Asmib Bshara zur Dialektik zwischen demokratischem Staat in ganz Palästina und Zwei-Staaten-Lösung

26.09.2001

Am 15. September 2001 hielt der arabische Knesset-Abgeordnete Asmib Bshara auf Einladung der palästinensischen Gemeinde einen Vortrag in Wien. Auf die möglichen Lösungsformen des Palästina-Konfliktes angesprochen, vertrat Asmib Bshara sowohl die Forderung nach einem demokratischen Staat in ganz Palästina als auch die Zwei-Staaten-Lösung. Die Antiimperialistische Koordination stellte ihm die Frage, in welchem Verhältnis die beiden nun zu einander stünden. Dabei verbanden wir die Frage mit dem konkreten Kontext des Dilemmas der heutigen Palästina-Solidaritätsbewegung in Europa.
Tatsächlich vertritt diese Bewegung in ihrer Mehrheit die Zwei-Staaten-Lösung nach dem Prinzip, zwei Völker zwei Staaten, die wir in dieser Form für eine Kapitulation vor den vom Imperialismus geschaffenen Tatsachen halten. Denn der "Konflikt" zwischen Israel und dem palästinensischen Volk entfaltet sich nicht nur zwischen diesen beiden Kräften, sondern in einem globalen Kontext zwischen Imperialismus und den Volksmassen Arabiens und des Nahen Ostens im Allgemeinen. Israel dient dabei, wie Bshara selbst sagte, als "strategic asset" der USA. Seine Existenz ist fest mit der Beherrschung der Region durch den Imperialismus verbunden und daher kann es keinen Ausgleich mit Israel geben – unabhängig davon ob das die lokalen Führungen der Zionisten und der Palästinenser wollen mögen oder nicht.
Andererseits vertritt der auf eine kleine Minderheit zusammengeschrumpfte radikale antiimperialistische Flügel der Bewegung nach wie vor die Forderung nach einem demokratischen Staat in ganz Palästina auf dem Trümmern des zionistischen Israel. Er befindet sich dabei in der misslichen Lage nicht nur in Europa auf eine breite Ablehnungsfront zu stoßen, sondern selbst in Palästina marginal zu sein. Alle relevanten palästinensischen Organisationen inklusive der islamischen treten in der einen oder anderen Form für eine palästinensischen Staat in einem Teil des historischen Palästina ein und auch von den Massen wird diese Position angesichts der Stärke des auf die USA sich verlassen könnenden zionistischen Feindes allgemein akzeptiert. Das ist zweifellos ein Ausdruck der Schwäche. Doch es ist eine Realität, die in Rechnung zu stellen ist.
In seiner Antwort sprach sich auch Asmib Bshara für einen palästinensischen Staat in den 1967 von Israel besetzen Gebieten Gaza und Cisjordanien aus. Denn Frieden und ein Palästinenser-Staat sei nur auf der Basis von Gerechtigkeit möglich, auch wenn diese Gerechtigkeit relativ sei, denn die 67er-Gebiete entsprächen lediglich 22% des ehemaligen britischen Mandatgebeits. Doch scheine Israel angesichts der forcierten Siedlungstätigkeit auch zu begrenzter Gerechtigkeit und damit zum Frieden nicht bereit zu sein – was einen palästinensischen Staat in immer weitere Ferne rücken ließe. Die fortgesetzte jüdische Besiedlung auch der 67er-Gebiete einerseits und das außerordentliche demografische Wachstum der Araber israelischer Staatsbürgerschaft mache die geplante nationale Trennung, die im übrigen zutiefst rassistisch sei, zunehmend unmöglich und bringe damit auch die Forderung nach einem demokratischen und säkularen Staat in ganz Palästina erneut auf die Tagesordnung. So weit sei es aber heute noch nicht und es überwöge auf beiden Seiten der Wille nach Trennung.
Auch wir halten eine glatte und trockene Ablehnung der Zweistaatenlösung angesichts der dargestellten Faktoren nicht für möglich, denn dies würde die völlige Isolation vom realen Kampf bedeuten. Es gilt eine dialektische Wechselwirkung zwischen dieser Minimallosung und der Maximalforderung nach einem demokratischen Staat zu entfalten, doch stellt sich die uns anders dar als für Asmib Bshara. Dieser ging in der einen oder anderen Form implizit davon aus, dass der Friede mit der zionistischen Führung möglich und notwendig sei. Wir verneinen das entschieden, auch wenn die Kräfteverhältnisse sehr gegen uns sprechen mögen. Für uns öffnet der Kampf um einen wirklich souveränen palästinensischen Teilstaat mit Jerusalem als Hauptstadt insofern das Tor zur Befreiung ganz Palästinas, als der Zionismus augenscheinlich eine Verhandlungslösung mit einer Scheinsouveränität im Gegensatz zu den Friedensabkommen in Mittelamerika und Südafrika niemals akzeptieren wird. Für ihn kommt nur eine ganz offensichtliche Bantustan-Lösung in Frage und nicht einmal an diese will sich Israel halten. Doch soviel hat die Geschichte zweifelsfrei bewiesen – das palästinensische Volk wird es niemals akzeptieren in Bantustan-Reservate zurückgedrängt zu werden. Daher macht der ernsthafte Kampf für einen souveränen Staat in Gaza und im Westjordanland letztlich den Kampf gegen Israel als ganzes notwendig – das ist die revolutionäre Dialektik von der wir ausgehen.
Auch zur oft vernachlässigten sozialen Misere des palästinensischen Volkes unterbreitete Bshara seine Überlegungen. Der palästinensische Kampf konzentriere sich heute auf den nationalen Aspekt, es sei vor allem ein nationaler Befreiungskampf, während die soziale Frage erst danach an Bedeutung gewinnen werde. Doch Israel wird die Entwicklung eines wirtschaftlich lebensfähigen, geschweige denn eines ökonomisch prosperierenden Staates neben dem zionistischen niemals akzeptieren. So macht nicht nur die nationale Unterwerfung und Entrechnung der Palästinenser, sondern auch ihr soziales Elend die Befreiung ganz Palästinas notwendig – der zweite Aspekt der Dialektik zwischen Teilstaat und Gesamtstaat, der von Bshara nicht ausreichend in Rechnung gestellt zu werden scheint.

AIK