Die Türkei besetzt die Josefstadt

01.05.2018
Von Aug und Ohr
Kommentar

Ein in Österreich lebender Sympathisant/Aktivist der hiesigen Anatolischen Föderation wurde zu 3 Monaten, Probezeit 3 Jahre bedingt, verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, auf einer 1. Mai-Demonstration in Wien bei einer jener Organisationen mitmarschiert zu sein, die auch in der Türkei verboten sind und die dort als terroristisch gelten. Damit wird die türkische Justizpraxis hierher importiert.

Erschwerend wird angerechnet, daß in dem Demonstrationszug, in dem der Demonstrant sich befand, Bilder von „Terroristen“ auf Plakaten hochgehalten wurden - obwohl von der Richterin explizit vermerkt wurde, daß der Inkriminierte an dieser speziellen Handlung - der des Hochhaltens der Bilder der „Terroristen“- nicht beteiligt war: Sie könne „ auch nicht feststellen, daß Sie das selbst hochgehalten haben, das werfe ich Ihnen nicht vor, aber Sie haben bei einer Gruppe mitgemacht, die sich durch dieselbe Kleidung wie Sie ausgezeichnet hat.“
Ein gemeinsames, nicht-bürgerliches Outfit wird also in Rechnung gestellt, unter anderem ein Stern, der an den Roten Stern der kommunistischen Weltbewegung gemahnt.

Damit begibt sich aber die österreichische Justiz auf die Ebene gewisser osteuropäischer Staaten (wie Polen und Ungarn), die versuchten und immer noch versuchen, die Verwendung kommunistischer Symbole, also die von traditionellen Symbolen der Arbeiterbewegung zu verbieten.

Weiters erschwerend, sei, wie es in der Anklageschrift heißt, „daß es öffentlich und auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich war“ geschah und daß „die Gefahr besteht, daß andere sie nachahmen“, wie es im Urteil nochmals formuliert wird. Die Gefahr ist allerdings gering, denn man kann nicht davon ausgehen, daß Viele im Zuge der Demonstrierenden die Geschichte und die Umstände des Todes der sich auf den Plakaten Befindlichen en détail kennen, ja überhaupt kennen.

Es wird außerdem versucht, mit ununterbrochen aufeinanderfolgenden, beinahe stets gleichen Fragen, den Angeklagten ein wenig zu zermürben und in die Enge zu treiben, was allerdings nicht gelingt. Richterin: „Wollen Sie mit mir darüber sprechen? Wollen Sie heute über den Verein (die „Anatolische Föderation“) etwas sagen?“, „Sie kennen die D.? Was ist das für ein Verein?“, „Ich möchte von Ihnen wissen, was macht die D. „Was wollen die? Was ist das für eine Vereinigung?“ und so fort. Man versucht darüber hinaus, von ihm Namen von Zeugen zu erfahren. Das gelingt ebensowenig.

Fragen, die an den Angeklagten gestellt werden wie „Was bedeutet der Erste Mai für Sie?“ (Staatsanwältin) oder „Warum machen Sie diese Photos, wo Sie die Faust erheben?“ (Richterin) oder noch simpler „Warum sind Sie am Mai auf der Straße zu Demonstrationen gegangen?“ (Staatsanwältin) zeugen von einer gewissen Unkenntnis und zugleich naiven Verachtung der Arbeiterbewegung. Die Fragen sind von einer Schlichtheit, wie man es von einem Akademiker, einer Akademikerin nicht erwarten würde.

Nun kommt die Kopräsenz zur Geltung. Durch die Teilnahme an der Demonstration wäre die „terroristische Straftat“ der anderen Plakate in die Höhe haltenden Aktivisten der inkriminierten Bewegung vom Angeklagten mitvertreten worden: „Wenn man auf einer Veranstaltung dieselbe Kleidung hat und die Photos hochhält (sic!), zeigt man, daß man zusammengehört.“ Äußerungen, die dieses „Mitvertreten“ dokumentieren, wurden nicht vorgelegt.

Nach dem Muster der spanischen Justiz, die gegen die gesamte baskische nationale Bewegung vorgeht und Militärisches und Ziviles in Eins schiebt, wird auch hier eine (sich in Österreich befindliche) zivile Organisation, die Anatolische Föderation, mit einer politisch-militärischen (der Türkei) in Eins gesetzt, die konstitutive, programmatische, organisatorische Unterschiedlichkeit der verschiedenen Bereiche wird richterlich eingeebnet, ausgelöscht. Das ist ein politisches Willkür-Vorgehen, das die Kriterien der richterlichen Wahrheitssuche beiseiteschiebt.

Die Staatsanwältin schließlich attestiert dem Angeklagten mit den Worten „Das klingt alles nach brain-washing“ gar ein konditioniertes, einem abgekarteten Spiel folgendes Verhalten – so etwas wird gemeinhin von Anarchisten und „Undogmatischen“ den marxistischen Gruppierungen vorgeworfen, da gelten kommunistische Organisationen häufig als „Sekten“.

Ins Lächerliche gleitet die Verhandlung an dem Punkt ab, wo die Staatsanwältin dem bewußten Regime-Oppositionellen empfiehlt, sich an die SPÖ anzuschließen: „Sie hätten ja auch bei der Demonstration der SPÖ mitgehen können!“

Man fragt sich, ob diese Juristin weiß, daß die SPÖ doch stets auf der Suche nach ihrer eigenen Klientel unter Wiens Türken ist! Da wird sie von Zeit zu Zeit immer fündig. Ist eine solche Verhandlung dazu da, die Partei Olahs und Gusenbauers zu propagieren?

Dieser erste Verhandlungstermin war nur der Auftakt zu einem Prozeßreigen, der sich, die eine Organisation exemplarisch aufspießend, wohl noch länger hinziehen wird. Es werden andere Organisationen folgen.

Mittäterschaft durch bloße Straßen- Präsenz und die Umdeutung von ziviler Opposition und zivilem, also nicht –militärischem Engagement in Terrorismus wird mit einem gleitenden Übergang bewerkstelligt, den wir schon von anderen Stigmatisierungsstrategien her kennen. Das ist bereits – das Beispiel Katalonien macht es deutlich – gesamteuropäische Praxis, wo Straßenblockaden als Terrorakte gelten.
Dazu kommt: Was in der Türkei verboten ist, wird auch bei uns verboten! Was in der Türkei kriminalisiert wird, wird auch bei uns kriminalisiert!

Dadurch werden wir zu einem Wurmfortsatz der türkisch-faschistischen „Rechtsprechung“.

Das österreichisch-sanfte Urteil – das allerdings den Angeklagten zu politischer Regungslosigkeit verurteilt! – wie alle, die von der Repression des türkischen Staates und der sich mit ihm koordinierenden europäischen Staaten betroffen sind.

Sie wird ausgeweitet werden auf jene Personen und Kräfte, die sich jetzt zivilgesellschaftlich gegen diejenige Repression einsetzen, die von der austro-türkischen Allianz gegen die antagonistischen Kräfte aus der Türkei hier geführt wird. Man hat sich gegen zwei Schattenstaaten zu wehren.

Der Tag ist nicht ferne (und es gab schon erste Beispiele), wo die Türkei nicht-türkische Kritiker ihres Regimes, Journalisten und politische Aktivisten, zur Auslieferung anfordert.

Und dann wird die Repression paulatim übergeleitet werden in die Repression gegen die landesinterne Opposition überhaupt – wie man am Beispiel Kataloniens sieht.