Politische Ökonomie des Imperiums

Details
Date: 
Dienstag, 17. Mai 2016 - 18:30
City: 
Wien
Projektraum MAG 3, Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien Erreichbar über U2 Taborstrasse oder U4 Schottenring (Ausgang U2 Herminengasse)
17. Mai 2016, Wien

Werkkreis Literatur der Arbeitswelt

Veranstaltung mit: Univ. Prof. Dr. Albert F. Reiterer, Gesellschaftswissenschafter
Geboren: 1948, somit in Pension nach einem bunten Lebenslauf in der Wirtschaft, der amtlichen Statistik und im akademischen Ambiente. Aktiv und interessiert an Theorie und Praxis von Wirtschaft und Gesellschaft: Politische Ökonomie und Historischer Materialismus. Fungiert als einer der Sprecher des Proponentenkomitees von Euro Exit:

Spricht zur Politischen Ökonomie des Imperiums

Veranstalter: Volksakademie in Kooperation mit webbrain, werkkreis literatur der Arbeitswelt und MRP (Menschenrechtspartei)

Wir danken Gue Schmidt (MAG 3) für die freundliche Unterstützung

I. Thesen

(1) Die EWG entstand als superimperialistischer Pol zur Abwehr des damals für viele noch
attraktiven Sowjetkommunismus. Nebenzweck war die Zähmung des nationaldeutschen
Imperialismus. Die Politiker waren vorerst stärker am außenpolitischen und militärischen
Aspekt interessiert (WEU!). Die Zollunion war für sie ein Substitut – nicht unwichtig, aber
nicht prioritär.

(2) Doch die EWG war von vorneherein be- und geladen mit den Ambitionen der Ideologen.
Alexandre Kojève, der sich selbst den letzten (bürgerlichen) Theoretiker des Stalinismus
nannte, sah sie als wesentlichen Schritt zum platonischen Imperium. Über Gesinnungsgenossen wie Robert Marjolin erhielten sie unmittelbar Einfluss auf die Zentralbürokratie. Sie bestimmten die Rhetorik, welche die Politiker nicht, sie selbst aber ganz und gar ernst nahmen.

(3) Sie entdeckten schnell die Währungsunion als Hauptvehikel ihrer Absichten. Einige Politiker sahen die Möglichkeiten einer Fundamentalpolitik ohne Kontrolle und sprangen auf und zogen die anderen mit. Die ersten Versuche in den 1970ern und 1980ern waren allerdings ein jämmerlicher Misserfolg.

(4) Mit dem politischen Paradigmenwechsel vom Keynesianismus zum Monetarismus wurde
die Währungsunion Hauptziel der EG-Politik. Dieser wirtschafts- und sozialpolitische Paradigmenwechsel wurde durch die neue weltpolitische Situation ermöglicht. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ bot die Gelegenheit, ein „Ende der Geschichte“ nach konservativ-bürgerlichem Geschmack anzustreben. Das Zerbröseln der Diktaturen im Olivengürtel war eine weitere Gelegenheit. Nun hatte man die Möglichkeit, diese neue Politik der akzentuierten Ungleichheit und des übernational-bürokratischen Staats zu verwirklichen. Die Beuteareale waren einzusammeln.

(5) Insbesondere die Sozialdemokraten (Mitterrand / Delors, Brand / Schmidt; im Rahmen
ihrer Möglichkeiten Soares, Gonzales, Vranitzky und Persson) wurden zu Janitscharen neoliberalen Imperiums-Bildung.

(6) Was man in Südeuropa erfolgreich und noch mit einer gewissen Schonung durchexerziert
hatte, wurde in den 1990ern mit aller denkbaren Brutalität in Osteuropa wiederholt: Die ganze Region wurde nun auf eine ganz neue Weise zur „Zweiten Welt“.

(7) Gleichzeitig ging es um den Aufbau des politischen Apparats, des nachnationalen bürokratischen Staats. Er sollte einen Verwaltungsföderalismus darstellen, in dem aber im wichtigsten Bereich, im wirtschaftspolitischen, das bürokratische Zentrum die Politik vorgab.
Dazu war die Währungsunion unerlässlich. Dass sie eine Wachstums- und Wohlfahrtsbremse
sein würde, war zumindestens Einigen der Protagonisten voll bewusst. Das aber nahm man in
Kauf, zumal die Frage ja schließlich ist: Wohlstand für wen?

(8) Die Einheitswährung brachte zuerst und eher unerwartet einen Schub für die Peripherie –
es war eine Blase, wie wir mittlerweile wissen. Die Finanzkrise ließ sie platzen. Mittlerweile
ist der Euro Kern und Symbol des Ausbaus, noch mehr der Verteidigung des Imperiums EU.
Gerade weil der Euro keine optimale Währungszone konstituiert, muss er erhalten werden.
Daneben geht es natürlich um das von den Gläubiger-Banken eingeforderte Kleingeld.

(9) Die politische Klasse in Europa (Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale),
und zwar sowohl die Brüsseler Bürokratie als auch die nationalen Regierungen nützen die
Gelegenheit in einer reaganistischen Strategie der Überrumpelung (so wie die Reagan-
Regierung 1980) die Entdemokratisierung des Kontinents einen mächtigen Schritt weiter zu
treiben. Das „europäische Semester“, die „Wirtschaftsregierung“ und der ESM (der so
genannte „Euro-Rettungsschirm“) sollen gerade jene Politik unumkehrbar machen, welche
zur derzeitigen Situation geführt hat.

(10) Diese Situation ergibt Chancen für die Linke, die sie seit Jahrzehnte nicht hatte. Allerdings wird dies keine klassische linke Politik sein, sondern ein unorthodoxer Kampf ungewohnter Bündnispartner.