Euro spaltet Europa

16.11.2014
Von Wilhelm Langthaler
Bericht vom Treffen französischer Euro-Gegner
Jacques Nikonoff, Sprecher der MPEP

Vom 8. bis 11.11.14 fand in Bordeaux die „Herbstuniversität“ der MPEP (Politische Bewegung für die Emanzipation des Volkes) unter dem Titel „Eine neue Dynamik des republikanischen Widerstands gegen die EU, Deglobalisierung zur Wiedergewinnung der nationalen Souveränität“ statt, bei der Gleichgesinnte aus Spanien, Italien, Griechenland und Österreich ebenfalls zu Wort kamen. Der Trend: Die Reaktionen der Subalternen auf das Abbaudiktat des Berliner Euro-Regimes werden immer heftiger.

Scheitern der französischen Eliten

Frankreich ist für die EU ein besonderes Land. Es gehört weder zur südlichen Peripherie wie Griechenland oder Portugal, noch zum peripheren Zentrum wie Italien. Vielmehr bildet es das Herz, den Demiurgen der Union. Die französische Bürokratie war Architekt der deutsch-französischen Achse, der europäischen Integration mit dem Ziel der Herrschaft einer supranationalen Kapitalistenklasse. Es ging ihr darum einen gemeinsamen institutionellen, quasistaatlichen europäischen Rahmen zu schaffen, mit der die sozialen wie demokratischen Errungenschaften der Volksmassen der Nachkriegszeit auf ein Minimum zurückgeführt werden konnten. Dabei sollte gleichzeitig der stärkere und potentiell gefährliche Nachbar Deutschland unter Kontrolle gebracht werden. Die Formel lautete in etwa: im Gegenzug zur Übernahme der deutschen wirtschaftspolitischen Vorstellungen (die sich ab Mitte der 80er Jahre angesichts der allgemeinen Übernahme der neoliberalen Prinzipien ohnehin nicht mehr sehr unterschieden), sollte die BRD ein politischen Kondominium hinnehmen.

Bis zum Ausbruch der Krise 2007/8 schien dies auch zu funktionieren. Doch angesichts des Einbruchs zwang Berlin den anderen Staaten immer mehr seine Politik auf. Durch die gemeinsame Währung kam der Ausgleichsmechanismus der Abwertung abhanden. Doch einen gemeinsamen Staat der im Ausgleich die Staatsschuld garantieren, eine antizyklische Krisenpolitik führen oder auch soziale Transfers für die benachteiligten Regionen leisten würde, gab es (noch) nicht. Und Berlin weigerte sich in diesem Sinn zu handeln – und wenn dann immer erst im letzten Moment vor dem Crash. So treibt die deutsche Oligarchie die EU in den Abgrund und letztlich auch einen Keil zwischen die Eliten. Die Idee der EU als der gemeinsame, institutionelle Ausdruck der europäischen Kapitalistenklasse ist zerstoben.

Sicher sind die Völker Südeuropas das Hauptopfer des Euro-Regimes. Aber politisch ist der Hauptverlierer der französische Staat. Er hat ein Monster geschaffen (und hält immer noch an ihm fest), von dem er nun zermalmt zu werden droht, ohne dass er sich dagegen wehren könnte. Hollande ist die personifizierte Ohnmacht.

Die Reaktion und Abwendung auf der Ebene des mittleren und unteren Schichten ist massiv, aber institutionell noch nicht so sichtbar wie andernorts. Denn Frankreichs Eliten haben sich mit dem undemokratischsten Wahlsystem Kontinentaleuropas gepanzert. Doch der Legitimitätsverlust der Eliten über die Parteien hinaus, des Staates überhaupt, ist enorm.

Der Aufstieg der Front National drückt diesen Unmut aus und dient gleichzeitig als Ventil. Joël Perichaud, einer der Organisatoren der MPEP, sprach von einem Tripartitismus, nachdem die FN integraler Bestandteil des Systems wäre. Demnach würde Lepen auch der „Kaste“ angehören, wie die spanische Podemos die Systempolitiker bezeichnet. Doch ist das wirklich so eindeutig?

Volkssouveränismus

Im Zentrum des Programms der MPEP steht der Kampf um die nationale Souveränität, aber nicht um die Herrschaft der nationalen kapitalistischen Eliten wiederherzustellen, sondern um die Interessen der Unter- und Mittelschichten, der Mehrheit des Volkes durchzusetzen und damit wirkliche Demokratie zu etablieren. Die geforderten Sofortmassnahmen: Austritt aus dem Euro, der EU, der Nato usw. Nationalisierung der Banken. Auflösung der Finanzmärkte. Staatliches Investitionsprogramm. Ende des Freihandelsregimes.

Im Großen und Ganzen entspricht das der Stoßrichtung aller anderen linken Anti-Euro-Bewegungen in Europa. Jacques Nikonoff, der Sprecher der MPEP, brachte es in der Abschlussveranstaltung sinngemäß auf den Punkt: „Unsere europäischen Freunde verfolgen ein mehr oder weniger gleiches Programm, obwohl wir uns bis vor Kurzem noch gar nicht kannten. Letztlich werden wir alle von den Widersprüchen in der Gesellschaft gespeist. Wir sind Ausdruck der Interessen der Subalternen.“

Der italienische Basisgewerkschafter Fabio Frati von der „Linken Koordination gegen den Euro“ meinte, die letzte argumentative Zuflucht der Euro-Befürworter sei, auf die nationalen Konflikte hinzuweisen, die ein Austritt hervorrufen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das deutsche Austeritätsdiktat wird als national motiviert wahrgenommen – es ist imperialistisch, wenn auch nicht imperial. Dagegen staut sich Wut auf und Widerstand entwickelt sich. Statt wie historisch versprochen Europa sozial zu homogenisieren und damit zu vereinigen, ist es gerade die EU und das Euro-Regime das Europa spaltet und nationale Konflikte schürt, im Inneren wie im Äußeren (siehe das ehemalige Jugoslawien und nun auch die Ukraine).

Sehr französisch

Als äußerer Beobachter fallen bei der MPEP indes typisch französische Eigenheiten auf, die anderswo gegenüber antikapitalistischen Kräften nur schwer zu verteidigen wären. Auf der anderen Seite bringen diese Aspekte auch zum Ausdruck, dass die Bewegung Produkt der französischen Realität ist und sich aus der realen, historischen Bewegung speist.

Frati spitzte es am Rande der Veranstaltung zu: „Wir Italiener haben immer gegen den Staat gekämpft, doch die Franzosen sehen das umgekehrt. Sie haben eine Obsession für den Zentralstaat.“

Anicet Le Pors, ein ehemaliger kommunistischer Minister in der Mitterand-Regierung, lehnte dementsprechend Föderalismus, direkte und partizipative Demokratie, Subsidiarität usw. ab. Klar, all diese unklaren Ideen können unter gewissen Umständen von den Eliten integriert und für ihre Zwecke benutzt werden. Doch dass sie gleichzeitig auch Zeichen eines Protests gegen die nur mehr schlecht formaldemokratisch getarnte Alleinherrschaft der Oligarchie sind, findet in dieser Position keine Berücksichtigung. Es ist die kanonisierte Tradition der Französischen Revolution, nach der der Staat als Ausdruck der Rousseau’schen „volonté générale“ gedacht wird. Erst wenn dieser Allgemeinwillen institutionell in Brüssel oder noch schlimmer in Berlin residiert, scheint der Skandal des Widerspruchs zwischen Anspruch und Realität zu groß zu werden. Allerdings, Le Pors ist weder Mitglied noch Repräsentant des MPEP.

Ein ähnlich gelagerter Punkt ist die „laïcité“, der Laizismus, den man angesichts der chauvinistischen antiislamischen Flut von der Position der Oligarchie, die sich ebenfalls darauf bezieht, wohl stärker absetzen müsste.

Südeuropa

Ganz wichtig waren die Beiträge aus Spanien, Italien und Griechenland, wo die Krise das institutionelle Gefüge so weit unterspült hat, dass potentiell antisystemische, politische Protestbewegungen am Hervorbrechen sind.

Meinungsumfragen sprechen Podemos in Spanien sensationelle Mehrheiten zu und versetzen die „Kaste“ in Panik. So wird die politische Klasse des Systems, egal ob links oder rechts, von Podemos bezeichnet, wiewohl ihre Führung selbst von der Jugendorganisation der „Vereinigten Linken“ (IU) stammt. Podemos möchte unbedingt Wahlen gewinnen und vermeidet alles, was Stimmen kosten könnte. Daher gibt es wenige klare Aussagen. Umso größer ist die Erwartungshaltung unter den breiten Massen.

Manuel Monereo Ortiz, der sowohl in der IU als auch in Podemos gut verankert ist, sieht angesichts der tiefen Krise des postfrankistischen Systems die Chance auf eine neue demokratische, föderalistische Verfassung, der den linken Nationalismus der Katalanen und Basken usw. gegen die kapitalistische Oligarchie re-integriert. Das sei aber nur gegen das Euro-Regime und außerhalb der EU möglich.

In Italien ist die souveränistische Linke in einem Bündnis bereits bedeutet besser organisiert und artikuliert. Diese Fortschritte kommen zu einem Zeitpunkt, an dem Teile des Systems sich durch Bezugnahme auf die massenhafte Anti-Euro-Stimmung zu recyclen versuchen, namentlich die Lega Nord. Selbst Renzi, der seine eigene Partei als Hindernis für sein amerikanisches Projekt sieht, spielt damit. Und auch seine innerparteilichen Gegner getrauen sich nicht mehr ihre alte europäistische Position in der früheren Härte zu verteidigen. Für die Eliten, einschließlich ihres Retters Renzi, wird es schwierig den unvermeidlichen Zusammenstoß mit Berlin zu managen, denn sie können weder vor noch zurück. Für offene Quislinge wie Monti ist kein Platz mehr, aber einen echten Konflikt will er wohl auch nicht riskieren. Wer hoch pokert, kann tief fallen.

Aus Griechenland war die „Vereinigte Volksfront“ (EPAM) präsent. Deren Spezialität ist wiederum, sich außerhalb des Links-Rechts-Musters zu positionieren, um das oben skizzierte Programm zu popularisieren.

Nächste europäische Schritte

In der ganzen volkssouveränistischen Tendenz in Europa ist man sich einig, dass die historische Linke zumindest in gleicher Weise für das Euro-Regime verantwortlich zeichnet wie die Rechte und entsprechend von den Volksmassen legitimer Weise als Feind angesehen wird. Das Strategem der „vote utile“ oder auch die „Anti-Berlusconite“, laut jener gegen die Gefahr der Rechten prinzipiell das neo/links-liberale Zentrum zu unterstützen sei, wird abgelehnt. Es ist das Euro-Regime, das die soziale Katastrophe herbeigeführt hat und damit einer „sozialen Rechten“ erst das Feld eröffnet. Daher ist dieses neoliberale Regime des europäistischen Zentrums auch als Hauptfeind zu bekämpfen. Die „soziale Rechte“ bleibt dennoch ebenso Feind. Wichtige Teile ihrer Anhängerschaft in den Unterklassen müssen aber mit einer radikalen antikapitalistischen, souveränistischen Politik zurückgewonnen werden.

Es wurde vereinbart, die europäische Koordination zu verbessern. Ziel ist es eine gemeinsame internationale Assoziation gegen den Euro und die EU und für die nationale Souveränität der Völker zu bilden.

15.11.2014