Das Dilemma des Erfolges

21.10.2005

Die Landtagswahlen in der Steiermark

Am Sonntag dem 2. Oktober 2005 wurde in der Steiermark ein neuer Landtag gewählt. Diese Wahlen bedeuteten eine Niederlage des herrschenden politischen Systems, eine Absage an den neoliberalen Konsens und eine Kapitulation des rechten Populismus. Gleichzeitig zeigten diese Wahlen mögliche, neue Perspektiven linker Politik auf.
Der augenscheinlichste Verlierer der Landtagswahlen in der Steiermark war die ÖVP. Sie verlor gegenüber ihrem letzten Wahlergebnis 8,6 Prozent der Stimmen. Die SPÖ konnte hingegen 9,3 Prozent zulegen. Die KPÖ Steiermark hatte einen unglaublichen Wahlerfolg zu verzeichnen. Sie konnte mit einer Zunahme von 5,3 Prozent drittstärkste Kraft auf Landesebene werden. Für die FPÖ hingegen war diese Wahl ein Debakel. Mit einem Verlust von 7,8 Prozent konnte sie diesmal nicht einmal mehr ein Grundmandat erreichen. Die Ergebnisse des BZÖ lagen weit unter ihren Erwartungen und auch sie verfehlten das Grundmandat. Die Wählerstromanalysen zeigen deutlich, woher der Erfolg der KPÖ in den Wahlen resultierte. Den größten Zugewinn konnte sie aus dem Reservoir der NichtwählerInnen schöpfen. An zweiter Stelle rangieren jene WählerInnen, die im Jahre 2000 noch ÖVP gewählt haben, gleich gefolgt von jenen WählerInnen, die zuvor FPÖ gewählt haben. An letzter Stelle sind jene WählerInnen, die im Jahr 2000 die Grünen gewählt haben. Diese Zahlen deuten an, dass es ein Potential gibt, welches für ein linkes Programm ansprechbar ist, obwohl es bisher vielleicht ÖVP oder FPÖ gewählt hat. Diese Wahlen haben gezeigt, dass es sich lohnt um diese Schichten zu kämpfen. Das linksliberale Spektrum der Grünen hingegen war am wenigsten zugänglich für eine solche Programmatik.
Hinter diesen statistischen Wahlergebnissen deutet sich eine Niederlage des herrschenden politischen Systems an. Der Wahlerfolg der KPÖ in der Steiermark war ein Schlag ins Gesicht der institutionalisierten Systemparteien. Das gesamte herrschende Parteiensystem, welches auf einen Bipolarismus von Mitte-Rechts und Mitte-Links beruht, wurde durch den großen Zuwachs der Stimmen für die kleine KPÖ herausgefordert. Der rechte Populismus ist hingegen an seine Grenze gestoßen und wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen ist. Seit der populistischen Wende der FPÖ wurde immer wieder behauptet, die FPÖ würde sich außerhalb des herrschenden politischen Systems bewegen, sie hätte den "Boden der Verfassung" verlassen. Doch die Regierungsbeteiligung der FPÖ und später des BZÖ zeigten deutlich, dass diese Parteien sehr wohl Teil des herrschenden Systems geblieben sind. All jene Versprechungen, mit denen die FPÖ angetreten ist, um das politische System angeblich zu erneuern, sind mit der Regierungsbeteiligung dahin geschwunden. Die Beteiligung des nunmehrigen BZÖs an der Bundesregierung war wohl einer der Hauptgründe für die großen Verluste des gesamten FPÖ-BZÖ-Blocks auf der Landesebene.
Gleichzeitig wurde in dieser Wahl dem neoliberalen Konsens eine Abfuhr erteilt. Kaltenegger ist mit einem Programm angetreten, dass die früheren Errungenschaften des Sozialstaates wieder herstellen wollte. So trat die KPÖ unter anderem gegen die Privatisierung von öffentlichem Eigentum ein oder für den Aufbau eines sozialen Wohnbauprogramms. Diese Programmatik steht in deutlichen Widerspruch zum neoliberalen Konzept, welches von den herrschenden Parteien durchgehend vertreten wird. Mit diesem Programm konnte die KPÖ Steiermark gegen die herrschenden Parteien des Bipolarismus antreten und gleichzeitig die enttäuschten WählerInnenschichten ansprechen. Selbst die SPÖ sah sich gezwungen, durch antikapitalistische Parolen solche ProtestwählerInnen anzusprechen. So sprach Gusenbauer noch kurz vor der Wahl von einem "Votum für soziale Gerechtigkeit" flankiert von Voves, der vor einer kapitalistischen Verschwörung warnte.
Die entscheidende Frage wird sein, ob Kaltenegger und seine KP den inhaltlichen Bruch mit dem herrschenden neoliberalen Konsens scharf genug vollziehen wird. Wird dieser Bruch mit dem neoliberalen Konsens tatsächlich zu einem Bruch mit dem institutionalisierten Bipolarismus führen? Der Aufbau eines Sozialstaates wirkt in den heutigen Zeiten, in denen der Neoliberalismus zum allumfassenden Katechismus avanciert ist, als radikale Alternative. Doch gleichzeitig müssen wir auch erkennen, dass eine solche Programmatik nicht per se eine Alternative bieten kann. Der herrschenden Konsens gründete sich schon einmal auf solche sozialstaatlichen Vorstellungen, ohne eine fortschrittliche Perspektive bieten zu können. So scharf dieser Bruch auch heute scheinen mag, so muss er doch immer wieder aufs Neue in immer anderen Konstellationen vollzogen werden, um nicht an Schärfe zu verlieren.
Diese Landtagswahlen haben die Unzulänglichkeit des rechten Populismus offensichtlich gemacht. Mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ wurde deutlich, dass dieser Populismus sich nie wirklich vom herrschenden politischen System entfernt hatte, dass er vielmehr Teil dieses Systems geblieben ist. Gleichzeitig wurde hier deutlich, dass die Linke gegenüber diesem Phänomenen eine falsche Politik betrieben hat. Mit der ständigen Ausgrenzung der FPÖ-Anhängerschaft mit dem Argument, es wären Rassisten, hatte dazu geführt, dass sich die Linke immer mehr von ihrer sozialen Basis isoliert hatte. Anstatt den Kampf aufzunehmen und die Verlogenheit und Unzulänglichkeit dieser Formen des Populismus aufzuzeigen, glaubte man mit einer Politik der Moralisierung die Wähler von der Schlechtigkeit der FPÖ zu überzeugen. Die Linke ist immer davon ausgegangen, dass die Anhängerschaft der FPÖ für linke Politik nicht mehr zugänglich gewesen wäre. Kaltenegger und die KPÖ Steiermark haben gezeigt, dass auch ein linkes Programm solche Schichten anzusprechen vermag. Wir müssen uns also endlich von dieser Abgrenzungspolitik befreien und den Kampf um die FPÖ-Anhängerschaft aufnehmen.
Interessant ist außerdem, dass der zweitgrößte Block der neuen KPÖ-WählerInnen von der ÖVP kam. Dies hat sicherlich vielfältige Ursachen. So kann man auf die sich auflösende Integration von sozialer Basis und politischer Partei, die auch im ländlichen Raum wirksam wird, verweisen. Immer mehr Wählerschichten werden daher mobil und verändern ihr Wahlverhalten von Wahl zu Wahl. Dies ermöglichte den überraschenden Wechsel von Wählerschichten hin zur KPÖ. Inhaltlich hatten diese Wahlen gezeigt, dass man auch im ländlichen Raum mit einem linken Wahlprogramm Stimmen gewinnen kann. Man muss sich daher neue Strategien überlegen, wie man eine mögliche Annäherung auch an ländliche, katholisch-konservative Schichten vorbereiten kann. Es ist eine altbekannte Erkenntnis, dass die sogenannten "Modernisierungsprozesse" des kapitalistischen Gesellschaftssystems gleichzeitig Schichten produzieren, die davon nicht profitieren. Doch diese drücken ihren Protest zunächst in einer Erhaltung des Hergebrachten, in einer Rückbesinnung auf einen früheren, angeblich besseren Zustand aus. Diese Stimmungen aufzunehmen und in ein Kraft der Erneuerung zu verwandeln ist die Aufgabe eines linken Programms. Der dumpfe Antiklerikalismus, die fehlende Sensibilität für die Probleme des ländlichen Raums und die allzu positive Aufnahme der "Modernisierungstendenzen" des Kapitalismus haben die Landagitation der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik versickern lassen. Die KPÖ Steiermark hat bewiesen, dass ein linkes Wahlprogramm auch Schichten ansprechen kann, die bisher als konservativ gegolten hatten. Dies zeigt in aller Deutlichkeit, dass die Begriffe konservativ und progressiv, rechts und links in den politischen Konstellation viel komplexer und dynamischer aufgefasst werden müssen.
Die Wahlen haben gezeigt, dass es möglich ist durch ein geeignetes Programm Leute politisch zu mobilisieren. Die große Kluft, welche sich zwischen dem politischen System und der Gesellschaft entwickelt hat, wurde immer wieder als "Politikverdrossenheit" interpretiert. Die Passivität der Massen in Bezug auf Politik konnte sicherlich nicht durch diese Wahl überwunden werden, doch sie war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Natürlich darf nicht der Akt der Wahl mit politischem Aktivismus verwechselt werden, aber zur Zeit scheint dies eine der wenigen Möglichkeiten zu sein, Menschen für eine linke Politik zu mobilisieren. Schließlich konnte die KPÖ in dieser Wahl zu einem großen Teil WählerInnenschichten ansprechen, die sich an der vorigen Wahl nicht beteiligt hatten.
Waren diese Wahlen also ein Sieg der linken Programmatik über den rechten Populismus? Dabei wird man sehen müssen, welche Erfolge die KPÖ nun über die Wahlen hinaus umsetzen wird können. In gewisser Weise zeigten diese Landtagswahlen, dass es sehr wohl möglich ist, mit einem linken Programm Protestwähler anzuziehen. All jene antiinstitutionalistischen Tendenzen, die lange Zeit von der FPÖ eingefangen wurden, konnten nun teilweise von der KPÖ gewonnen werden. Das entscheidende Problem ist aber, nicht auf eine ähnliche Kapitulation hinzusteuern, wie die FPÖ. Kaltenegger steht nun vor dem Dilemma, auf der einen Seite die WählerInnenschichten, die aus dem Nichtwählerreservoir, der ÖVP und FPÖ kamen, zu halten und andererseits den antiinstitutionellen Charakter erneuern zu müssen. WählerInnenschichten wird er nur halten können, indem er konkrete Projekte anbieten kann, die er auf Landesebene erkämpfen muss. Bei der Durchsetzung solcher Projekte wird sich konkret zeigen, ob er diesen Bruch tatsächlich bereit ist zu erneuern.

AIK