Ekuador 2000 - 2002: Die zwei Wege zur Macht

28.11.2002

Wien, 29. November, Diskussionsveranstaltung

Linker Ex-Oberst Lucio Gutierrez neuer Präsident eines der ärmsten Länder Südamerikas

Diskussion zur politischen Dynamik und den regionalen Auswirkungen des
Regierungswechsels in Ekuador

Freitag, 29. November, 19.30 Uhr
Casa Cultural Colombiana
Margaretengürtel 122-124
1050 Wien

Am 21. Januar 2000 lernte die internationale Öffentlichkeit das Gesicht von Oberst Lucio Gutierrez erstmals kennen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Vorsitzenden der indianischen Bauernbewegung CONAIE (Konföderation Indigener Nationalitäten Ekuadors) Antonio Vargas und dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Carlos Solà³rzano leitete Gutierrez eine Junta der Nationalen Rettung. Die Junta übernahm die Regierung, nachdem der durch Dollarisierung, Preissteigerungen und Korruption diskreditierte Präsident Jamil Mahuad von einer breiten Volksbewegung, der sich patriotische Teile des Militärs um Gutierrez angeschlossen hatten, gestürzt wurde. Die USA drohten dieser Junta sogleich mit schwersten Konsequenzen bis hin zu einem direkten Eingreifen, um die "Legalität" wieder herzustellen.

Am 24. November 2002 wird Lucio Gutierrez an der Spitze der Parteienallianz seiner Patriotischen Vereinigung Sociedad Patrià³tica 21 und der indianischen Partei Pachakutik, unterstützt von einer Mehrheit der Linken und Volksbewegung, darunter der Demokratischen Volksbewegung MPD, den Organisationen der Volkseinheit (Unidad Popular mit der einflussreichen
Lehrergewerkschaft UNE), der kommunistischen PCMLE und der Sozialistischen Partei-Breite Front zum Präsidenten gewählt. In der zweiten Runde riefen auch die berüchtigten populistischen "Rodolsisten" des 1997 gestürzten Präsidenten Bucaram zur Wahl von Gutierrez auf, der schließlich, mit 54,4 % die Mehrheit der gültigen Stimmen erhielt. (Der Kandidat der Oligarchie und reichste Mann Ekuadors, Alvaro Noboa, erhielt 45,6 %, die Wahlenthaltung lag bei 28,9 %; die ungültigen Stimmen und Weißwähler bei 11,9 %). Die US-Botschafterin Kenney beglückwünschte den neuen Präsidenten und wies auf die Wichtigkeit der Regierbarkeit des Landes sowie der wirtschaftliche Öffnung hin.

Januar 2000 - November 2002: Derselbe Protagonist, dieselben politischen Kräfte die ihn unterstützen, aber zwei völlig unterschiedliche Dynamiken, Möglichkeiten und Gefahren für eine linke Perspektive in der Region.
Ekuador zählt mit 8 Millionen Armen bei einer Bevölkerung von 12 Millionen zu den dramatischen Verlierern der Liberalisierung und Weltmarktöffnung. Die mit der Dollarisierung erzwungene Geldwertstabilität hat, neben dem Verlust der nationalen Währungs- und damit wirtschaftspolitischen Souveränität, die Binnenwirtschaft, insbesondere die Klein- und Mittelbetriebe des produktiven Sektors und der Landwirtschaft, schwer getroffen. Die Zahlungsbilanz hat sich von 2000 auf 2001 um beinahe 2 Mrd. USD verschlechtert (2000: +974 Mio USD, 2001: - 982 Mio USD; Quelle: Weltbank) und die 11 Mrd. USD Schulden bringen nicht nur einen dramatischen Devisenabfluss mit sich, sondern auch den Zwang zu den asozialen Sparprogramme des IWF, darunter Preissteigerungen für lebensnotwendige Güter und Leistungen sowie Entlassungen und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst. Die Erdöleinkünfte (2001: etwa 40 % der Gesamtexporterlöse) sind die unsichere Pumpe, um die Ausuferung des Zahlungsbilanzdefizits und den wirtschaftlichen Kollaps in prekären Grenzen zu halten.

Als Nationalstaat hat Ekuador nie die koloniale und post-koloniale Spaltung zwischen dem Hochland mit seinem Verwaltungszentrum Quito und der Küste mit der Wirtschafts- und Finanzmetropole Guayaquil überwunden. Die antinationale politische und wirtschaftliche Oligarchie nutzte und förderte diese Spaltung im politischen Machtkampf, der regionale Klientelismus war nicht nur für die oligarchischen Regierungen ein Faktor der Instabilität, sondern führte zu einer ausgeprägten Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung und Stärke der Volksbewegung, deren Überwindung im Rahmen des Staus Quo und seiner staatlichen Institutionen wohl auch einer "alternativen" Kraft kaum gelingen wird. (Gutierrez lag in allen Provinzen des Hochlandes und des Amazonas an erster Stelle, während Noboa in den Küstenprovinzen siegte.)

Vor diesem Hintergrund und mit einer parlamentarischen Mehrheit der traditionellen Parteien der Oligarchie steht das Projekt von Gutierrez nun
vor der Alternative einer Regierung, die auf den radikalen und riskanten Bruch mit dem Establishment, den bestehenden wirtschaftlichen und institutionellen Strukturen sowie der Auslandsabhängigkeit hinarbeitet, oder der pragmatischen Suche nach einer besseren und ausgeglicheneren Verwaltung eines Systems, dessen periphere Stellung im Weltsystem und daraus folgende naturwüchsige Instabilität noch jede Regierung der letzten Jahre zum unehrenhaften Untergang gebracht hat.