Israelisch-palästinensischer Konflikt

22.05.2002

Interview mit Naji Gabriel Jacob (68), Leiter der Synagoge in Bagdad

Wie groß ist die jüdische Gemeinde in Bagdad?
Wir haben nur noch knapp 60 Mitglieder. Einige von ihnen leben außerhalb der irakischen Hauptstadt. Früher war die Gemeinde viel, viel größer. Doch Israel hatte bereits in den fünfziger, sechziger Jahren viele Juden zum Verlassen des Irak aufgefordert. Diejenigen, die jetzt noch hier leben, sehen sich als Iraker und wollen deshalb hier bleiben. Die meisten von uns sind allerdings auch schon sehr alt.
Sie sagen, Israel hat die Juden im Irak früher zur Ausreise aufgefordert. Hat Ihre Gemeinde heute Kontakte zu Israel?
Nein, die gibt es nicht, und wir wollen sie auch nicht. Unser Leben hier als Juden ist vom israelisch-palästinensischen Konflikt nicht betroffen. Wir haben damit nichts zu tun. In erster Linie fühlen wir uns als Iraker, so wie auch Muslime und Christen Iraker sind.
Gibt es Konflikte zwischen den verschiedenen Religionsgruppen oder eine Verfolgung der jüdischen Gemeinde?
Es gibt keinen Unterschied zwischen den Religionen. Juden, Christen, Schiiten, Sunniten – sie alle machen das irakische Volk aus. Wir sind eins.
Wir haben unsere religiösen Freiheiten im Irak. Wir kommen jeden Sonnabend in unserer Synagoge zusammen, um zu beten. Das ist alles und hat mit Politik nichts zu tun.
Was hält die jüdische Gemeinde im Irak vom UN-Embargo?
Das Embargo ist natürlich nicht in Ordnung. Es ist mörderisch und richtet sich gegen die gesamte Bevölkerung. Ich möchte Ihnen aber sagen: Alles was gegen den Irak gerichtet ist, neue Bombardierungen wie Sanktionen, richtet sich auch gegen uns Juden hier – weil auch wir Juden im Irak Iraker sind.

Rüdiger Göbel, junge Welt, 10. April 2002