Scharons verdrehter Vergleich mit München 1938

08.10.2001

Von Hans Lebrecht

Israels Regierungschef verglich die gegenwärtige amerikanische kalte-Schulter Linie gegenüber Israel mit dem Münchener Hitler-Mussolini-Chamberlain-Daladier Vierertreffen von 1938, bei welchem Nazideutschland von Großbritannien und Frankreich grünes Licht für den Einmarsch in die Tschechoslowakei erhielt. Scharon rief auf einer internationalen Pressekonferenz am Donnerstag (4. Okt.) die USA Regierung auf, nicht denselben Fehler zu begehen, welchen die "erleuchteten Demokratieen Europas" begingen, als sie wegen einer vorübergehenden Situation die Tschechoslowakei opferten. Man solle nicht um einer Koalition gegen den Terror willen die Araber auf Israels Kosten beschwichtigen. "Israel ist nicht die Tschechoslovakei und wir werden den Terror auf unsere Weise bekämpfen" betonte er. Als ob er und seinesgleichen dies nicht schon die ganze Zeit tun.

Nun soll man nicht auf diesen Verdrehungstrick hereinfallen. Scharon weiß ganz gut, dass dieser Trick die Tatsachen auf den Kopf stellt. Die Aussage des alten Kriegsherrn Scharon fällt ganz in den Rahmen der die Tatsachen verdrehenden Gehirnwäsche der israelischen Herrscher und ihren zionistischen Lobby Erpressern in Washington und den von ihnen beeinflussten Massenmedien, welche die sich gegen den israelischen Besatzerterror legitim wehrenden und für ihre Befreiung kämpfende Palästinenser zu terroristischen Agressoren umfunktionieren wollen.

Tatsache war doch seinerzeit in 1938, unter anderem auch als Folge der Absegnung durch Großbritannien und Frankreich im Münchener Abkommen, dass die Tschechoslovakei von Nazideuschland erobert und besetzt wurde, das tschechische Volk Opfer der Besetzung durch Nazideutschland und unterdrückt und ausgebeutet wurde. Das war nicht nur aus Gefallen an Herr Hitler, sondern auch, dass das Territorium der Tschechoslowakei als Brückenkopf für den 1941 erfolgten Einmarsch in die Sowjetunion diente. Die ach so erleuchteten Demokraten des Münchener Komplotts hatten ja gerade dies im Sinn, dass sich Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig zerfleischen sollten, um Europa unter ihre eigenen Fittiche zu bekommen. Die erste Reaktion von Seiten des USA Präsidenten Bush und seines Außenministers Powell auf Scharons Geschichtsverdrehung waren denn auch wütende Zurückweisungen des Ansinnens, welches sie mit den britischen und französischen Hitler Komplizen vergleichen wollte. Der Bumerang, den da Scharon auswarf, traf, wie das eben so geht, ihn selbst.

Scharon, ganz im Sinne der herkömmlichen offiziellen israelischen Gehirnwäsche, versucht mit seiner oben zitierten Aussage Israel wieder einmal als das Opfer der terroristischen Palästinenser darzustellen. Dabei ist doch das Palästinenservolk, trotz manchem Fehltritt gewisser palästinensischer Extremisten und islamischer Fundamentalisten, das wirkliche Opfer, das unter fürchterlichem und unmenschlichem Okkupationsterror von Seiten der israelischen hochmodernen und gut geölten Kriegsmaschine leiden muss. Es ist das Opfer des israelischen staatlichen Terrors, das dem Völkerrecht entsprechend das Recht hat sich dagegen mit allen Mitteln, das es für richtig hält, zu wehren. Also, wenn man die Sache schon mit der Situation von 1938 und danach vergleichen will, so wäre in diesem Fall Israel der militaristische, auf territoriale Expansion ausgerichtete Agressorstaat, während man die Palästinenser mit dem tschechoslovakischen Opfer vergleichen könnte.

Aber das Ganze ist ja sowieso ein sehr hinkender Vergleich, den da Scharon zur Verteidigung seiner nicht zu rechtfertigenden Politik als Ausrede für die Annulierung des von ihm vor ein paar Wochen verkündeten Waffenruhe angeführt hat. Wie diese Feuerpause sowieso in der Praxis ausgesehen hat, kann man ja aus der folgenden Statistik ersehen: Seit dem Treffen von Außenminister Peres und dem palästinensischen Autonomie Präsidenten Arafat am 26. September bis zum 4. Oktober (ganze neun Tage) fielen 34 Palästinenser und fünf Israelis der Okkupationspolitik der Scharonregierung zum Opfer. Während eben dieser selben Tage schnitt das miltärische Besatzerregime etwa 20 Prozent des palästinensischen Westjordangebietes als sogenante Pufferzonen durch mit Hochspannung geladenen Stacheldrahtverhaue und Betonmauern ab. Im Verlaufe dieses Jahres wurden von Israel schon wieder 17,000 neue jüdische Siedler auf geraubtem palästinensischem Boden angesiedelt. Gerade am selben Tag, als Scharon geschichtliche Wahrheiten auf den Kopf gestellt hatte, stellten über die besetzten Gebiete fliegende Beobachter der israelischen Frieden-Jetzt Bewegung fest, dass schon wieder mehr als zehn neue Siedlungen erbaut werden, also der Bodenraub unvermindert weitergeht. Wen also vergleicht Scharon mit den Agressoren und ihren Opfer von 1938?

Es sind doch nicht die Palästinenser, welche Tanks, Raketen feuernde Kampfhubschrauber und amerikanische F-16 und F-15 Kampfjets einsetzen um israelische Städte einzukreisen und von der Außenwelt abzuschließen, oder Ziele darin zu bombardieren und Gebäude dem Erdboden gleichmachen und Plantagen verwüsten. Nein, es ist das, von Scharon als Opfer des Terrors propagierte Israel, welches Terror gegen das palästinensische Volk, dem Opfer der kolonialistischen israelischen Besatzerpolitik, verübt.

Ganz am Platze war demnach die, vor der Presse gestellte rhetorische Frage des palästinensischen Kommunikationsministers Abed Rabbo, wer eigentlich bei der irreführenden historischen, von Scharon aufgeworfenen Hypothese als Hitler hätte fungieren sollen.

Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren,
6. Oktober 2001
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