Die AKP und die kurdische Frage

19.01.2010
Interview mit Hüseyin Baris
Von Mustafa Ilhan
Der Istanbuler Landessprecher der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) spricht über die Politik der Regierungspartei. Er kritisiert den Wandel von der "Politik der Öffnung" zum "Nationalen Einheitsprojekt". Außerdem nimmt er Stellung zur Frage der Europäischen Union. Der Politiker verlangt die Anerkennung des kurdischen Kampfes im Rahmen der Menschen- und Bürgerrechte.
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Welche Ziele hat die BDP?

Die BDP (Partei für Frieden und Demokratie) wurde am 2. Mai 2008 gegründet, als bereits ein Verbotsverfahren gegen die DTP lief. Die BDP tritt ein für gleiche Rechte für alle Völker in der Türkei und für eine demokratische und gerechte Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes. Wir wollen alle Menschen in diesem Land vertreten: Kurden, Türken, Aleviten, Sunniten, Arbeiter, Gewerkschafter, Studenten, Künstler. Unser Ziel ist, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und den Kurden und allen anderen unterdrückten Völkern eine Stimme zu verleihen.

Die AKP-Regierung hat eine gewisse "Politik der Öffnung" in der Kurdenfrage betrieben. Wie sehen Sie das? Und was halten Sie vom DTP-Verbot?

Das ist keine "Regierung der Öffnung", sondern der Verschlossenheit. Als die Regierung diese sogenannte Öffnung gemacht hat, hieß es am Anfang "Kurdische Öffnung", kurz danach "Demokratische Öffnung" und jetzt heißt es "Nationales Einheitsprojekt". Sie wissen gar nicht, wie sie das Ganze nennen sollen.

Die AKP identifiziert sich mit dem Reichsverständnis des Ottomanischen Imperiums, das sich über den Islam definierte. Das ist ein Versuch, die Kurdenfrage mithilfe des Islam zu übergehen. Es handelt sich um einen Trick, um das kurdische Volk mittels eines Islam mit liberalem Antlitz in eine Falle zu locken, um die kurdische politische Bewegung aufzulösen bzw. zu marginalisieren.

Auf der einen Seite betrieb die Regierung zwar eine gewisse Öffnung, als sie zunächst null Toleranz gegenüber Folter einfordert. Auf der anderen Seite gibt es weiterhin Repressionen gegen kurdische Intellektuelle, Volksvertreter, Parlamentarier, Lokalpolitiker, Oberbürgermeister, Künstler und Kinder unter 16 Jahren. Es handelt sich um eine psychische und physische Repression. Viele sind in den letzten Tagen verhaftet worden. Dazu kommen noch die militärischen Aktivitäten der türkischen Armee in den sog. Kampfzonen – diese sind sogar intensiver als 1992er jahren. Das ist also eine Scheinöffnung, eine Heuchelei. Wir Kurden wissen, wohin solch eine angebliche Öffnung führt.

Können Sie sich einen Demokratisierungsprozess vorstellen, bei dem vor den Augen der ganzen Welt Demonstrationen niedergeknüppelt und die Knochen jugendlicher Demonstranten gebrochen werden? Diese sog. Öffnung hat zum Ziel, Kurden und diejenigen Türken, die gegen Krieg sind, zu täuschen. Darüber hinaus geht es darum, bei der Internationalen Gemeinschaft Punkte zu sammeln. Das sind die wahren Hintergründe. Selbst objektiv positive Elemente der Politik der Öffnung werden vom kurdischen Volk und von allen demokratischen Kräften zurückhaltend bewertet, da man dem Gesamtkonzept nicht traut, und dies zurecht. Wir als BDP sagen, diese Politik ist falsch, geheuchelt und abzulehnen.

Was das DTP-Verbot betrifft, das das Verfassungsgericht ausgesprochen hat, so ist das eine politische Entscheidung. Unter dieser Regierung wurden drei kurdische Parteien verboten: DEHAP, ÖTP und DTP. Man kann keine „Politik der Öffnung“ betreiben, indem man Parteien verbietet und ihre Mitglieder drangsaliert. Und das DTP-Verbot und die damit verbundenen Verhaftungen haben gezeigt, das die AKP-Regierung Heuchelei betreibt.

Ist aber die AKP-Regierung nicht offen für die kulturellen Rechte der Kurden?

Was die kulturellen Rechte der Kurden betrifft, schaue man sich einmal den staatlichen Fernsehsender TRT6 an, der in kurdischer Sprache sendet: Was TRT6 macht, ist in kurdischer Sprache die kurdenfeindliche Regierungspolitik zu vermarkten! Was völkerrechtlich illegitim ist! Aber solche Taktiken beeindrucken die Kurden nicht. Die Kurden vertrauen den Schritten der Regierung nicht, solange dahinter keine in der Verfassung verankerten Garantien stehen. Ein dreißigjähriger Krieg und Tausende Tote lassen sich nicht mit einem TV-Sender abspeisen. Die Kurden fallen darauf nicht rein.

Die Türkei wendet sich jetzt an Europa und versucht ein seriöses Bild abzugeben. Jedoch versteckt sich hinter der Krawatte Erdogans ein Fundamentalistenbart und eine blutige und unterdrückerische Politik.

Wie beurteilen Sie die Spannungen zwischen der AKP und der Armee?

Es gibt keine prinzipiellen Differenzen zwischen beiden Seiten. Es gibt zwar einen Widerspruch zwischen der Armee und der Regierung dahin gehend, dass die Regierung versucht, die geheimen Strukturen der Armee zu entlarven und zu zerschlagen. Dabei geht es um die Kontrolle über den Staatsapparat. Es gibt aber keine Differenzen bezüglich der Kurdenfrage. Keine der beiden Seiten redet über die 17.000 ermordeten Kurden, über die 3.500 vernichteten Dörfer, die Zigtausend Verhaftungen sowie die Vertreibungen, die von der Armee organisiert wurden. Beim Konflikt zwischen der AKP-Regierung und dem Militär geht es einzig um die politische und militärische Macht in diesem Land.

Was erwarten Sie von der Europäischen Union?

Wir sehen in der Europäischen Union keinen Retter. Wir verlassen uns auf unsere eigenen Kräften und die Eigendynamik der Bewegung. Was wir jedoch von den Europäern erwarten, ist die Anerkennung unserer Rechte und unserer Bewegung, wenigstens im Rahmen der Menschen- und Bürgerrechte. Bisher waren die europäischen Länder leider heuchlerisch gegenüber uns. Insbesondere auch die BRD mit ihren Waffenlieferungen für Ankara.

Was sind die politischen Forderungen Ihrer Partei?

Unser erstes Anliegen ist der Kampf um Abschaffung der 1982er-Putschverfassung. Wir wollen eine neue Verfassung, die politische und demokratische Rechte für Alle garantiert. Es ist nicht ausreichend, innerhalb der bestehenden Verfassung den einen oder anderen Paragrafen zu ändern, denn die bestehende Verfassung wird immer genügend Spielraum bieten, um Parteien zu verbieten.

Zweitens müssen wir dem Staat deutlich zeigen, dass die kurdische Bewegung eine Führung hat, die nicht ignoriert werden darf.

Drittens verlangen wir die Einführung der kurdischen Sprache im Schulwesen und die Gleichberechtigung dieser Sprache in den kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen.
Die BDP kämpft für Frieden und Demokratie in diesem Land. Wir werden mit friedlichen Mitteln für diese Rechte kämpfen. Wir werden laut sein. Das Volk wird auf die Straßen gehen. Wir werden für eine gerechte Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes streiten und zivilen Widerstand leisten.