"Ohne Souveränität keine Demokratie"

08.07.2009

Die Protestbewegung im Iran macht nicht den Eindruck einer die nationale Unabhängigkeit verteidigenden Kraft. Ein Gespräch mit Willi Langthaler, aus junge Welt, 6.7.2009

 

Wie lassen sich die gegenwärtigen Ereignisse im Iran aus antiimperialistischer Sicht beurteilen?

Diese Protestbewegung wird zum großen Teil von den gebildeten Mittelschichten und auch Besitzenden getragen, die nach mehr demokratischen Rechten und kulturellen Freiheiten streben. Für sie ist das gleichbedeutend mit Verwestlichung. Das fällt zusammen mit den indirekten und direkten Versuchen des Westens, Einfluß auf die Verhältnisse im Iran zu nehmen, das heißt der Opposition zum Sieg zu verhelfen. Auf der anderen Seite haben wir die große Masse der städtischen und ländlichen Unterschichten, die ebenfalls enttäuscht sind vom System der Islamischen Republik, wie es sich in den letzten zwanzig Jahren weiterentwickelt hat. Dieses breite Spektrum reagiert positiv auf die von Mahmud Ahmadinedschad vorgetragenen Angriffe auf den verbürgerlichten Klerus. Die Ausstrahlungskraft des wiedergewählten Präsidenten ergibt sich aus der Kombination von sozialen Versprechungen, radikalem Islamismus und Antiimperialismus. Und daß dies gegen die Mullah-Elite gerichtet ist.

Nach Ansicht von vielen Linken ist eine breite Demokratiebewegung gegen ein diktatorisches Regime angetreten. Wie sehen Sie das?

Die von der Opposition vorgetragenen Forderungen nach Demokratie und Ausweitung der politischen Freiheiten sind als solche natürlich unterstützenswert. Die Grundvoraussetzung für eine demokratische Entwicklung aber ist die nationale Souveränität. Ein von den imperialistischen Mächten in Abhängigkeit gehaltener Iran kann nicht demokratisch sein. Die gegenwärtige Protestbewegung jedoch macht nicht den Eindruck einer die nationale Unabhängigkeit verteidigenden Kraft. Sie steht vielmehr unter dem Bann der westlichen Hegemonie. Im Konflikt zwischen der iranischen Führung um Ahmadinedschad und imperialistischer Hegemonialpolitik muß die antiimperialistische Linke klar Stellung beziehen. Gerät der Iran unter die Vorherrschaft der USA, ist der Kampf um Demokratie verloren.

Kann man von einer Erhebung gegen das islamische Regime sprechen. Oder handelt es sich nicht vielmehr um einen Konflikt innerhalb des islamischen Regimes?

Beides. Im Regime gibt es heftige Fraktionskämpfe. Eine Linie wird von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani personifiziert. Er verkörpert das System von seinen revolutionären Anfängen bis zu seiner kapitalistisch-oligarchischen Gegenwart. Er repräsentiert aber auch die Krise des Systems, in dem sich die Elite der Mullahs und deren Familien die Wirtschaft des Landes angeeignet und eine eigenartige Form von Kapitalismus kreiert haben. Der Unmut dagegen ist von Ahmadinedschad auf eine eher populistische Weise, als Kampfansage an die Korruption, aufgegriffen worden. Es waren nicht bloß leere Versprechen, die der Präsident gemacht hat. Vieles hat er auch eingelöst. Das waren vor allem Transferleistungen an die Armen und die Einführung eines Mindestlohns. Dabei ist Ahmadinedschad mit jener Fraktion des Klerus verbündet, die am Antiimperialismus festhält und aus diesem auch ihre Legitimation bezieht.

Wie kommt es dann, daß sich selbst Kommunisten der Tudeh-Partei nun hinter die Bewegung des Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawis stellen?

Die Tudeh-Partei agiert heute wie die Irakische Kommunistische Partei unmittelbar vor der US-Invasion. Das politischeKoordinatensystem der ehemaligen Linken hat sich völlig verschoben. So wie der Irak des Saddam Hussein bis zuletzt als faschistisches Regime verschrieen wurde, wird nun der Iran der Mullahs entsprechend etikettiert. Für die Tudeh-Partei ist die Repression, die von diesem Regime ausgegangen ist, das entscheidende Kriterium ihrer Beurteilung. Mögliche Ansatzpunkte imperialistischer Interessen und Interventionen spielen in ihren Erwägungen keinerlei Rolle. Im Gegenteil, man ist bereit, sich letztendlich zum Sturz des Regimes mit jedem zu verbünden; zumindest wird es als sekundär erachtet, wer diese Bewegung ausnutzen könnte und von außen unterstützt.

Aber für die Demonstranten auf den Straßen Teherans sind die Knüppel der Polizei näher als die CIA-Pläne.

Das ist richtig, und das ist auch das Tragische an der Situation. Aber trotzdem darf man bei der Beurteilung die globalen Kräfteverhältnisse nicht außer acht lassen. Wenn man politisch in einem Spannungsfeld agiert, wo man ein antiimperialistisches Regime hat, das dem Druck des Westens ausgesetzt ist, dann muß man klarmachen, wenn man sich gegen dieses Regime stellt, daß man zuerst gegen die westliche Aggression ist, daß man zuvorderst die nationale Souveränität fordert. Das ist die Eintrittskarte, um überhaupt Legitimität zu haben, auch gegenüber den Massen im eigenen Land.

Die Ereignisse im Iran könnten auch für die gesellschaftliche Entwicklung in den arabischen Staaten von Bedeutung sein. Welcher Seite gehören Ihrer Meinung nach die Sympathien der arabischen Straße?

Ich glaube durchaus, daß zumindest Teile der arabischen Bevölkerung mit der iranischen Straßenbewegung sympathisieren. Denn gerade die arabische Welt braucht dringend mehr demokratische Freiheiten. Wobei die Reaktion auf solche Bestrebungen, die konfessionelle Mobilisierung gegen die Islamische Republik, nicht zu unterschätzen ist. Man hat das erst vor kurzem wieder im Libanon gesehen, wie stark dieses Gift wirken kann. Es gibt bei den Arabern aber auch Sympathien für Ahmadinedschad. In der arabischen Welt fällt freilich – im Gegensatz zum Iran – der antiimperialistische mit dem demokratischen Impuls zusammen. In diesem Zusammenhang muß auch die ambivalente Politik des Iran im Irak erwähnt werden, wo er die von den USA installierte Regierung unterstützt, sie in der Folge aber auch unter seinen Einfluß gebracht hat.

Das ist doch keine Nebensache, Teheran hat hier offensichtlich und ohne Rücksicht proimperialistisch agiert. Die sektiererische Gewalt infolge der US-Invasion im Irak hat Tausende Menschen das Leben gekostet.

Global sind wir mit einer Situation konfrontiert, in der der Antiimperialismus nicht universalistisch auftritt, sondern oft kulturalistisch und partikularistisch oder auch sektiererisch und konfessionell. Das gleiche Problem gibt es im Libanon, wie man bei den letzten Wahlen gesehen hat. Besonders tragisch war es im Irak, wo vom Iran tatsächlich die von den USA eingesetzte Regierung unterstützt wurde. Doch wenn man Iran beurteilen will, muß man auch anerkennen, daß Hamas, Hisbollah und andere Widerstandsbewegungen der Region unterstützt werden. Das ist meines Erachtens dominant gegenüber der negativen Wirkung im Irak. Aber leider ist es so, daß der konfessionelle Aspekt von dieser Form des Antiimperialismus nicht wegzudenken ist.

Zur Überraschung und auch zum Entsetzen vieler Linker wird Iran von Venezuelas Präsident Hugo Chávez unterstützt…

...und nicht nur von diesem. Selbst Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva verwahrte sich gegen die Angriffe auf Teheran nach den Wahlen am 12. Juni. Ebenso China, Rußland und alle zentralasiatischen Republiken. Jeder Staat, der irgendwie Interesse hat, die westliche Dominanz zu verringern, ist auf der Seite der Regierung Ahmadinedschad.

Was läßt sich über das westliche Verhalten sagen?

Der Westen hat über die Islamische Republik einen ideologisch-medialen Belagerungszustand verhängt. Über einen invertierten, falschen Antifaschismus wird deren antiimperialistischer Widerstand hitlerisiert. Mit dem Feindbild Islam läßt sich eine geschlossene antiiranische Aggressionsfront von links bis ganz rechts herstellen. Letztlich geht es darum, das von den USA geführte, in die Krise geratene kapitalistische Weltsystem durch imperiale Kriege nach außen und Autoritarismus nach innen zu sichern. Feind Nummer eins ist dabei der Iran.

Sie sagten eingangs, die von der iranischen Opposition vorgetragenen Forderungen nach Demokratie und Ausweitung der politischen Freiheiten im Land seien unterstützenswert. Wie kann linke Solidarität mit dem Iran bzw. der iranischen Bevölkerung konkret aussehen?

Wesentlich ist, die Verbindung zu schaffen zwischen der Verteidigung der nationalen Souveränität und der Forderung, die demokratischen und kulturellen Freiheiten auszubauen. Das würde letztendlich dem Regime im Sinne der Gramsci-Idee von Hegemonie nutzen, die Unterstützerbasis zu erweitern. Es hat ja das Problem, mit seiner rigiden Haltung in der Kulturfrage den Mittelstand, die gebildeten Schichten abzustoßen. Letztlich müssen das aber iranische oder Kräfte der Region leisten.

Wir hier müssen vorrangig die extreme Doppelmoral aufzeigen. Man braucht nur nach Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate schauen. Aber nur diejenigen, die sich gegen den Westen auflehnen, werden als große, schlimme Diktaturen bezeichnet. Oder nehmen Sie Honduras. Der Staatsstreich gegen den linken Präsidenten in Tegucigalpa findet im Vergleich zum Iran-Dauerfeuer in den hiesigen Medien doch allenfalls in den Randspalten Erwähnung.

Willi Langthaler ist Sprecher der Antiimperialistischen Koordination (AIK) in Wien
Interview: Werner Pirker / Rüdiger Göbe
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http://www.jungewelt.de/2009/07-06/015.php