Italien im Aufruhr

22.12.2013
Seit mehr als eine Woche ist Italien von einem Wind des Aufstands erschüttert, obwohl die internationale Presse weitgehend schweigt. Vom Nord-Osten bis Sizilien, das ganze Land ist von einer Bewegung geprägt die „Bewegung der Mistgabeln (Forconi)“ genannt wird.

In Wirklichkeit sind die sizilianischen Forconi nur ein Teil der Bewegung, die seit dem 9. Dezember die Italienischen Schlagzeilen beschäftigt.
Am 9. Dezember hat die Mobilisierung, zu der unterschiedliche Organisationen der freien Berufe (Bauern, Lastwagenfahrer, Kleinunternehmer) aufgerufen hatte, angefangen. Die Mobilisierung war aber auch stark durch die von der Krise und der Europäischen Union aufgezwungenen Opfer getroffenen Unterschichten getragen.
Die hauptsächliche Kampfform war die Blockade von Straßen: wo es möglich war wurden die Autobahneinfahrten und die wichtigsten Hauptstraßen blockiert, in den meisten Fällen aber wurde eine Form der Verlangsamung des Straßenverkehrs genutzt, die die Teilnahme von vorbeifahrender Autofahrern und Lkw-Fahrer zu ermöglichen. Es war eine Form die gut funktionierte: die Aktivisten verteilen Flugblätter, die Lkws hielten an und hupten mehrfach. Seit 8 Tagen und in mindestens 135 italienische Städten und Kleinstädten läuft dieser Protest nun.

In einigen Städten war der Protest härter. In Turin waren drei Tage lang die Geschäfte gelähmt, in Genua und in anderen kleineren Städten gab es Blockaden beim Zugverkehr, in Perugia wurde der Sitz der Demokratischen Partei, die zentrale Regierungspartei, besetzt. Sehr viele Blockaden gab es auch in Veneto, wo sich die Studenten der Unterstufe oft den Protesten angeschlossen haben (mehr in den kleinen Zentren als in den größeren Städten).

Die eigentliche Neuigkeit dieser Mobilisierung betrifft die Sektoren der Bevölkerung, die auf die Straße gegangen sind. Eine Mobilisierung die weit breiter geworden ist als die beschränkten Kräfte der Organisationen, die die Koordination des 9. Dezember gegründet hatten. Es genügte das Signal zur Revolte und es wurde von vielen Menschen aufgenommen. Viele nicht politisierte Menschen die das erste Mal in ihren Leben protestierten.

Neben Sektoren der kleine, durch die Globalisierung und einen hohen Abgabendruck, verarmten Bourgeoisie, waren die Protagonisten der Kundgebungen in den meisten Fällen junge nicht gewerkschaftlich organisierte prekäre Arbeiter, im allgemeinen ohne eine Klassenvision, aber bewusst, dass sie eine Zukunft in Armut und Ausbeutung erwartet.

Welche Ziele hat der Protest?

Im Gegenteil zu dem was vermutet werden könnte – und dies ist eine große Neuigkeit – gibt es keine nur partiellen Ziele gewerkschaftlicher oder berufsständischer Natur; das Ziel ist politisch: nicht nur der Rücktritt der Regierung Letta, sondern des ganzen Parlaments und auch des Präsidenten der Republik Napolitano. Die Parole lautet „alle nach Hause“, eine sehr einfache Losung könnte man meinen. Dennoch sie reflektiert das Bewusstsein der Notwendigkeit einer radikalen Änderung der Politik der Unterwerfung unter das EU Diktat.

Eine Parole die durch das Urteil des Verfassungsgerichts am 4. Dezember bekräftigt wurde: Das Verfassungsgericht hat das seit 2005 geltende Wahlgesetz, mit dem auch das aktuelle Parlament gewählt wurde, als Verfassungswidrig erklärt.

Stark sind die Forderung einer Rückeroberung der nationale und Währungssouveränität (die Opposition gegenüber der Europäische Union ist das gemeinsame Kennzeichen der Protestierende) und der Bezug auf die Verfassung, deren Verrat seitens der Regierung und des Präsidenten der Republik man anklagt.

Im Unterschied zu den linken Kräften hatte die Regierung verstanden, dass die Revolte des 9. Dezember etwas Ernstes ist und hat durch über die Regime-Medien auf die präventive Verleumdung der Bewegung hingearbeitet, vor allem indem man sie als von der extremen Rechten getragen hingestellt hat. Diese Verleumdungskampagne wurde über all die Tage fortgeführt und geht auch heute noch weiter.

Es ist selbstverständlich, dass, angesichts der gesellschaftlichen Sektoren, die auf die Straße gegangen sind, angesichts der drei Jahrzehnte andauernde Schwäche der traditionellen Formen des Klassenkampfs, durch den von Globalisierung und Casino-Kapitalismus produzierten gesellschaftlichen Verfall, die Revolte sich politisch widersprüchlich präsentiert. Wenn wir dazu noch das elitäre und abgehobene Verhalten des großen Teils der Linken rechnen, wird nicht schwer zu verstehen sein, warum einige rechte Gruppierungen an Position gewinnen konnten.
Von der Linke haben sich leider nicht viele Kräfte aktiv im Kampf engagiert: Außer wir von der MPL (Bewegung für die Befreiung) sind es wenige andere kleine Gruppierungen und einige Sozialzentren des Nordens, die bereit waren sich die „Hände schmutzig zu machen“. Eine Teilnahme die unerlässlich ist um das Abdriften eines Teils der Bewegung nach rechts zu vermeiden. Nach den ersten Tagen ist nun einen Nachdenken in Gang gekommen, das auch Rifondazione Comunista zu betreffen scheint, aber ohne unmittelbar ihre Entscheidung zu ändern, die Bewegung nur „vom Fenster aus“ zu betrachten.

In diesem Kontext hat am 15. Dezember eine Spaltung der nationalen Koordination der Bewegung stattgefunden. Die von einigen Protagonisten angekündigte Demonstration in Rom vom 18. Dezember wurde offiziell delegitimiert. Diese Demonstration, in Wirklichkeit eher eine Kundgebung auf der Piazza del Popolo, war gefährlich, nicht nur weil die Rechte ihr ihren Stempel aufdrücken konnte, sondern auch weil sie die Bewegung spaltete und das Risiko birgt, unter den Menschen Misstrauen und Resignation zu verbreiten.

Wir sind mit der Entscheidung der Mehrheit der nationalen Koordination, nicht nach Rom zu gehen und stattdessen die Kundgebungen und lokale Aktionen fortzusetzen, einverstanden. Das Spiel wird auf der Basis des politischen und organisatorischen Aufbaus der Provinzkoordinationen und des Aufbaus einer starken nationalen Koordination entschieden. Nur von diesen kann Phase 2 sich entwickeln, mit einem Programm und Zielen die die Bewegung weiterentwickeln und ihre Schlagkraft vergrößern.

Die 5 Sterne Bewegung und der 9. Dezember:

Es bedarf einer aufmerksamen Betrachtung was die Fünf Sterne Bewegung (M5S) bezüglich der Proteste, die seit dem 9. Dezember Italien erschüttern, gemacht oder besser nicht gemacht hat. Es steht außer Zweifel, dass es bei den Komitees und Kundgebungen, die im ganzen Land stattgefunden haben, auch viele Wähler und Aktivisten der M5S anwesend waren. Die M5S hat sie aber allein gelassen. Weder hat sie sie unterstützt, konkrete solidarische Aktionen unternommen oder ihre Anhänger und Amtsträger in den Städten, wo die Proteste stattgefunden haben, aktiv mobilisiert um an den Kundgebungen teilzunehmen.
Am 10. Dezember hat Grillo sich darauf beschränkt die Tatsache zu begrüßen, dass einige Polizisten in Solidarität mit den Demonstranten ihre Helme ausgezogen haben. Ziemlich wenig für eine Partei, die als Ziel hat „alle nach Hause zu schicken“. Anstatt ihre Mitglieder und Parlamentarier zu den Protestaktionen zu schicken, für den Rücktritt der Regierung und für die Volkssouveränität zu kämpfen, sind sie „am Fenster“ geblieben. Es handelt sich um einen kapitalen Fehler die Proteste nict zu unterstützen und der 9. Dezember-Bewegung keine Repräsentanz zu geben.

Wie kann man diese Position erklären? Der politische Hauptgrund ist ein fast religiöser Legalismus, der Respekt der M5S für existierende Gesetze und Autoritäten und dadurch eine panische Angst vor dem direkten Kampf und vor Massenaktionen. Letztendlich liegt die Erklärung in der Natur von Grillos Bewegung selbst, die weder Regierungs- noch Kampfbewegung ist. Stark im Web und auf Facebook, ist sie nicht fähig sich im sozialen Kampf zu engagieren. Ihre Aktivisten existieren meistens nur in der virtuellen Welt und sind von einer streng wahlbezogenen Mentalität geprägt.
Es wundert uns nicht. Moreno Pasquinelli hatte dies schon am 21. April, nach der Wiederwahl von Napolitano als Staatspräsident, in einem seiner Artikel analysiert. Was passierte damals? Nach der Wiederwahl Napolitanos, am 20. April, schreit Grillo, es würde sich um einen Staatsstreich handeln und ruft das Volk auf sich zu mobilisieren, ihn nicht allein zu lassen. Er selbst wird am Abend vor dem Parlament sein und dort so lang es notwendig ist, bleiben. „Entweder kehrt die Demokratie zurück oder wir sind als Land tot“. Gleich danach sammeln sich vor dem Parlament tausende und tausende von Bürgern. Andere waren von ganz Italien unterwegs. Wie reagierte Grillo? Sobald er in Rom angekommen war, befahl er den Rückzug und ließ die Demonstranten auf sich allein gestellt. Warum? „Weil es ihn die Digos (Spezialpolizei) gefragt hat um Auseinandersetzungen zu vermeiden“.

Es war eine entscheidende Lehre. Man verstand dass die M5S nicht in der Lage ist einen latenten Volksaufstand zu leiten. Die Ereignisse der letzten Woche haben leider dieser Vorahnung bestätigt.
Das Land von oben bis unten zu ändern ist eine zu ernste Sache um es den „grillini“ zu überlassen.