Wo der Hass keine Grenzen kennt

16.03.2002

Den palästinensischen Einwohnern Hebrons im Westjordanland wird das Leben zur Hölle gemacht

Zwei Straßen führen nach Hebron. Auf der einen von ihnen, die neu, gut ausgebaut ist, sind erstaunlich wenig Autos unterwegs. Wenige Kilometer vor der Stadtgrenze gibt es allerdings auch kein Weiterkommen. Der Bus muss vor einem israelischen Grenzposten warten, der gleichzeitig der Eingang zu einer israelischen Siedlung ist. Passieren dürfen die Straße nur deren Bewohner und ihre Freunde sowie israelisches Militär. Die Route zählt zu einem Straßensystem, das die Siedlungen auf der Westbank und im Gasastreifen mit dem israelischen Kernland verbindet. Palästinenser dürfen diese Strecke nur benutzen, wenn sie einen speziellen Ausweis vorweisen können.
Wer Hebron im Westjordanland besucht, der bekommt eine Ahnung davon, warum der israelisch-palästinensische Konflikt so schwer zu bewältigen ist. Der Fahrer unseres Reisebusses gehörte nicht dazu. Er wird zurückgeschickt auf eine ältere, stark reparaturbedürftige Straße. Nach wenigen Kilometern ist endgültig Schluss. Am Rand von Hebron muss der Bus geparkt werden. In die Stadt kommt man nur zu Fuß. Vor einigen Wochen hat das israelische Militär den Zugang zur Stadt mit Schrott und Steinen verbarrikadiert.
Der Eingang ist umlagert von finster blickenden Kindern und Jugendlichen. Alte Frauen setzen vorsichtig einen Fuß neben den anderen, um die Hindernisse zu überwinden. Auf dem Kopf balancieren sie schwere Lasten, Säcke mit Nahrungsmitteln oder andere Güter des täglichen Lebens. Seitdem die palästinensischen Bewohner vom Autoverkehr abgekoppelt sind, muss alles in die Stadt geschleppt werden. Nur einige magere Esel stehen hinter der Sperre für Transporte bereit. Aber auch mit ihnen kommt man nicht weit.
Als beträte man einen Hochsicherheitstrakt
Schon nach wenigen hundert Metern wird die Besuchergruppe von israelischen Soldaten kontrolliert. Nach längeren Verhandlungen ist ein befristeter Besuch möglich. Die Gegend um den alten Markt allerdings darf nicht betreten werden. Der Weg zur Ibrahim-Moschee ist nicht weit, aber er hat es in sich. Man hat den Eindruck, einen Hochsicherheitstrakt betreten zu wollen. Sämtliches Gepäck wird akribisch kontrolliert. Alle Besucher müssen ihre Ausweise abgeben und einzeln durch eine Schleuse gehen, bevor sie das muslimische Gotteshaus betreten dürfen.
Ein älterer Mann will sich ein paar Schekel verdienen und führt die Besucher durch das eher karge Gebäude. Er ist einer der wenigen Überlebenden jener Tragödie, die die Moschee weltweit in die Schlagzeilen brachte. Im Jahre 1994 schoss dort der Kopf einer extremistischen Siedlergruppe, Dr. Baruch Goldstein, auf betende Moslems. 29 Menschen starben, rund 130 wurden verletzt, bevor der Todesschütze gelyncht wurde. Viel will der Mann, der mehrere Schüsse in den Bauch überlebte, über die Ereignisse nicht erzählen. Nur eines will er unbedingt loswerden: Goldstein war kein verwirrter Einzelgänger. Er war unter den Siedlern anerkannt. Jetzt wird er von ihnen als Märtyrer verehrt und seine Grabstätte ist geradezu ein Wallfahrtsort.
Gelten doch Hebrons Siedler als fanatische Sektierer, die selbst von der israelischen Rechten mit Argwohn betrachtet werden. Die israelische Anwältin Felicia Langer befasste sich in dem Buch "Wo der Hass keine Grenzen kennt" mit der Geschichte dieser Bewegung, die sich auf die kurze jüdische Besiedlung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beruft. Damals unterlagen die jüdischen Siedler der arabischen Übermacht. 1929 kamen bei Unruhen 67 von ihnen ums Leben. Für die heutigen Siedler sind sie Märtyrer. Vor den besetzten Gebäuden stehen große Tafeln, auf denen sie als Helden und Vorkämpfer für Erez Jisrael dargestellt werden.
Lange Zeit verhinderte die israelische Regierung eine erneute jüdische Besiedlung Hebrons, weil sie Unruhen fürchtete. Doch 1968 unterlief der extremistische Rabbi Levinger mit 32 Gesinnungsgenossen dieses Verbot, indem er sich im Park Hotel in der Stadtmitte einquartierte. Bis zur Ankunft des Messias wollte er dort bleiben. 1970 gab die israelische Regierung schließlich grünes Licht für den Bau der Siedlung Kirjat Arba am Stadtrand. 1979 besetzte Levingers Frau ein altes Krankenhaus in Hebrons Innenstadt. Das war der Startschuss für die Besiedlung der Altstadt durch israelische Extremisten.
"Sie haben nur ein Ziel, den Palästinensern das Leben so zur Hölle zu machen, damit sie die Stadt verlassen", meinte Doktor Taisir Sahdeh. Der Arzt leitet eine gut gehende Klinik im Parterre seines Einfamilienhauses. Doch seit drei Monaten ist diese geschlossen. Damals besetzten israelische Soldaten das Dach des Hauses. Abgesehen von einigen Unterbrechungen haben sie es bis heute nicht verlassen. Die Spuren der Verwüstung sind in den oberen Etagen unübersehbar. Zerbrochene Flaschen, herausgerissene Rohre und Leitungen, kaputte Fenster und Türen. Geblieben ist ein Unterstand samt Sandsäcken, was darauf schließen lässt, das die unwillkommenen Besucher wohl bald wiederkommen werden.
Dr. Sahdeh fühlt sich seines Lebens nicht mehr sicher. Erst vor wenigen Tagen hatten Scharfschützen aus einem von Siedlern besetzten Haus auf ihn geschossen, als er in seinem Arbeitszimmer am Computer saß. Die Kugel verfehlte ihn knapp, aber die zerborstene Fensterscheibe erinnert ihn immer wieder daran. Auch auf der Straße wurde er schon mehrfach von Siedlern angegriffen und zusammengeschlagen. Wenn er bei den allgegenwärtigen israelischen Militärs Anzeige erstatten will, wird er verhört und bedroht. "Schutz gibt es für uns hier praktisch nicht", sagte der Arzt. Doch er zeigte keine Spur von Resignation. Mehrere Angebote aus Italien, wo er einst studierte, hat er ausgeschlagen. "Ich will nicht fliehen, sondern hier für meine Rechte kämpfen", erklärte er zum Abschied. Etwas leiser fügt er hinzu, dass er bestimmt jetzt wieder Ärger bekommen werde, weil er mit Besuchern gesprochen hat.
Freiwild für Siedler und israelisches Militär
Auch die Temporary International Presence in Hebron (TIPH) ist schon öfter ins Visier der Siedler geraten. Ihr Auto ist von Steinen durchlöchert und auch Schüsse wurden schon auf sie abgegeben. Die Mitglieder der TIPH sind auf UNO-Initiative nach den Abkommen von Oslo in die Stadt entsandt worden und sollen Konflikte schon im Ansatz schlichten. Meist sind sie freilich machtlos, weil sie von israelischer Seite einfach ignoriert werden. Auch sie bestätigen, dass Palästinenser in Hebron Freiwild für Siedler und Militärs sind.
Besonders haben Bewohner derjenigen Häuser zu leiden, die sich in der Nachbarschaft von Gebäuden befinden, die von den Siedler besetzt wurden. Von körperlichen Angriffen, über Zugangsblockaden bis zur Beschädigung der Wohnungen reicht das Repertoire der Übergriffe und Schikanen gegen die palästinensischen Bewohner Hebrons. Auch tagsüber ist die Stadt wie ausgestorben. Wenn sich auf einem staubigen Platz einige palästinensische Kinder zum Spielen zusammenfinden, werden sie von schwerbewaffneten israelischen Soldaten sogleich auseinander gejagt. Am Ortsausgang ist die Militärpräsenz etwas geringer, in Sichtweise sind die Soldaten aber immer.
Die Jugendlichen blicken noch finsterer, einer wirft Steine nach der Gruppe und wird von Älteren zurückgehalten. Der Ruf des Muezzins hallt durch die leeren Straßen.
Als wir die Barrieren überquerten und in den Bus stiegen, waren wir erleichtert, als hätten wir gerade ein schwer bewachtes Gefängnis verlassen. Doch die mehr als 130.000 Insassen bleiben ohne Hoffnung zurück, vergessen von einer Welt, in der so viel über Freiheit und Demokratie geredet wird.

Peter Nowak (Journalist in Berlin)