karama“, dessen Chefredakteur ich war, veröffentlichte.

Dieses Mal hingegen trug der Artikel, aufgrund dessen ich angeklagt wurde, den Titel „Der verblödelte Staat und der General Mursi“. Ich veröffentlichte ihn in der Zeitung „Saout Al-Umma“ [Stimme der Nation], deren Chefredakteur ich noch bin.

Merkwürdigerweise benützte die Partei der Muslimbrüder die gleichen Methoden wie damals die Partei Mubaraks. Sie beauftragte ihre Mitglieder, sogenannte „Anklagen im Namen der Allgemeinheit“ zu erheben. Dies ist aus rein gesetzlicher Sicht absurd, denn laut dem ägyptischen Strafrecht ist dies nur erlaubt, wenn der Kläger auch der direkt Geschädigte im Veröffentlichungsverfahren ist. Nur der Geschädigte selbst und sonst niemand hat eine juristische Befügung. Das heißt Mubarak hätte der unmittelbare Kläger im Fall der Demütigung gegen ihn selbst sein müssen. Und auch Scheich Mursi müsste der Kläger in diesem neuen Fall sein. Doch dies ist genau das, was nicht der Fall ist und dies würde unter korrekten gesetzlichen Voraussetzungen die Aufhebung des Falles voraussetzen lassen.
Jedoch verlässt sich Mursi, so wie zu seiner Zeit Mubarak, auf die Ruine des ägyptischen Gerichtssystems, die Existenz einer nicht zu verachtenden Anzahl an telefonisch steuerbaren Richtern und noch dazu auf die Untertänigkeit der Generalanwaltschaft als Exekutive.

Dies alles erklärt die Anzeige, die gegen mich beim hohen Sicherheitsstaatsanwaltschaft (Ausnahmezustand) erhoben wurde. So als ob ich ein terroristisches Verbrechen begangen hätte. Das ist ein unglaubliches und lächerliches Vorgehen, das die Freiheiten aussetzt und eine der niederträchtigsten Paragraphen des Strafrechts, Paragraph 179 des Strafgesetzes, wiederbelebt. Dieser Paragraph verbietet und verurteilt auf eine mittelalterlich monarchistische Art alles, was als „Beleidigung des Präsidenten“ bezeichnet wird. Außerdem ermöglicht er, den beschuldigten Journalisten in Untersuchungshaft zu nehmen und über ihn eine Haftstrafe im Falle einer endgültigen Verurteilung zu verhängen.
Dies geschah mit dem Kollegen Islam Afifi, dem Chefredakteur der Zeitung „Al-Dustur“. Er wurde jedoch aufgrund einer direkten Verordnung Mursis entlassen, um weitere Skandale um den Präsidenten zu vermeiden.

Dann wird einem gesagt, dass es einen Unterschied gebe. Mursi sei im Gegensatz zu Mubarak ein gewählter Präsident. Das stimmt nur formell, denn Mursi gewann die Wahlen mit einem minimalen Vorsprung. Ich selbst wählte ihn und rief aus Not zu seiner Wahl auf. Grund dafür waren nicht Illusionen in ihn und seine Gruppe, sondern konkrete Nachteile seines Gegenkandidaten Ahmad Schafiq, der ein naher Berater Mubaraks war.
Ich hatte schon damals betont, dass ich trotzdem einer der ersten Gegner Mursis und seiner Muslimbrüder sein werde, so wie dies auch schon der Fall bei Mubarak war.

Der Unterschied liegt eben darin, dass Mursi gewählt wurde. Die Demokratie, die ihn ins Amt brachte, soll einem auch die Freiheit geben, in Opposition zu ihm zu stehen. Nicht aber, dass er zu einem Diktator wird, der sich mit Repressionsmaßnahmen wapnet.
Zu diesem wird Mursi allmählich und auf eine Weise, welche die inhaltlichen (nicht die formellen) Unterschiede zwischen ihm und Mubarak zum Verschwinden bringt.
Scheikh Mursi ist zu einem bärtigen Mubarak geworden. Würde er seinen Bart rasieren, so würde das düstere Gesicht Mubaraks zum Vorschein kommen.

* Abdelhalim Qandil ist ein prominenter ägyptischer Journalist und Führer der politischen Opposition. Er war einer der bekanntesten und mutigsten Kritiker des Mubarak-Regimes, dessen Schläger ihn 2004 entführten und misshandelten. Qandil ist Mitbegründer der oppositionellen Bewegung Kifaya [Aus!], die als erste den Rücktritt Mubaraks forderte. Nach dem Fall Mubaraks setzte er seinen Kampf für Demokratie und politische Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und nationale Souveränität fort.

Veröffentlicht am 26.08.2012 in Qlquds-Al-Arabi
Übersezung aus dem Arabischen: Stefanie Tassold