Das Söldnerbataillon Nahshon

14.05.2001

Über die Ausbildung israelischer Soldaten für einen Krieg Niedriger Intensität. Eine Sondereinsatztruppe für den Kampf in den Städten.
Verletzt sie und verkrüppelt sie! Mit dieser Losung will Israel den Kampf gegen die Palästinenser weitertreiben. Sie sollen besonders an den Augen und an den Beinen getroffen werden. Damit sollen härtere Reaktionen vermieden werden.

Arie O´Sullivan, Jerusalem

"Ich hab zwei Leute ins Knie geschossen. Wir hatten ihnen die Knochen zu brechen und sie zu neutralisieren, sollten sie aber nicht töten." berichtet Raz, Feldwebel und Eliteschütze des Nahshon-Bataillons. "Wie ich mich dabei gefühlt habe? Ich hab gespürt, daß ich das tun konnte, wozu ich ausgebildet wurde. Die Vorstellung hat mir eine große Sicherheit verschafft, daß ich in einer realen Kriegssituation fähig bin, meine Kameraden und mich zu verteidigen."

Es ist gängige Praxis, mit einem gummiummantelten Metallgeschoß direkt ins Auge zu schießen. Darin wetteifern die geübtesten Soldaten, es erfordert höchste Präzision. Tagtäglich gibt es neue Meldungen über Augenverletzungen.

"Am 11. Oktober wurden vom Unfallkrankenhaus El Mizan in Hebron berichtet, es seien 16 Palästinenser mit Augenverletzungen in Behandlung, darunter 13 Kinder. Zwei haben ein Aug verloren. Im Augenspital El Nasir in Gaza wurden 16 Personen wegen Verletzungen an den Augen behandelt, darunter waren 13 Kinder. Neun haben ein Auge verloren.." (LAW (1), 19. 10. 2000)

"Im Augenspital St. John in Jerusalem waren vom 29. September bis zum 25. Oktober 50 Personen wegen Verletzungen an den Augen in Behandlung." (LAW, 2. 11. "Augenverletzungen")
Im Widerspruch zu den Pressemeldungen, in denen mit Regelmäßigkeit von "Auseinandersetzungen" die Rede ist, handelt es sich bei den Verletzten nicht aus schließlich um DemonstrantInnen. Im folgenden ein Bericht, der von LAW recherchiert wurde.
Maha Awad ist eine 36-jährige Frau und sie lebt mit ihrer Familie in Al Bireh bei Ramallah in einer Wohnung, die sich gegenüber der israelischen Siedlung Psagot befindet

"Am Mittwoch den 4. Oktober abend war ich zu Hause. Ich erinnere mich, daß wir gegen 21 Uhr in unserem Wohnviertel Schüsse gehört haben. Die Schießerei war ziemlich intensiv und regellos. Wir wußten nicht, was los war und hatten große Angst. Ich habe mein Zimmer abgeschlossen und ging zur Veranda, um auch dort die Türe zu schließen. In dem Augenblick wurde ich am rechten Aug von einer Kugel getroffen, die durch die Glastüre der Veranda gedrungen war."

Maha war nicht die einzige in ihrer Familie, die an jenem Abend verletzt wurde. Ihr 54-jähriger Bruder, der gerade aus den Vereinigten Staaten zu Besuch war, brachte sie ins Spital und kam noch einmal zurück, um ihre Kleider zu holen. Aber als er sich den Platz ansah, an dem Maha angeschossen worden war, bekam er selbst einen Bauchschuß."

Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, daß es sich hier um eine Art kaltblütiges Jagdvergnügen handelt, an dem sich hochausgebildete Scharfschützen beteiligen, die mit Präzisionswaffen ausgerüstet sind. Blindgänger können nicht derartig viele Menschen so genau in die Augen, am Kopf und an den Knien treffen..

Das israelische Heer hat sich auf solche Situationen genau vorbereitet. "Vor etwa mehr als einem Jahr wurde vom israelischen Heer zwecks Bekämpfung des Aufstandes im Westjordanland vier Bataillone für den Krieg Niederer Intensität aufgestellt, darunter Nahshon, das für den Einsatz in den Städten spezialisiert ist. Ihr Training findet in zwei Camps statt, die auf palästinensische Dörfer aufgeteilt sind. (Jerusalem Post, Arie O´Sullivan, 27. 10. 2000)
Das sind also Kommandos mit Spezialausbildung: sie zielen, schießen und treffen aus genauem Kalkül: es werden Krüppel produziert und dadurch wird die Zahl der Toten auf einem niedrigem Niveau gehalten. Das wird von den israelischen Medien offen und auch noch mit Stolz vermerkt.

"Die Streitkräfte zielen mit einer umfassenden Strategie darauf ab", wird in dem Artikel der Jerusalem Post erläutert, "eine größere Zahl von Todesfällen unter den Palästinensern zu vermeiden, an der die Palästinenser aber, in der Meinung der israelischen Militärs, interessiert sind, um die Unterstützung der Weltöffentlichkeit zu bekommen und ihren Kampf für Unabhängigkeit zu stärken. "Wir tun alles, um sie nicht zu töten." sagt Hauptmann Yoram Loredo, Kommandant und Gründer des Nahshon-Bataillons.

Der Grund dafür ist hinreichend klar Eine täglich hohe Zahl von palästinensischen Todesfällen kann auch bei den gutwilligen Medien und Regierungen nicht unbemerkt bleiben. In der Hinsicht ist Barak sehr deutlich geworden. "Der Ministerpräsident sagte, wenn es von einem gewissen Zeitpunkt an nicht nur mehr 140, sondern 400 oder 1000 Palästinenser gebe, dann hätte dies für Israel möglicherweise eine sehr negative Auswirkung." (Jerusalem Post, 30. 10. 2000) Man glaubt, daß bei einer gleichbleibenden Tagesquote von 5 Toten Israel noch viele Monate lang ohne großen Schaden weitermachen kann.

In einer Welt, die sich so sehr an Horrormeldungen gewöhnt hat, meinen viele, daß 180 Tote im Monat wohl eine traurige Sache sind, aber nichts derartig Gravierendes, gegen das sich die ganze Welt zusammenschließen müßte. Die Verwundeten werden kaum erwähnt, sie fallen in den trockenen Statistiken dieses Wahnsinns nicht ins Gewicht. Wer wird sich denn um diese Verwundeten in Zukunft kümmern?. Wer denkt nur einen Augenblick lang nach, wieviele von ihnen wohl langsam an ihren Verletzungen sterben, oder lebenslang behindert und blind sein werden, für immer Krüppel bleiben? Wer macht sich Gedanken darüber, ob sie die dem palästinensischen Volk aufgezwungene Belagerung und den Hunger überleben können? Israel besitzt die Frechheit, auf steinewerfende Demonstranten tagtäglich mit einem enormen Aufgebot von Gewalt und Brutalität zu antworten.. Während der sechsjährigen ersten Intifada von 1987 bis 1993 sind insgesamt 18.000 Palästinenser verletzt worden, jetzt halten wir nach einem Monat schon bei 7000! Und wir befinden uns in einer neuen Phase. Israel beginnt jetzt mit der systematischen und lange vorbereiteten Zerstörung der Infrastruktur der palästinensischen Städte, des palästinensischen Lebenszusammenhanges.

Die Israelischen Streitkäfte haben die Eskalation mit dem Einsatz von Feuerwaffen und mit einer massiven Offensive gegen wütende DemonstrantInnen zuerst provoziert und dann ausgeweitet. Beim Einsatz von Schußwaffen wird zumeist überhaupt nicht abgewartet, ob eine Reaktion auf einen Ersteinsatz gerechtfertigt ist, und es werden jede Nacht Wohnviertel aus Hubschraubern und Panzern mit Raketen, Schnellfeuergewehren und Präzisionswaffen beschossen, darauf wird die Bevölkerung vom Heer "zu ihrem eigenen Schutz" evakuiert. Den Siedlern wird freie Hand gelassen, sie dürfen angreifen, schießen, Eigentum zerstören. In Hebron haben die Israelis einen ganz besonders massiven Angriff gestartet, der praktisch auf eine Ausweitung der jüdischen Wohnviertel hinauslief.

Es wird insgesamt auf die palästinensischen Bewohner in der Nähe israelischer Siedlungen ein ungeheurer Druck ausgeübt, damit sie wegziehen und die Areale, die von Israel bereits beschlagnahmt worden sind, erweitert werden können. Die Israelis eignen sich praktisch tagtäglich und Stück für Stück neue Wohngebiete an. ... Täglich langen verzweifelte Nachrichten darüber und über noch vieles mehr bei den Palästinensern ein. Wir müssen uns entscheiden, ob wir uns kundig machen wollen, oder ob wir nichts wissen wollen.

Israel muß dafür seine Strafe erhalten.

O´Sullivan: Il battaglione die cecchini, manifesto, 14. 11. 2000
wörtliche Übersetzung von Aug und Ohr
Hervorhebungen von AuO

(1) LAW (The Palestinian Society for the Protection of Human Rights and the Environment, "Palästinensische Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt"; http://www.lawsociety.org/). Eine der wertvollsten Quellen.