Ein neuer Kampfabschnitt?

23.05.2016
Von Albert F. Reiterer
Der neue Bundespräsident ist ein Symbol – so oder so!

Nun haben wir also noch keinen endgültigen neuen Grüßaugust [Anm. d. Red.: Der Text wurde am 22. Mai 2016, 18.15 Uhr verfasst], gewählt mit 50 % der Stimmen, oder so. Der Wahlkampf zwischen den Herren van der Bellen und Hofer hatte sich in den letzten Tagen polarisiert. Die in- und ausländischen Journalisten jammerten über Niveau-Verlust, Brutalisierung, und ähnliches Bla-Bla. Sehen wir von der Heuchelei ab – das haben sie sich schließlich gewünscht, diesen Schaukampf zwischen den Preisboxern. Aber die Klage dieser Eliten-Sprachrohre zeigt zweierlei:

Die Damen und Herren haben nicht begriffen, um was es ging. Aber so ist es nicht ganz richtig. Sie haben es zur Hälfte doch begriffen, und deswegen kommen sie mit ihren Jeremiaden. Die „Würde des Amtes“: Die beiden Kandidaten hielten sich nicht mehr an die stillschweigende Vereinbarung. Vielmehr: Die Bevölkerung hielt sich nicht mehr dran. Denn die hieß: Der Symboljob Bundespräsident dient als Deckblatt für die unbestrittene Hegemonie des gegenwärtigen Systems und seines Personals. Es soll zeigen, wie die soziale Elite sich die politische wünscht. Aber den Wunsch erfüllten beide Kandidaten nicht mehr; und Schuld war der erste Wahlgang.

In den letzten vier Wochen konnten wir aber andeutungsweise etwas Anderes erkennen: Es gibt neue Bruchlinien, neue Cleavages, wie es in der Parteienforschung neudeutsch heißt. Die alten Bruchlinien, welche die alten Parteien erzeugten, verschwimmen unter der Wucht des globalen Finanz-Kapitalismus. In der Folge implodiert das alte Parteiensystem, wie wir es seit dem Ersten Weltkrieg kennen. Seine Überreste werden schon noch eine ganze Weile lang weiter existieren. Der Müll der Geschichte ist meist zählebig. Aber ob Kern oder Faymann, das macht wenig Unterschied.

Allerdings ist auch diese Ablöse wieder symbolhaft, und sie trifft nicht zufällig die Sozial-demokratie, die eigentliche Partei des Westens im 20. Jahrhunderts. Es zeigt die Hilflosigkeit der Sozialdemokratie, wie sie auf ihre Implosion reagiert. Mit Vranitzky hatte es seinerzeit rund 8 Jahre funktioniert. Also wiederholt man, trotz Klima, diese Vorgangsweise.
Hofer hat es in seinem Streit mit dem Anderen durchaus richtig formuliert. Das hat ja den Ex-Professor so in Rage gebracht. Er, Hofer, vertritt die plebejische Strömung. Wir müssen kon¬zedieren: Leider ist es in Österreich derzeit so. Die Gemengelage, die der alte Grüne vertritt, ist weniger eindeutig zu bezeichnen, aber Haute volée ist so schlecht auch wieder nicht. Och würde allerdings sagen: die hegemonialen Schichten und ihr Gefolge. Da sind die eigentlichen Eliten. Da sind dann deren Wortführer, ein Großteil der Intellektuellen und die sogenannten Kulturschaffenden. Aber das Problem ist, dass es dies allein nicht ist. Dem Grünen gelang es, die Hälfte der Bevölkerung oder vielmehr jener, die noch ein kleines Zeichen von Aktivität in der Wahl setzten, hinter sich zu sammeln. Es ist kennzeichnend, dass sich schlussendlich auch Frau Griss hinter Van der Bellen stellte. Damit ist ihre Rolle natürlich endgültig zu Ende.

Eigentlich ist es grotesk. Die Orwell’sche Sprach-Umkehr funktioniert. Die Propaganda-Schreiber des Systems konnten sich nicht genug tun: Da würden die Ängste der Bevölkerung missbraucht und die Zukunft nur schwarz gemalt. In Wirklichkeit waren sie es, deren einzige Gemeinsamkeit ein durchgehender Angstwahlkampf war. Man brauchte nur im „Standard“ die fast täglichen Glossen des Herrn Rauscher lesen. Er führte einen richtigen Wahlkampf für den Grünen. Sein einziges Argument war Angst. Ich bin nicht völlig sicher, ob der alte Journalist wirklich glaubt, was er da schrieb. Ich vermute aber schon. Er hat einfach Angst um sein System, in dem er sich soweit ganz kommod eingerichtet hat. Und rund die Hälfte der Bevölkerung glaubt ihm, oder vielmehr seinesgleichen, denn der „Standard“ erreicht natürlich bei weitem nicht die Hälfte der Bevölkerung. Der Kulturkampf, der bereits mit der Debatte um die Einwanderung begonnen hatte, wurde nochmals intensiviert. Zur Hälfte, die darauf einstiegen, gehören bedauerlicher Weise auch einige jener, die sich sonst als Linke betrachten. Die riefen allen Ernstes zur Wahl van der Bellens auf und damit zur Bestärkung des Systems. Diese Hälfte glaubt, sie könne das System beschwören: Es möge doch wieder so werden, wie es in der einzig „Goldenen Zeit“ der österreichischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg einmal war.

Die Eliten appellierten also an die Angst um dieses System, und sie hatten einen gewissen Erfolg damit. Viele in der Bevölkerung haben Angst darum, wenn auch nicht mehr um das aktuelle.

Aber ganz gleich, wie diese Wahl nun ausging. Das politische System wird nicht mehr so werden, wie es war, und wie es sich manche noch wünschen.
Und wir von der konsequenten Linken? Die meisten von uns haben begriffen. Taktisch müssen wir durch eine FP-Periode in Österreich durch. Erst das wird die Bevölkerung wieder desillusionieren. Diese Periode wird allerdings erst nach einer weiteren Wahl beginnen. Der Durchbruch der FP muss in den exekutiven Organen ankommen. Dann aber wird und muss der vorerst soziale Kampf beginnen. Der könnte nach wenigen Jahren wieder ins Politische umschlagen.

Die Bundespräsidentenwahl ist vom institutionellen Aspekt her belanglos. Aber sie hat die neue politische Dynamik, unter nunmehr neuen Bedingungen (Euro-Krise, Dritte-Welt-Krise am Phänomen Flucht und Migration), erstmals in ziemlich klarer Weise gezeigt. In diesem Sinn war sie wichtiger, als die lange Folge der Wahlen vor ihr.