"Saddams Säbelrasseln"

22.05.2002

Anmerkungen zum ORF-Beitrag von Gerhard Tuschla über die aktuelle Lage im Irak

Ein Fernsehteam für den ORF besuchte mit der Solidaritätsdelegation den Irak, um die Stimmung im Land angesichts der offenen Kriegsdrohungen der USA einzufangen. Wir wussten natürlich, dass ORF-Journalisten einen äußerst beschränkten Handlungsspielraum haben, aber die Intention des verantwortlichen Journalisten erschien uns seriös. Er wollte einen Lagebericht aus dem Land, aus dem Blickwinkel von den Menschen, die unter dem jahrelangen Embargo des Westens leiden und nun mit einem neuerlichen Großangriff rechnen müssen, machen.
Die Bilder aus dem Irak, aus den Krankenhäusern oder Schulen, könnten für sich sprechen, dachten wir. Mehr nicht. Wir wurden eines Besseren belehrt. ORFJournalist bleibt ORF-Journalist, auch wenn er sich als "linker Journalist" anbiedert um die Gelegenheit einer billigen Irakreise nicht zu versäumen.
Der Bericht von Gerhard Tuschla ist ein Skandal! Er ist ein Skandal, weil gelogen wird. Er ist ein Skandal, weil die Gastfreundschaft, die auch diesem Journalisten zuteil wurde, mit Füssen getreten wird. Schamlos wurden die Möglichkeiten, die im Rahmen der Solidaritätsdelegation geboten wurden, ausgenützt, um sie dann in dreckiger Manier gegen das irakische Volk zu verwenden.
"Saddams Säbelrasseln" als Titel lässt Böses ahnen. Wer erklärt wem den Krieg? Der ausgehungerte Irak, in dem jahrelang UNO Waffeninspektoren dafür sorgten, dass das militärische Potential des Landes vernichtet wird, oder die aggressiven USA, die in ihrem "Feldzug gegen das Böse" Länder bombardieren und in die Knie zu zwingen sucht, die sich ihrer Weltodnung nicht unterordnen? Im Titel wird die Welt auf den Kopf gestellt, das Opfer wird zum Kriegstreiber.
Folgerichtig heißt es im Bericht dann auch, dass "bisher nur 7000 amerikanische und britische Soldaten im Einsatz (stehen). Die Planspiele der Amerikaner sind also vorerst noch theoretischer Natur." Zynischer geht es wohl nicht mehr. Abgesehen von den massiven Kriegsdrohungen einer Macht, die gerade erst in Afghanistan gezeigt hat, dass ihre Bomben als "praktische Konsequenz" ihren "theoretischen Kriegsdrohungen" folgen, herrscht seit dem Golfkrieg im Irak Krieg – nicht theoretisch, sondern in fataler Weise praktisch. Den "low-intensity"-Krieg mit ständigen Angriffen besonders im Süden des Landes gibt es seit 1991 bis heute! Hätte Herr Tuschla Augen und Ohren auch für Informationen aufgemacht, die in sein vorgefasstes Konzept nicht ganz hineinpassten, hätte er in der Stadt Basra und Umgebung diese Tatsache auch ganz praktisch gesehen. Dann wäre auch für ihn irgendwie verständlich, warum der "amerikanische Feind nach wir vor (!) symbolisch mit Füßen getreten wird". Er ist noch präsent, Herr Tuschla! Er ist eine Realität und kein Propagandamittel des irakischen Regimes, wie es der ORF-Bericht vermitteln will.
Was wollte Herr Tuschla sehen? Ein erstarrtes Volk, das sich unter der Herrschaft Saddam Husseins nicht rühren kann. Um dieses Bild zu vermitteln, sind nicht nur Verzerrungen sondern glatte Lügen recht. So heißt es im Beitrag: "In der Saddam-Hussein-Volksschule für Mädchen in Basra ... huldigen die 6-10jährigen Kinder ihrem Präsidenten. In den Klassenzimmern wird für den erwarteten Angriff der USA geübt. Die Kinder verstehen den Ernst der Lage nicht. Während des Golfkriegs 1991 waren sie noch nicht geboren. ... Unter Aufsicht militärischer Obrigkeit stimmt die Direktorin ihre Schülerinnnen in auswendig gelernte Phrasen ein.". Das sind glatte Lügen und wiederspiegeln eine Sichtweise von Menschen, in der Menschen gar nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden. Ich war auch in dieser Schule, die übrigens nicht "Saddam-Hussein-Volksschule", sondern "Nabaha-Volksschule" heißt. Im Fernsehbericht muss sie wohl "Saddam-Hussein-Volksschule" heißen, damit das Bild "Irak ist gleich Saddam Hussein" wo immer es geht, vermittelt wird. Ich habe in der Schule Kinder kennengelernt, keine ferngesteuerten Roboter. Diese Kinder reagierten, wie Kinder eben reagieren. Manche schauten uns vorerst mit Misstrauen an, andere begannen zu weinen, als sie die Kameras auf sich gerichtet sahen. Nachdem wir den Kontakt hergestellt hatten (und das sollte wohl das Mindeste sein, bevor wir wie Tuschla und Kameramann mit der Kamera auf Menschen losgehen), waren sie ganz normale Kinder. Sie wollten erzählen, sie drängelten, sie präsentierten ihre Englischkenntnisse, sie wollten fotografiert werden und sie sangen ihre eingelernten Lieder. Dazu brauchten sie nicht die Anweisungen der Direktorin, die übrigens auch nicht "unter militärischer Obrigkeit" ihr Interview gab. Ob die Kinder den Ernst der Lage verstehen, wenn sie ihre Lieder gegen den Feind singen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass der Krieg in Basra noch immer die Realität ist, mit der die Kinder aufwachsen. Vielleicht würde Herr Tuschla öfters einmal auch die Bundeshymne singen, wenn Österreich jahrelang gedemütigt und bombardiert würde.
Der Besuch der Synagoge in Bagdad ist ein weiteres eklatantes Bespiel journalistischer Verdrehung. "Hinter hohen Mauern verborgen, die Synagoge in Bagdad. Nur eine Handvoll irakischer Juden gibt es noch. Wir dürfen sie abfilmen, aber sie müssen schweigen."
Hinter hohen Mauern verborgen? Hoch waren die Mauern nicht – es war ein unauffälliges Gebäude ohne besondere Sicherheitsmaßnahmen. Aber sie muss wohl verborgen sein, damit der Kontext für die Handvoll Juden, die es noch gibt, stimmt. Im Kontext der hohen Mauern kann der Zuseher oder Leser nur schlussfolgern, dass die Juden im Irak Opfer von Verfolgungen dort sind. Was die Juden in der Synagoge uns allerdings erzählten war, dass der israelische Druck auf sie nach der Staatsgründung 1948 so groß war, dass viele in den Jahren danach auswanderten. Weiters erzählten sie uns, dass sie als Iraker und Juden im Irak leben wollten und deshalb auch keine Beziehungen zu Israel hätten. Soviel zu "sie mussten schweigen". Waren Herr Tuschla und wir an zwei verschiedenen Orten?
Im Saddam-Hussein-Kinderkrankenhaus fehlt das Geld für Medikamente. Dort, als auch im Kinderkrankenhaus in Basra, wurden uns die verheerenden Folgen des Embargos geschildert. Dass das Embargo die Kinder umbringt, weil die Medikamente fehlen, wird nicht nur von den irakischen Ärzten sondern mittlerweile in internationalen Gremien festgestellt. Das wäre auch im ORF leicht unterzubringen gewesen, sozusagen als humanitäre Katastrophe. Stattdessen wird von jemandem, der das Leiden der Kinder mit eigenen Augen gesehen hat, das dubiose Gerücht verbreitet, dass das Regime statt die Krankenhäuser zu finanzieren "lieber 25.000 Dollar für jede Familie eines palästinensischen Selbstmordattentäters bezahlt". Damit schafft es Herr Tuschla sogar, einen etwaigen Ansatz des Mitgefühls mit den schwerkranken und sterbenden Kindern und Gedanken über die Folgen des Embargos gar nicht aufkommen zu lassen.
Im Amariya-Bunker in Bagdad wurden 1991 410 Zivilisten durch amerikanische Bomben ermordet. Der Bunker war kein militärisches Objekt, sondern Zufluchtsort für die Menschen des Wohnviertels. Tuschla zeigt nicht einmal soviel Respekt vor den Toten, dass er dieses Faktum einfach für sich sprechen lässt. Vielleicht hätte der eine oder der andere Zuseher sich doch fragen können, warum 410 unschuldige Opfer im Irak im Vergleich zu unschuldigen Opfern des Angriffs auf das World Trade Center so gar nicht als menschliche Tragödien gelten. Das Pentagon hat die Bombardierung als "Fehler" zugegeben, während Herr Tuschla in braver ORF-Manier die ursprüngliche, längst überholte Erklärung der USA, die Zivilisten wären als menschliche Schutzschilder für eine Militärzentrale vom irakischen Regime missbraucht worden, heute noch verbreitet.
Und Herr Tuschla weiß, "dass im Reich Saddams besser schweigt, wer überleben will. ... Nur Huldigungen des Präsidenten sind zugelassen." Die Beobachtungsgabe, die er schon in der Schule in Basra gezeigt hat, lässt für ihn nur diese Schlussfolgerung zu. Wir alle haben in der kurzen Zeit im Irak nur Momentaufnahmen der Menschen erlebt. Diese waren vielfältig, jedoch viel zu wenig, um derartig arrogante allgemeine Aussagen, wie sie Tuschla im ORF-Bericht präsentiert, zu machen.
Mit genügend Aufgeschlossenheit für die Menschen, konnte man die Iraker auch so erleben. Man wurde mitten auf der Straße umarmt, weil sich jemand freute, dass sich Ausländer aus dem Westen ins "Reich des Bösen" wagten, aus vielen Autos wurde uns freudestrahlend zugewinkt, Menschen wollten offen und neugierig wissen, woher wir kommen und nickten zustimmend, wenn sie erfuhren, dass unser Besuch als eine symbolische Stimme gegen den drohenden Krieg gedacht war. Und wenn die Iraker stolz sagen, dass sie sich von den Amerikanern nicht unterkriegen lassen werden, sind das Stimmen von Menschen, die schon jahrelang unter internationaler Isolierung und Krieg leiden. Im Irak leben Menschen, die trotz Elend und Leid Lebensfreude, Stolz und den Willen, nicht in einer Kolonie des Westens leben zu wollen, vermitteln. Das sind sie auch – die Iraker. Sie kommen im ORF-Bericht nicht vor. Für diesen Bericht hätte Herr Tuschla nicht in den Irak reisen brauchen. Ein paar Archivbilder und die herrschende undifferenzierte Sichtweise "Irak ist gleich Saddam Hussein" hätten gereicht.

Elisabeth Lindner-Riegler
(Aktivistin der AntiimperialistischenKoordination in Wien)