Wie erleben Katholiken die Kriegsdrohungen?

22.05.2002

"Interview mit Jean Sleiman, Erzbischof von Bagdad

Wie ist angesichts der anhaltenden Kriegsdrohungen gegen Irak die Stimmung in Ihrer Gemeinde?
Viele haben Verwandte in den USA. Man telefoniert miteinander. Viele Iraker in Amerika schicken ihren Verwandten Geld, damit sie hier über die Runden kommen. Damit bekommen sie auch aus erster Hand Informationen über die US-Politik. Doch es ist schwierig. Die Nachrichtenlage ändert sich von Tag zu Tag. Mal gibt es enorme Kriegsdrohungen, dann werden sie wieder relativiert. Viele sind verunsichert und haben Angst. Und wenn Sie sich die Häuser hier in Bagdad anschauen, dann sehen Sie: Die sind nicht gebaut für amerikanische Bomben. Das Grundwasser steht sehr hoch, so dass die Häuser keine Keller haben, die als Schutzräume dienen könnten. Die Menschen haben wirklich Angst. Durch die Gebete und die Gemeinschaft können sie diese für kurze Zeit vergessen.
Was hält die katholische Kirche vom UN-Embargo?
Wir haben uns immer sehr deutlich gegen das Embargo ausgesprochen. Die Sanktionen müssen aus humanitären Gründen sofort aufgehoben werden. Das hat auch Papst Johannes Paul II. wiederholt gefordert. Die Sanktionen richten sich in aller erster Linie gegen die armen Leute, die Reichen kommen irgendwie durch oder können das Land verlassen. Die Armen sind die Hauptleidtragenden.
Wir lehnen das Embargo auch ab, weil hier…­zulande der Eindruck entsteht, als seien das christliche A…­me…­rika und das christliche England gegen den islamischen Irak. Das macht natürlich Probleme für die christliche Gemeinde hier, es entsteht eine Ablehnung uns gegenüber. Dabei sind alle, Christen wie Muslime, vereint gegen das Embargo. Darüber hinaus hält sich die Kirche aber aus der Politik heraus.
Im Irak leben etwa 5000 Katholiken. Wird diese Minderheit verfolgt oder unterdrückt?
Von staatlicher Seite auf gar keinen Fall. In der letzten Woche hatten wir von Palmsonntag bis Ostersonntag jeden Tag ein bis zwei Messen. Nicht nur Katholiken kommen in unsere Maria-Joseph-Kirche, alle Christen kommen. Katholiken gehen umgekehrt auch in andere Kirchen. Das ist im Irak so üblich. Wir alle sind schließlich eine kleine Minderheit. Eine Messe zur Auferstehung Christi wurde in Lateinisch gelesen. Die Plätze in unserer Kirche reichen gar nicht aus für all die Gläubigen, die an solchen Feiertagen kommen. Den Kreuzweg am Karfreitag gingen wir aber in unserem Garten hinter der Kirche. Die Kriegsdrohungen aus dem "christlichen Amerika" und "christlichen England" und das andauernde Embargo rühren natürlich an den Nerven der einfachen Menschen. Aus Sicherheitsgründen wollten wir unsere Prozession daher nicht auf den Straßen Bagdads abhalten, nicht aber, weil uns dies verboten wäre.

Rüdiger Göbel, junge Welt, 3. April 2002