"Sollen sie an ihrer Wut ersticken"

25.06.2006

Eskalationsspirale dreht sich: Die Logik des US-Reichs zwingt zur Aggression gegen den Iran, die Kraftprobe ist für dieses indes brandgefährlich wie nie zuvor

Man fühlt sich unweigerlich an die mediale Kriegsvorbereitung gegen den Irak erinnert. Damals waren es die angeblichen Massenvernichtungswaffen, die als Vorwand dienten. Doch jeder wusste, dass es in Wirklichkeit nur um eines ging: "regime change", das heißt die Einsetzung eines Washington genehmen Marionettenregimes in Bagdad.

Heute stellt sich die Eskalation gegenüber dem Iran nicht anders dar. Argument sind diesmal wieder Massenvernichtungswaffen, nämlich atomarer Art. Auch diese gibt es nicht, doch die USA wollen präventiv vorgehen, dem Iran jede Möglichkeit der erfolgreichen Selbstverteidigung gegen ihre imperiale Übermacht nehmen.

Der Atomstreit

Die amerikanisch kontrollierte Medienmaschine versucht der öffentlichen Meinung weiszumachen, dass der Iran seinen Verpflichtungen als Signatarstaat des Atomwaffensperrvertrags nicht nachkommen würde und überdies eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit sei, so wie seinerzeit der Irak.

Doch die Tatsachen sprechen eine ganz andere Sprache. Das iranische Argument, dass die zivile Nutzung der Atomenergie einschließlich des gesamten nuklearen Zyklus ein durch den Sperrvertrag ausdrücklich zugestandenes Recht sei, ist schlicht und einfach richtig. Das US-amerikanische Vorgehen bereits die zivile Nutzung der Atomenergie zu unterbinden, um so dem Iran von vornherein eine potentiell mögliche militärische Nutzung zu verwehren, entbehrt jeder völkerrechtlichen Grundlage.

Umso erstaunlicher oder bezeichnender ist es, dass es die gleichgeschalteten Medien geschafft haben, der Weltöffentlichkeit in ihrer großen Mehrheit einzureden, dass der Iran und nicht die USA und ihre Verbündeten vertragsbrüchig seien. Im Gegensatz zur aufziehenden Aggression gegen den Irak gibt es keine kritische Stimme und auch die europäischen Mächte, allen voran die EU-3 Deutschland, Frankreich und England, lassen sich voll vor den amerikanischen Karren spannen. Ebenso die UNO und ihre Atomenergiebehörde IAEO. Sie hat den Fall bereits an den Sicherheitsrat überwiesen genau so wie es Washingtons Eskalationsplan vorsieht, wozu es formal-rechtlich keinerlei Anlass gibt.

Zum wiederholten Male sei auch hier drauf hingewiesen, wie lächerlich die Versuche er USA sind ihre Großmachtinteressen mit rechtlichen oder moralischen Argumenten zu decken. Gegenüber dem aggressivsten Staat der Region, von dem die Hauptgefahr für den Frieden ausgeht, nämlich Israel, lassen sie nicht nur den Besitz von Atomwaffen und den Bruch sämtlicher UNO-Entschließungen gewähren, sondern sie überschütten ihn mit aller nur erdenklichen Unterstützung.

Atomwaffen und das Amerikanische Reich

Indes liegt im aggressiven Vorgehen der USA durchaus Rationalität, nämlich jene des Empires. Die amerikanische Weltherrschaft ist wesentlich auf die überwältigende Macht ihrer Militärmaschine gestützt, für die ihre militärtechnologische Überlegenheit wiederum eine hervorragende Rolle spielt. Um ihr Reich zu festigen und auszubauen, müssen sie den durch die "militärtechnologische Revolution" der 90er Jahre erreichten Abstand halten und vergrößern.

Allein die Möglichkeit, dass ein Schurkenstaat, also eine Regierung, die nicht völlig unter dem Kommando Washingtons steht, in den Besitz von Atomwaffen kommen könnte, lässt die Imperatoren erzittern und potentielle Feinde aufhorchen. Die militärische Omnipotenz der USA, der entscheidende Faktor für die Stabilität des kapitalistischen Weltsystems, steht auf dem Spiel.

Nicht, dass iranische Atomwaffen eine direkte Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten wären, doch sie erlaubten dem Iran zumindest eine wirksame Abschreckung, erhöhten seine Verteidigungsfähigkeit und damit seine Souveränität gegen neokoloniale Beherrschung.

Warum ist der Iran ein Schurkenstaat?

Die Neokonservativen sprechen offen aus, was das US-Regime denkt: regime change! Doch warum eigentlich handelt es sich in der amerikanischen Perzeption um einen Schurkenstaat. Für die Öffentlichkeit mag ins Treffen geführt werden, dass es sich um eine Diktatur des Klerus handle. Doch anderswo hat das die USA kaum gestört. Solange Diktaturen den US-Interessen dienen und stabil sind - und mögen sie noch so klerikal sein - stellen sie nicht das geringste Problem dar.

Große Teile der exilierten iranischen Linken sprechen nicht nur von einem klerikalfaschistischen, sondern auch durchwegs kapitalistischen Regime das in keinerlei Gegensatz zu Washington stehe. Auch der irakische Widerstand versichert das immer wieder.

So sehr diese Sicht der Dinge verständlich sein mag - hinsichtlich der iranischen Linken wegen der tödlichen Massenrepression gegen sie, hinsichtlich des irakischen Widerstands wegen der iranischen Unterstützung für das Marionettenregime in Bagdad -, so sehr widerspricht sie der offensichtlichen Realität.

Solange die sogenannten Reformer um Mohamed Khatami an der Macht waren, hoffte man in Washington tatsächlich auf eine proimperialistische Normalisierung mittels Zuckerbrot und Peitsche. Das hieß keineswegs, dass man den Ayatollahs über den Weg traute, doch man meinte einen Regimewechsel ohne militärisches Eingreifen bewerkstelligen zu können.

Denn sosehr sich eine kapitalistische Wirtschaftselite im Klerus formierte, ihren Einfluss auf den Staatsapparat Schritt für Schritt ausdehnte und Bande mit dem Imperialismus knüpfte, so war das Regime dennoch aus einer antiwestlichen Revolution der Massen hervorgegangen. Gegenüber der Machtergreifung der Linken erschient Ayatollah Khomeini den Weltenlenkern in den westlichen Staatskanzleien zwar als kleineres Übel, aber als Übel allemal. Immerhin wurde die um den Schah Pahlevi gruppierte Oligarchie zerschlagen und die Massen erstrebten echte soziale, politische und kulturelle Veränderungen zu ihren Gunsten. Der persische Nationalismus und Antiimperialismus hatte - unter islamischen Vorzeichen - seine Kraft und seinen Einfluss in den Volksmassen unter Beweis gestellt. So sehr der Klerus die Massen kontrollierte und dämpfte und so sehr die zu einem Gutteil mit den Klerus verbundene Wirtschaftselite den Ausgleich mit dem Westen suchte, so spürte letzterer doch intuitiv, dass die Glut der Revolution noch nicht ganz erloschen war.

Alarmsignal Ahmadinejad

Und in der Tat sollte sich im Wahltriumph Mahmoud Ahmadinejads alsbald bestätigen, dass das antiwestliche und nach sozialer Gerechtigkeit verlangende Moment in den iranischen Volksmassen überlebt hatte und nach dem Scheitern der Reformer neu entfacht wurde. Selbst die westliche Medienmaschine konnte nicht verschleiern, dass der Wahlsieg Ahmadinejads nicht allein Ausdruck eines fortexistierenden Fundamentalismus sei, sondern der Kampagne für die Interessen der Armen sowie der antiimperialistischen Rhetorik geschuldet ist. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Tatsache, dass der Fundamentalist Ahmadinejad als einer der wenigen Politiker kein Kleriker ist, der Journaille so unverdaulich erschien, dass sie es geflissentlich unter den Tisch fallen ließ.

Für Washington entlud sich das Ergebnis wie ein unerwartetes Gewitter über ihren Köpfen. Alle hatten sie nicht nur auf den reichsten Mann des Irans und Führer des pragmatisch-kapitalistischen Flügels, Ayatollah Akbar Hashemi Rafsanjani, gesetzt, sondern auch fest mit seinem Sieg gerechnet. So läuteten die Alarmglocken, die dem vorsichtigen Annäherungspolitik ein jähes Ende bereiteten und der gegenwärtigen aggressiven Linie den Weg freimachten.

Fraktionismus

Über die realen Machtverhältnisse in Teheran sagt der Wahlerfolg Ahmadinejads indes wenig aus. Einer der ersten Maßnahmen der höchsten Autorität im Staat, Ayatollah Chameini, nach den Wahlen war es, dem Schichtungsrat, der zwischen religiöser Führung, Wächterrat und Parlament vermitteln soll, Machtbefugnisse auch über den Präsidenten einzuräumen. Es kann kein Zufall sein, dass zum Vorsitzenden des Schichtungsrates ausgerechnet Ayatollah Rafsanjani, der Gegenspieler von Ahmadinejad, bestellt wurde, der somit zur Nr. 2 des Regimes noch vor dem neuen Präsidenten aufrückte.

Gegen die Gruppe von Ahmadinejad gibt es im klerikalen Machtgefüge starke Bedenken. Der Präsident steht der Hojjatieh-Strömung nahe, einer eschatologischen schiitischen Sekte, die das Prinzip von vilayat-e fakih, der Herrschaft der Rechtsgelehrten, ablehnt. Letztere stellt das Kernstück der Lehre des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini dar und dient der Islamischen Republik als theologisches Unterfutter. Die Hojjatieh lehnte jede weltliche Macht, also auch jene von Khomeini etablierte, bis zur Rückkehr des entrückten zwölften Imam ab. Darum wurde sie in den 80er Jahren verboten.

Zumindest Ahmadinejad muss die Opposition gegen die staatliche Macht aufgegeben haben, sonst hätte er nicht zum Präsidenten der Republik kandidieren können. Durch ihre Zerschlagung wurde die Bewegung zwar organisatorisch geschwächt, aber nicht ausgelöscht. Als religiöser Führer der Bewegung gilt heute Ayatollah Mesbah-Yazdi.

Ursprünglich richteten sich die Anhänger der Sekte vor allem gegen die Bahais, eine Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene aufklärerische Abspaltung des Schiitismus, die die Einheit aller Religionen predigt. Heute sind die Bahais allerdings radikale Prowestler. Die Hojjatieh wurde aber auch mit einem radikalen Zelotismus gegen Sunniten und Linke in Verbindung gebracht, der durch ihre Verankerung in paramilitärischen Apparat sehr bedrohlich erschien.

Während sich Ahmadinejad im Atomstreit eines breiten Konsenses in der ganzen Gesellschaft sicher sein kann, scheint das für seine radikale Rhetorik gegen Israel und den damit verbundenen verbalen Konfrontationskurs gegen den Westen nicht der Fall zu sein. Das Establishment hat gerade auch wegen dem Bestehen auf das Atomprogramm ein Interesse an Deeskalation. Eine Interpretationsmöglichkeit für diese Diskrepanz könnte darin bestehen, die Verbalattacken gegen Israel als Versuch Ahmadinejads zu deuten seiner institutionellen Schwäche mittels der Anrufung der nach wie vor antiimperialistisch gesinnten armen Massen auszugleichen. Wobei hinzuzufügen ist, dass der verbale Antizionismus in der gesamten islamischen Welt ein beliebtes Mittel zur Beruhigung der Massen ist, während realpolitisch die Beziehungen zur USA und indirekt zu Israel gepflegt werden. Im iranischen Fall scheint vor allem auch die westliche Medienmaschine mit Akribie nach solchen Äußerungen zu suchen, während sie diese bei prowestlichen Regimen geflissentlich verschweigt.

Das herrschende Establishment selbst ist jedoch keineswegs einheitlich. Das iranische politische System zeichnet sich durch einen intensiven und schwer durchschaubaren Fraktionismus aus, der den Ausgleich der Interessen gewährleistet und dem die relative Stabilität zu verdanken ist. Klar erkennbar sind neben jener Ahmadinejads indes drei Tendenzen.

Einerseits sucht die im Klerus fest verankerte kapitalistische Elite eine vorsichtige Eingliederung in die Weltwirtschaft und einen Ausgleich mit dem Westen. Sie will dabei jedoch keineswegs das klerikale Regime stürzen, sondern die antiimperialistischen und sozialen Momente zurückdrängen. Ihr bekanntester Exponent ist Ayatollah Rafsanjani.

Andererseits sind da die liberalen Reformer. Sie stützen sich auf die städtischen Mittelschichten, die sich an den kulturellen Restriktionen stoßen, die mehr westliche Kultur wollen und die nach bürgerlicher Demokratie streben. Obwohl ihre Exponenten ebenso aus dem Klerus stammen, tendiert die Basis zur Überwindung des islamischen Systems überhaupt. Ihre Niederlage bei den Wahlen hängt damit zusammen, dass die Führung letztlich die Islamische Republik stabilisieren und nicht abschaffen will. Eventuelle Unterstützer in den Unterschichten haben sie dadurch verprellt, dass sie im Block mit der kapitalistischen Elite die soziale Schere haben aufgehen lassen. Auch für sie heißt ganz nach der amerikanischen Formel mehr demokratische Freiheit mehr Markt.

Dann wären da noch die sogenannten Konservativen, die mit Ayatolloh Khameini das Zentrum und den obersten Schlichter stellen. Entgegen der äußeren Erscheinung sind sie fest mit der kapitalistischen Elite verbunden, die aus ihrer Mitte stammt. Außerdem dürfte die Bazar-Handelsbourgeoisie, die als wesentliche sozialpolitische Kraft hinter den Islamisten deren Sieg über die Linke während der Revolution 1979 ermöglichten, nach wie vor hinter diesen Zentrumskonservativen stehen - wenn auch durchaus geschwächt. Doch die Vorsicht gegenüber dem neuen Präsidenten zeigt, dass auch diese Gruppe, ebenso wie alle anderen, nicht geschlossen ist, sondern fließende Übergänge bestehen.

US-Strategie

Nach dem Wahlsieg Ahmadinejats hat man in Washington ganz offensichtlich die Strategie der langsamen inneren Transformation des Systems hin zum Westen ad acta gelegt. Wieder einmal haben sich die Neokonservativen durchgesetzt. Die USA dreht systematisch die Spirale der Eskalation, wobei sie jedoch ihre eigene diplomatische Isolation, wie sie gegen den Irak in der Hybris der Allmacht riskiert wurde, zu vermeiden versucht. Daher wird Schritt für Schritt vorgegangen, die öffentliche Meinung präpariert, die Medien gleichgeschaltet sowie die Verbündeten nicht nur eingebunden, sondern wie die EU-3 zeigen, sogar vorgeschickt.

Trotz des Geredes von "smart sanctions" und ähnlichem bleibt im Zentrum der Drohung der Einsatz der US-Armee gegen den Iran. Bush und seine zweite Reihe werden nicht müde bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass alle Optionen offen blieben, einschließlich der militärischen.

Doch selbst den aggressivsten Kriegstreibern leuchtet ein, dass die Eroberung des Irans mit einer anschließenden Besatzung wie beim westlichen Nachbarn die Kraft der bereits mit dem Irak überbeanspruchten US-Militärmaschine weit übersteigt ergo unmöglich ist. Das heißt aber keineswegs, dass sie nicht zum Einsatz kommen kann.

Das wahrscheinlichste Szenario ist die "air campaign" wie gegen Jugoslawien, die auch die technologische Überlegenheit der USA am wirkungsvollsten auszuspielen vermag. Das Bombardement der Atomanlagen mag als Vorspiel und Test dienen, kann aber alleine genommen wenig bewirken. Im Gegenteil könnte es politisch viel wahrscheinlicher die antiamerikanischen Kräfte im Iran stärken und zu einem nationalen Schulterschluss führen.

Hinzu kommt die äußert brisante Frage des Einsatzes von taktischen Atomwaffen, den sogenannten "mini nukes". Von allen Militärkommentatoren ist zu vernehmen, dass nur diese eine wirksame Zerstörung der gut geschützten und tief eingegrabenen Produktionszentren herbeiführen können. Auf der einen Seite bräche der schon im Kalten Krieg angedachte Einsatz von kleinen Nuklearwaffen ein von der Linken und Friedensbewegung in den 70er und 80er Jahren aufgerichtetes Tabu, der den atomaren Massenmord von Hiroshima und Nagasaki in Erinnerung riefe. Dies könnte die öffentliche Meinung im Westen und insbesondere in Europa gegen den Krieg aufbringen und die Pro-US-Regierungen vor Probleme stellen. Auf der anderen Seite wäre es aber auch ein eindrucksvoller Beweis der amerikanischen Skrupellosigkeit, ihre Überlegenheit auch tatsächlich einzusetzen. Wie die verbrecherischen Bombenabwürfe über Japan käme es vor allem auf die politische Wirkung der Abschreckung jeglichen Widerstands gegen das US-Reich an.

Das eigentliche Ziel des Regimewechsels kann, wenn überhaupt, nur mit einem wochen- oder monatelangem Bombardement aller für das staatliche Funktionieren wichtiger Einrichtungen sowie der glaubwürdigen Androhung von Massenvernichtung gegen die Zivilbevölkerung bewerkstelligt werden. Dieser Luftkrieg würde mit der "Projektion" militärischer Macht von allen Nachbarstaaten einhergehen, in denen sich die USA festgesetzt haben. Und das sind fast alle - angefangen vom Irak, der Türkei über Afghanistan bis hin zu den arabischen Golfstaaten. Lediglich vom Norden her fehlt den USA das Aufmarschgebiet. Doch ginge es nicht um eine große Bodeninvasion, sondern im Falle des Wankens des Regimes um ein schnelles Eingreifen, das einerseits der Islamischen Republik den letzten Stoß versetzen und andererseits die von den USA favorisierten Kräfte an die Macht bringen soll.

Dazu bedarf es einer großangelegten politischen Operation nach serbischem Vorbild, das in der Folge in viele ehemalige Sowjetrepubliken mehr oder weniger erfolgreich exportiert wurde.

Freilich stellen sich die politischen Bedingungen im Iran erheblich anders dar. Im Gegensatz zu den Ex-Sowjetrepubliken hat der Staatsapparat nicht nur einen antiimperialistischen Kern, sondern verfügt, zumal im Kriegsfall, über eine signifikante Unterstützung in den Volksmassen. Wie im Krieg gegen den Irak kann nicht nur mit dem islamischen, sondern auch mit dem in Persien weit über den islamischen Einfluss hinausgehenden nationalen Moment gerechnet werden.

Aber auch die proimperialistischen Kräfte können einiges aufbieten. Ihren Kern stellen die städtischen Mittelschichten mit ihrem Ruf nach Demokratie dar. So sehr die amerikanischen Bomben als Übel empfunden werden würden, so wären sie doch entschieden das kleinere. Auch Teile der kapitalistischen Eliten, selbst jene in enger Verbindung mit dem Klerus oder gar selbst aus diesem stammend, würden den Regimewechsel begrüßen, stellte er sich einigermaßen realistisch dar.

Die tragische Rolle der iranischen Linken zeichnet sich schon ab und könnte jener der irakischen KP ähneln. Anders als im Irak verfügt diese trotz der blutigen Repression über erheblichen Einfluss auf die Arbeiterklasse, die im Gegensatz zum vom UN-Embargo zerrütteten Zweistromland, eine nicht zu unterschätzende politisch-soziale Rolle spielt. Diese steht im wesentlichen schon heute gegen das islamische Regime mit ihrer doppelten Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und Demokratie. Bedeutende Arbeitskämpfe und Streiks erschüttern regelmäßig das Land und werden mit eiserner Hand niedergehalten. Eingedenk der Geschichte und der heutigen Positionen der Linken muss man annehmen, dass sich diese Arbeiterklasse unter Führung der historischen Linken im Konfliktfall nicht auf die Seite des Regimes gegen den Imperialismus stellen würde. Ohne offen für die imperialistische Aggression einzutreten würden die abstrakten Forderungen nach Demokratie jedoch die imperialistischen Interessen befördern und der Einsetzung eines Marionettenregimes à  la Bagdad Vorschub leisten. Um eine selbständige Rolle zu spielen ist die Arbeiterklasse indes politisch entschieden zu schwach - ganz im Gegensatz zur Periode der Revolution von 1979. Die damalige Niederlage muss allein dem Opportunismus der Linken zugeschrieben werden. Die potentielle Kraft zum Sieg hatte sie.

Das entscheidende strategische Problem besteht im Bündnis mit den städtischen und ländlichen Unterklassen, die noch immer einem radikalen politischen Islam anhängen, der in der Arbeiterklasse berechtigterweise seine Anziehungskraft schon verwirkt hat. Es besteht wenig Hoffnung, dass sich die Linke diese Frage überhaupt stellt, geschweige denn zu lösen vermag.

Seitens der USA wird auch an den nationalen Minderheiten gearbeitet werden, die zwischen einem Drittel und der Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen, allen voran die Turk-Völker und die Kurden.

Der Ausgang der Konfrontation kann a priori nicht vorausgesagt werden. Mit Sicherheit handelt es sich um den größten Brocken, den sich das American Empire bis jetzt vorgenommen hat. Doch es gibt eine innere Logik der Macht. Jeder Krieg öffnet neue Konflikte, die ihrerseits neue Machtdemonstrationen und Kriege erfordern. Einen Konflikt zu eskalieren und dann zurückzuziehen, wüchse sich für das US-Reich zu einem Eingeständnis der Schwäche aus, das zu einer Kettenreaktion des Abfalls von Verbündeten und der Entfachung von neuen Widerstandspunkten führen kann. Bereits jetzt ist es so, dass die USA das proklamierte Ziel des regime change in Teheran kaum ohne Gesichtsverlust abblasen können. So nehmen die Dinge ihren Lauf.

Faustpfand Irak

Der verständlichste Einwand gegen die antiimperialistische Position mit dem Iran Seite zu beziehen kommt vom irakischen Widerstand. Dieser führt ins Treffen, dass ohne die iranische Hilfe die US-Besatzung des Iraks nicht möglich wäre. Dieser Vorwurf trifft ins Schwarze. Es sind die iranisch kontrollierten Kräfte des "Hohen Rats der Islamischen Revolution im Irak", die das Marionettenregime stellen und die Schiiten ruhig halten. Über das hinaus begehen sie unverzeihliche Verbrechen nicht nur am Widerstand, sondern auch an der diesen unterstützenden Zivilbevölkerung. Nicht umsonst werden sie nach den US-Schergen in Lateinamerika Todesschwadronen genannt.

Doch die Schlussfolgerung unserer irakischen Freunde, dass angesichts der iranisch-amerikanischen Kooperation im Irak der iranisch-amerikanische Konflikt über die Nuklearfrage nur inszeniert, ein reines Ablenkungsmanöver sei, ist dennoch falsch und kurzsichtig. Richtig mag sein, dass im persischen Verhalten ein Element des expansionistischen Bestrebens einer Regionalmacht, die als einzige in der gesamten Region formal nie unter Fremdherrschaft stand, festzustellen ist. Neben der historischen Feindschaft zu der hinter dem Widerstand vermuteten Baath-Partei handelt es sich beim Irak jedoch um das wichtigste iranische Faustpfand gegenüber Washington.

Die Schwierigkeiten des Schiitenproblems hatten 1991 schon Georg Bush senior beschäftigt. Aus Angst vor der iranischen Machtausdehnung hatte er Saddam Hussein bei der Niederschlagung des schiitischen Aufstands gewähren lassen. Erst nachdem nach dem 11. September aus geostrategischen Überlegungen der Krieg gegen den Irak notwendig geworden war, änderte man die Strategie. Dabei half sicher auch die konziliante Haltung der damaligen Teheraner Führung gegenüber dem Westen. Dennoch traf das ein was des Imperators Vater hintanzuhalten versucht hatte. Der Iran übernahm die Kontrolle über wichtige Teile des Iraks.

Zwar gibt es kein offenes Abkommen zwischen Washington und Teheran, aber durchaus ein stilles. Solange die USA den Iran nicht angreifen, macht dieser gute Mine zum bösen Spiel der Besatzung im Irak. Doch sobald die Gegenleistung entzogen wird, droht Teheran implizit mit dem schiitischen Widerstand im Irak. Muqtada al Sadr, der eigentliche Führer der irakischen schiitischen Massen, hat dies bereits öffentlich angedroht.

Europäische Reue

Hatten Frankreich und Deutschland sich noch gegen die Aggression gegen den Irak gestellt, so lassen sich die großen Drei der EU heute gerne als Rammbock amerikanischer Interessen benutzen. Tatsächlich steht der Aggressionskurs gegen den Iran den wirtschaftlichen Interessen insbesondere Deutschlands diametral entgegen. Es war vor allem die BRD die mit intensivem Handel unter stiller Duldung Washingtons das Land zwischen Elbrus und Golf in den Orbit des Westens ziehen sollte.

Die jähe Kehrtwende der EU-Mächte straft jene Lügen, die die dogmatische These von den sich verschärfenden innerimperialistischen Widersprüchen angesichts der Differenzen über den Irak bestätigt sahen. Tatsächlich standen die deutschen Eliten immer fest an der Seite der USA und Schröders Absetzung von Washington entpuppte sich als billiger Wahlpopulismus ohne Substanz. Zwar liegen die Dinge westlich des Rheins historisch etwas anders, aber scheinbar reduziert sich die Absetzung von Washington in Paris auf besonders aufgeplustertes Drohgehabe, das Frankreich führenden Anteil an einem Kriegszuges suggerieren soll, zu dem die Disproportionalität der Mittel augenfällig ist.

Es liegt auf der Hand: Der Beweis der Unverzichtbarkeit und Zentralität der amerikanischen Militärmacht hat die europäischen Eliten in Form der ostentativen Kriegstreiberei gegen Teheran zu öffentlichen Reuebekundungen veranlasst. Heute ist die gesamte europäische kapitalistische Oligarchie mehr denn je hinter der geballten amerikanischen Militärmacht vereinigt. Ihr Alleingang hat sich nicht ausgezahlt und hat ihm Gegenteil ihrem Abstieg im globalen Machtgefüge nur Vorschub geleistet.

Russland als großer Verlierer

Noch tragischer stellt sich die Situation für Russland dar. Nachdem dieses praktisch sein gesamtes ehemaliges Einflussgebiet an die USA abgeben oder es zumindest mit ihnen teilen musste, blieb Persien der einzige geostrategisch bedeutende Verbündete. Das aber nicht so sehr aufgrund russischer Stärke, sondern viel mehr dank des iranischen Willens seine Souveränität zu verteidigen. So wurde Teheran zu einem der wichtigsten und lukrativsten Exportmärkte für russische Waffen und Atomtechnologie.

Trotz der teilweise erfolgreichen Versuche insbesondere den Rohstoffsektor den prowestlichen Oligarchen zu entziehen und wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen, ändert das nichts daran, dass Russland zum Rohstofflieferanten fast wie Saudiarabien degradiert wurde oder sich selbst dazu gemacht hat. Es hat sich nicht nur wirtschaftlich vom Westen abhängig gemacht, sondern auch politisch vor allem mit dem Krieg in Tschetschenien die Hände gebunden. Die Duldung des Krieges gegen die Selbstbestimmung des islamischen Kaukasusvolkes ist Amerikas Faustpfand für Russlands Duldung des amerikanischen Krieges gegen den "Terror", sprich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Nationen.

Das Putin-Regime kann also der US-Aggression gegen den Iran nichts als Hinhaltetaktik entgegensetzen. Substantiellen Widerstand spielt es wie seinerseits gegen Jugoslawien und den Irak nicht. Damit verliert Moskau tendenziell seinen einzigen noch verbliebenen von den USA unabhängigen Partner.

Sollte indes Teheran die Aggression parieren, so werden die geopolitischen Karten ohnehin neu gemischt. Mit Sicherheit kann aber davon ausgegangen werden, dass sich dann das Kräfteverhältnis Moskau-Teheran wesentlich zugunsten letzteren verschieben wird.

Anti-Kriegsbewegung?

Gegen den aufziehenden Angriff auf den Irak marschierten im Westen viele Millionen, was einer der Gründe für die zurückhaltende Position der europäischen Regierungen darstellte. Diesmal zeichnet sich nicht vergleichbares ab. Das kann auf mehrere zusammenhängende Ursachen zurückgeführt werden:

a) In den Medien gibt es keine kritische Berichterstattung im Gegensatz um Irak-Krieg. Die proamerikanische Haltung der EU-Regime führt zu einer geschlossenen Medienfront.

b) In der Masse der Bevölkerung ist die Hoffnung auf eine europäische Opposition zu den USA erloschen. Zur aktiven Opposition von unten sind sie nicht bereit, geschweige denn zur Unterstützung des Widerstands des angegriffenen Volkes selbst, wie die Isolation des irakischen Widerstands vor Augen führt.

c) Die ideologischen Geschütze, die gegen den Iran aufgefahren werden, haben eine wesentlich größere Feuerkraft. Wie zuvor schon Milosevic wurde Saddam medial zum neuen Hitler satanisiert, zum absolut Bösen, gegen das jedes Mittel, auch wider das Völkerrecht, legitim sei. Nicht nur wegen der rasanten Inflation an neuen Hitlers überzeugte das nicht. Saddam wurde zwar als Diktator wahrgenommen doch leuchtete der qualitative Unterschied zu anderen mitunter prowestlichen Diktaturen nicht ein. Vielmehr repräsentierte er im "clash of civilisations" den alten westlichen Säkularismus gegen den bedrohlichen Islamismus. Daher scheiterten auch die amerikanischen Versuche Saddam als mit al Qaida unter einer Decke steckend darzustellen. Währenddessen ist die Mobilisierung gegen den Islam im Westen von rechts bis links sehr breit und vermag die Massen zu erfassen. Die persischen Mullahs passen perfekt in das Feindbild des "Islamofaschismus" hinein.

d) Und last but not least ist auch wieder die Antisemitismuskeule im Spiel, für die Ahmadinejad ja die besten Vorlagen gibt. So richtig seine Infragestellung des Zionismus und Israels ist, so legitim der Hinweis darauf ist, dass, wenn Europa die Schuld für den Holocaust trage, es auch die Last der Wiedergutmachung tragen müsse und der Judenstaat in Deutschland und Österreich zu errichten sei, so verheerend wirkt sich seine Infragestellung des Genozids an den Juden überhaupt aus. Sie verdeckt die im Kern richtige Aussage, wie sie selbst vom deutsch-jüdischen Publizisten Henryk M. Broder anerkannt werden muss, und lässt dem Wüten der Antisemitismuskeule freien Lauf.

All das wird uns jedoch nicht daran hintern so wie anlässlich der Aggressionen gegen Jugoslawien, Palästina, Afghanistan und Irak auch gegen den Griff auf den Iran zu mobilisieren und uns auf die Seite der angegriffenen Völker und seines Widerstands zu stellen. So wie bereits der irakische Widerstand zeigt, ist das US-Reich nicht allmächtig. Wir können nur hoffen und alles dazu beitragen, dass sich dieses am Iran die Zähne ausbeißt. Ist einmal die monopolare Weltordnung gebrochen, so kann sich der Kampf für soziale Gerechtigkeit und Volksmacht erst richtig entfalten.

Willi Langthaler
Wien, 16. April 2006

Dieser Artikel erschien redaktionell bearbeitet in den Bruchlinien